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Paukenschlag am letzten Arbeitstag: EU wartet auf Microsoft-Urteil

03.09.2007
Bo Vesterdorf hat sich den größten Paukenschlag seiner Karriere für seinen letzten Arbeitstag aufgehoben. In zwei Wochen, am 17. September, wird der Präsident des zweithöchsten EU-Gerichts um punkt 09.30 Uhr das Urteil im Microsoft-Prozess sprechen.

Wenige Stunden später, wenn die Scheinwerfer der TV-Kameras erloschen und die Mikrofone abgeschaltet sind, wird der 61 Jahre alte dänische Spitzenjurist in aller Stille an einer Feierstunde zur Amtsübergabe teilnehmen.

Das von Vesterdorf geführte Luxemburger Gericht wird nicht nur den größten und kompliziertesten Brüsseler Wettbewerbsfall entscheiden, sondern es werden auch entscheidende Weichenstellungen für die Computerbranche und darüber hinaus erwartet.

Der Streit zwischen den EU-Wettbewerbshütern und dem weltgrößten Softwarekonzern dauert seit fast zehn Jahren. Microsoft bezahlte bereits rund 780 Millionen Euro Strafgelder in die EU-Kasse wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und Missachtung von EU-Sanktionen. Ein weiteres Bußgeld in dreistelliger Millionenhöhe droht.

Kläger Microsoft erwartet vom EU-Gericht Erster Instanz vor allem eins: Klarheit. Der US-Konzern wehrt sich vor allem gegen die drei Jahre alte Auflage der Wettbewerbshüter, das Betriebssystem Windows für Arbeitsgruppenrechner mit Anwendungen anderer Hersteller dialogfähig zu machen. In dem seit Jahren geführten Konflikt um Schnittstelleninformationen geht es im Kern um die Frage, inwieweit ein marktbeherrschender Konzern sein geistiges Eigentum schützen kann.

Microsoft wehrt sich gegen den Eindruck, in der Informationstechnikbranche fehle der Wettbewerb. "Die Welt hat sich seit 1998 geändert", meint Jean-Yves Art, Direktor für Wettbewerbsrecht bei Microsoft Europa. Damals begann der Konflikt mit einer Beschwerde von Sun Microsystems bei der EU-Kommission. Es habe damals nicht das freie Computer-Betriebsystem Linux gegeben, "Google war nirgendwo", resümiert Art. Auch bei Microsoft selbst gab es Bewegung. Zum Start des neuen Betriebsystem Vista arbeitete der Konzern aus Redmond mit EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes zusammen, um neues Ungemach aus deren Behörde vorsorglich zu verhindern.

In Brüssel wird eifrig über das Urteil spekuliert. Die meisten Beobachter rechnen damit, dass keine der Parteien einen klaren Sieg davontragen wird, dazu sei das Verfahren zu kompliziert und zu vielschichtig. Juristen erwarten eine Urteilsbegründung mit mehreren hundert Seiten. "Das wird einige Zeit dauern, um festzustellen, was da überhaupt drin steht", meint ein Experte. Beide Parteien haben die Möglichkeit, vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Berufung zu gehen.

Der bedächtige Gerichtspräsident Vesterdorf vermeidet öffentliche Äußerungen, um die Gerüchteküche nicht weiter anzuheizen. In den zurückliegenden Jahren sprangen die EU-Richter nicht gerade zimperlich mit Wettbewerbsentscheidungen der Kommission um, einige Fusionsverbote aus Brüssel hoben sie komplett auf. Im Juli sprachen sie dem französischen Schneider-Konzern in einem Fusionsstreit sogar Schadenersatz zu Lasten der EU-Kasse zu, der bis zu 400 Millionen Euro erreichen könnte.

Andererseits hat gerade Vesterdorf nicht gerade das Image eines "Freundes der Bosse". Bei schweren Kartellfällen - dabei geht es um illegale Preisabsprachen von Konzernen - müssten die Manager strafrechtlich belangt werden, forderte der Jurist vor drei Monaten im einem Interview mit der Tageszeitung "Handelsblatt". Eine Anhebung der Bußgelder habe keine abschreckende Wirkung auf die beteiligten Unternehmen mehr, lautet Vesterdorfs Einschätzung.

Da die Microsoft-Schlacht nicht nur vor Gericht, sondern auch über die Medien geführt wird, laufen die Vorbereitungen für den 17. September schon auf Hochtouren. Der stets druckreif sprechende Microsoft-Chefjurist Brad Smith will nach der Urteilsverkündung so schnell wie möglich nach Brüssel kommen, um mit Reportern zu sprechen. Ob für die rund 200 Kilometer lange Reise ein Hubschrauber gechartert wird, ist noch nicht entschieden.

Hintergrund

Mit beispielloser Härte streiten die EU-Kommission und der weltgrößte Softwarehersteller Microsoft seit Jahren über dessen marktbeherrschende Stellung bei Computer-Betriebssystemen. Der Konflikt hat eine in Brüssel bisher nicht gekannte Dimension angenommen. Es werden Scharen von hoch bezahlten Anwälten aufgeboten, in den Büros der EU-Wettbewerbsbehörde stapeln sich die Papierberge.

Da es bisher immer noch keinen klaren Sieger gibt, warten beide Seiten mit Spannung auf das Urteil des EU-Gerichts Erster Instanz. Der Spruch des zweithöchsten EU-Gerichts wird am 17. September erwartet. Falls die Kommission unterliegen sollte, wäre ihre Handhabe gegen übermächtige Konzerne stark eingeschränkt. Ein Rückschlag für Microsoft hingegen würden dessen Konkurrenten Auftrieb bringen. Beide Parteien haben nach dem Urteil Gelegenheit, vor dem höchsten EU-Gericht, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), in Berufung zu gehen.

Die Kommission hatte gegen den Konzern bereits vor gut drei Jahren ein Rekordbußgeld von 497 Millionen Euro wegen Marktmissbrauchs verhängt. Das Unternehmen wurde zudem zur Öffnung von Windows für mehr Wettbewerb verurteilt. Seitdem dreht sich der Konflikt im Kern um die Umsetzung dieser Sanktionen.

Im Juli 2006 verdonnerte EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes Microsoft wegen Nichterfüllung der Strafmaßnahmen zu einem neuen Strafgeld von 280,5 Millionen Euro. Weitere hohe Bußen drohen. Es ist das erste Mal seit 50 Jahren, dass sich ein Unternehmen nicht an eine EU-Kartellentscheidung hält - auch das macht den Fall so einzigartig.

Microsoft soll nach dem Willen der Kommission dafür sorgen, dass sein Windows-System für Arbeitsgruppenrechner mit Anwendungen anderer Hersteller dialogfähig ist. Die dafür gelieferten Schnittstelleninformationen für Konkurrenten reichen nach Einschätzung Brüssels aber bei weitem nicht aus. Microsoft weist die Anschuldigungen zurück. Zu dem Vorwurf überhöhter Lizenzgebühren für die Schnittstelleninformationen läuft in diesem überaus komplizierten Streit ein Extra-Verfahren der EU-Kommission.

Ein weiterer Streitpunkt der Entscheidung von März 2004 ist die von der EU-Kommission erzwungene Version von Windows ohne das Multimedia-Programm Media Player. Die EU-Behörde sah damals darin eine unzulässige Koppelung. Microsoft argumentiert, die abgespeckte Windows-Version sei ein Flop an der Ladentheke. (dpa/tc)