Computer und Fernseher wachsen zusammen

PC-Anbieter machen TV-Herstellern Konkurrenz

18.04.1997

Auf der Windows Hardware Engineering Conference (Winhec) in der vergangenen Woche präsentierte die geballte Marketing-Kraft von Wintel unter anderem die Spezifikationen für die "PC-98"-Hardware. Neben einem 200-Megahertz-Prozessor, IEEE-1394-Schnittstelle ("Firewire"), DVD- und Universal-Serial-Bus-(USB-)Unterstützung gehören auch TV-Fähigkeiten und die Möglichkeit, Verbindung zu digitalen Satellitensystemen aufzunehmen, zum Anforderungskatalog.

Sicherlich dauert es noch einige Zeit, bis solche Features über den Consumer-Markt hinaus ihren Weg auf die Unternehmensschreibtische finden. Kein Chef wird ungeprüft das Risiko eingehen, daß seine Mitarbeiter den Vormittag mit Soap-Operas und Talkshows auflockern. Seriöse Anwendungen sind aber durchaus vorstellbar. Die Vereinsbank etwa hat jüngst einen Pilotversuch zum Mitarbeiterfernsehen gestartet. Derzeit wird dabei noch herkömmliche Technik eingesetzt.

Intel arbeitet bereits seit geraumer Zeit an seiner "Intercast"-Technik. Dabei werden neben dem herkömmlichen Fernsehsignal zusätzliche Informationen im HTML-Format übertragen, die bei Bedarf gleichzeitig betrachtet werden können. So bekommt etwa ein Anwender die Möglichkeit, eine TV-Reportage über die spektakuläre Ankündigung einer Konkurrenzfirma um detailliertere Informationen und Internet-Verweise zu ergänzen. Eine ganze Reihe von US-Fernsehsendern nutzt Intercast bereits.

Jüngster Partner von Intel ist der zu Viacom gehörige Musikkanal MTV, der gleichzeitig mit dem Start seines Schwestersenders "M2" auch den Intercast-Sendebetrieb aufnimmt, und zwar rund um die Uhr. Laut Jens Bodenkamp, als Director Corporate Business Development Europe auch für Internet-Fragen zuständig und bei Intel in der Rolle eines strategischen Vordenkens, könnten auch in Deutschland noch in diesem Jahr die ersten Intercast-Sendungen über den Äther gehen.

Intel hat für die Zukunft allerdings weitreichendere Pläne. Bodenkamp erläutert: "Das Fernsehen war früher ein geschlossenes System. Am einen Ende gab es einen Broadcaster, am anderen einen Fernsehapparat. Heute stehen mehr Apparate zur Auswahl, auf denen man fernsehen könnte, zum Beispiel die PCs. Damit wird das Fernsehen zur Funktion."

Die Frage nach dem Endgerät, auf dem diese Funktion genutzt wird, ist für den Intel-Manager nicht schwer zu beantworten: "Das Endgerät muß, ganz allgemein gesagt, ein intelligentes sein. Und wenn man den PC nicht noch einmal erfinden will, dann ist es wahrscheinlich der PC." Allerdings räumt Bodenkamp ein, daß es bei der Hardware noch einige Anpassungen vorzunehmen gilt: "Das Gerät muß schließlich auch in die gute Stube passen."

Neben der Übernahme von Web-TV durch Microsoft (siehe CW Nr. 15 vom 11. April 1997, Seite 6: "Microsoft peilt...") wurden auf der Jahrestagung der National Association of Broadcasters (NAB) in Las Vegas verschiedene Standards vorgeschlagen, die allesamt der PC-Industrie den Weg zum digitalen Fernsehen ebnen sollen.

Im Zusammenhang mit der Übernahme von Web-TV hat die Gates-Company dem Standardisierungsgremium Internet Engineering Task Force (IETF) ein Verfahren vorgelegt, bei dem IP-Pakete ähnlich wie bei Intercast über die Abtastlücke von Fernsehübertragungen verschickt werden. Über das bereits existierende Kabelnetz, das alle Internet-Anbieter lieber heute als morgen nutzen würden, wären erheblich höhere Transferraten möglich als bei herkömmlichen Internet-Zugängen.

Gemeinsam mit seinen Partnern Intel und Compaq hat Microsoft auf der NAB-Tagung zudem dafür plädiert, bei der Übertragung digitalen Fernsehens das "Progressive Video Format" einzusetzen. Die Federal Communications Commission (FCC) hatte im Dezember 1996 einen Standard für digitales TV verabschiedet, dabei allerdings das zu verwendende Videoformat nicht näher spezifiziert. Die Entscheidung solle der Markt selbst fällen. Das Progressive Format kommt den PC-Herstellern technisch eher entgegen als das "Interlaced Format", das bisher von den Herstellern von TV-Geräten verwendet und favorisiert wird.

Nach dem Willen von Microsoft, Intel und Compaq soll damit künftig auch ein PC mit Windows - genauer gesagt den kommenden Versionen von Windows 95 (Codename "Memphis") oder NT ab Version 5.0 - die Voraussetzungen für den Zugang zu TV-Inhalten bieten.

Die Desktop-Betriebssysteme aus Redmond erhalten zu diesem Zweck neue Elemente in der Benutzer-Schnittstelle, die den Einsatz einer Fernbedienung erlauben. Der Empfang von Daten soll für die Nutzung des Kabelfernsehnetzes mit einer Geschwindigkeit von bis zu 30 Mbit/s möglich und mit Microsofts "Netshow"-Server für die Übertragung von Daten- und Videoströmen über IP-Netzwerke integriert werden. Ein PC benötigt zum Empfang von TV-, Internet- und kombinierten Daten dann nur noch eine Tuner-Karte und läßt sich gegebenenfalls für digitales Fernsehen durch entsprechende Zusatzhardware erweitern. Microsoft glaubt, daß die nötige Ausrüstung einen Rechner lediglich geringfügig um einen symbolischen Betrag ("nominal amount") verteuern wird, der deutlich unter dem Anschaffungspreis etwa einer Set-top-Box liegt. Neben den "Standardpartnern" der Gates-Company, Intel und Compaq, haben bereits zahlreiche Hersteller ihre Unterstützung von Microsofts Plänen zugesagt. Dazu gehören etwa AST, ATI Technologies, Cirrus Logic, Fujitsu, Gateway 2000, Hitachi, NEC sowie Samsung, Sony, Toshiba und Tseng Labs.

Auch im Bereich der Übertragung von Videodaten auf den PC tut sich einiges. Hatte bislang Apple mit seiner "Quicktime"-Technik ein Quasi-Monopol sowohl im Home- als auch im professionellen Bereich (hier mit Unterstützung von Editing-Spezialisten wie der Avid Technologies Inc.), so drängen jetzt weitere Anbieter in dieses Marktsegment. Panasonic will in Kooperation mit Microsoft eine kostengünstige Lösung für das Capturing, Editieren und die Wiedergabe von Videobildern auf dem PC anbieten. Die Japaner entwickeln dazu den "Digital Video Software Codec", mit dem sich konform zum Direct-X-Medienstandard aus Redmond Videodaten komprimieren und entpacken lassen.

Auf einem ganz anderen Gebiet betätigt sich die IBM mit ihrem Produktpaket "Logicast". Dieses besteht aus einem RS/6000-Server mit spezieller Software sowie unterschiedlichster Sendehardware, die von verschiedenen IBM-Partnern geliefert wird. Für eine Installation bei der italienischen Societa Finanziaria Telefonica per Azioni etwa integrierte Big Blue rund 2000 Geräte von 40 verschiedenen Herstellern. Die Servicelösung soll Sendeanstalten, Satellitenbetreibern sowie Kabel- und Telecom-Unternehmen dabei helfen, ihre Kunden mit digitalen Video- und Audiosignalen zu versorgen. Dabei kommen diese auch ohne den Kauf eines digitalen TV-Apparats in den Genuß einer ganzen Reihe von Vorzügen der Binärtechnik, vor allem die Übertragungsqualität läßt sich laut IBM enorm steigern. Logicast-Lösungen sind ab sofort verfügbar, die Preise bewegen sich je nach Größe des Projekts zwischen 500 000 Dollar und 50 Millionen Dollar. Der Hersteller erwartet, daß sich das System zunächst in Europa und Asien durchsetzen und erst später in den USA Fuß fassen wird.