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Thema des Tages

Patentreform der EU bedroht die Zukunft von Open Source

15.06.1999
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MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE/IDG) - Deutsche und französische Open-Source-Initiativen wollen eine geplante Reform des europäischen Patentrechts verhindern. Sie befürchten, daß die geplante Einführung von Patenten auf Software beziehungsweise Programmiermethoden nach amerikanischem und japanischem Vorbild frei verfügbare Software ausbremsen könnte.

Bisher gibt es in der EU nur einen Schutz des Urheberrechts und entsprechende Patente für Software, wenn diese Teil einer konkreten Erfindung ist. Nun will die Europäische Kommission prüfen, ob man sich auch auf dem alten Kontinent der weiterreichenden Gesetzgebung in den USA und Japan anschließt. Kommt es zur einer Änderung des über 20 Jahre alten Patentrechts in Europa, könnten sich künftig kommerzielle Hersteller jeden Algorithmus schützen lassen und dessen Benutzung etwa in Open-Source-Projekten kontrollieren.

Dies befürchtet hierzulande der Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) , der am vergangenen Wochenende in Köln mit dem einflußreichen französischen Open-Source-Verband Association Francophone des Utilisateurs de Linux et Logiciels Libre (AFUL) das Bündnis "Eurolinux" geschlossen hat. Nach Meinung Jean-Paul Smert, Vorstandsmitglied der AFUL, laufen Entwickler in Europa nach einer möglichen Verschärfung des Patentrechts ständig Gefahr, bei ihrer Arbeit am Open Source irgendwelche patentierten Algorithmen zu benutzen und dafür belangt zu werden. Microsofts in den berüchtigten "Halloween"-Memos skizzierte Taktik zur Unterminierung der Open-Source-Bewegung ginge dann mit Segen der EU auf.

Eurolinux soll nun als Sprachrohr der Verteidigung und der Förderung freier Software dienen und Wirtschaft und Politik über Open Source aufklären. Als nächste Aktion organisiert Eurolinux eine Ausstellung europäischer Linux-Firmen in Tokio. Bezüglich der Patent-Pläne der EU dient unter anderem die Web-Site swpat.ffii.org als internationales Informations- und Protestforum. Dort findet sich auch eine Protestnote an EU-Wettbewebskommissar Karel van Miert, in der vor einer Monopolisierung des europäischen Software-Marktes und Störung des Wettbewerbs durch Patente und einzelne Hersteller gewarnt wird.

Jüngstes Beispiel für die Bedrohung sei die Kooperation zwischen von Microsoft mit dem Bundesland Nordrhein-Westfalen, die ein massive Unterstützung des Herstellers beim Aufbau eines Zentrums für den elektronischen Geschäftsverkehr beinhaltet. Laut FFII haben bereits mehr als 700 Entwickler ein Protestschreiben an Ministerpräsident Wolfgang Clement unterzeichnet. Etliche Steuergelder flössen nun in zweifelhafte Softwarelösungen, obwohl bessere Technik zur Verfügung stünde. "Statt eine quelloffene Infrastruktur zu errichten, überantworten Sie ihr Land in die Hände einer Monopolfirma, deren rücksichtsloser Machtwille derzeit Gegenstand von gerichtlichen Untersuchungen ist", heißt es in dem Brief. Die Initiatoren appellieren an Clement, die Ausführung der Pläne vorerst zu stoppen und fordern eine öffentliche Diskussion. Eine Antwort steht noch aus.

Beispiele aus den USA belegen nach Ansicht der Patentgegner, welche Folgen eine Reglementierung der Softwareentwicklung haben könnte. So könne das Web-Standardisierungsgremium W3C seine Spezifikationen für die neue Privacy-Technik "Platform for Privacy Preferences" (P3P) nicht verabschieden, weil die Firma Intermind aus Seattle ihre Patente verletzt sieht. Ähnliche Erfahrungen machte auch Richard Stallman, Gründer des GNU-Projekts und Unterstützer der Europäer in ihrem Kampf gegen das drohende Patentrecht. In einem im Web publizierten Brief an die Entwickler nennt er exemplarisch die Klage von Unisys gegen den Online-Service-Provider Compuserve. Letzterer hatte das GIF-Bildformat entwickelt und dabei einen von Unisys patentierten Algorithmus verwendet, der für die Erzeugung des Formats unverzichtbar ist. In der Folge darf nun in frei verfügbarer Software nicht mehr auf den fundamentalen Algorithmus

zugriffen werden kann. "Jeder US-Anbieter von freier Software, der die echte Datenkompression von GIFs dennoch unterstützt, kann nun verklagt werden", klagt Stallman.

Die bisher rasante Entwicklung von quelloffener Software in Europa droht laut Eurolinux in ähnliche Schwierigkeiten zu geraten. Gegenstand von Patenten müßten daher nicht Informationswerke, sondern Erfindungen bleiben. Ein Computerprogramm sei - ähnlich wie ein Buch oder ein Musikstück - ein reines Informationswerk: "Wenn der Volksmund in diesem Zusammenhang von Patent spricht, meint er Urheberrecht."