Web-Applikationen/E-Procurement für kleine und mittlere Unternehmen

Passgenaues für den Mittelstand

11.05.2001
E-Procurement wird bisher hauptsächlich von sehr großen Unternehmen eingesetzt, sieht man einmal von Pilot- und Pionieranwendern ab. Dabei werden häufig bestehende bilaterale EDI-Verbindugen über Marktplätze in multilaterale XML-Verbindungen umgewandelt. Von einer flächendeckenden B-to-B-Revolution durch E-Procurement kann allerdings noch keine Rede sein. Von Matthias Gösch*

Viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sind bei Investitionen in E-Commerce-Technologie immer noch sehr vorsichtig. Sicherheitsbedenken sowie Zweifel an Nutzen und Realisierbarkeit können zwar theoretisch zerstreut werden, doch müssen in der Geschäftsführung häufig auch Berührungsängste und Investitionsunlust abgebaut werden.

Dabei birgt E-Procurement gerade für KMU Potenziale, die bisher nur Großkonzerne freisetzen konnten. Ein gutes System ermöglicht es nämlich auch kleinen und mittlereren Unternehmen, sich schnell, flexibel und sehr kostengünstig an andere Systeme, seien es Marktplätze oder Systeme von Lieferanten, anzubinden. Ebenso können sich viele Kleine zu einer losen Einkaufsgemeinschaft zusammenschließen. Ein zentrales System sammelt alle Bestellungen, und wenn es sich lohnt, wird beispielsweise eine Ausschreibung empfohlen.

Durchlaufzeiten vermindernZwei Fallstudien aus unterschiedlichen Branchen verdeutlichen, wie sich Kosten und Durchlaufzeiten der Bestellprozesse erheblich vermindern lassen und deren Transparenz zunimmt. Beide vorgestellten Unternehmen sind keine DAX-100-Großkonzerne.

Beispiel eins: Ein großer Pflegedienstleister mit mehr als hundert Einrichtungen im ganzen Bundesgebiet hatte keine Übersicht mehr über seine Bestellprozesse. Die Außenstellen beschafften weit gehend autonom. Das Budgetierungssystem war lückenhaft und wurde oft umgangen, so dass zum Ende des Geschäftsjahres kaum noch Investitionen getätigt werden konnten und von fast allen Einrichtungen Nachtragsbudgets beantragt wurden. Bei vielen Artikelgruppen waren die Beschaffungskosten praktisch nicht kontrollierbar. Die drei Mitarbeiter der zentralen Einkaufsabteilung waren rettungslos überarbeitet und mussten Bestellungen vom Bleistift zum hochwertigen PC manuell bearbeiten. Nur 80 Prozent aller Aufträge wurden nach mehr als vier Wochen schließlich auch an die Besteller ausgeliefert.

Die Installation eines komplexeren Desktop-Purchasing-Systems (DPS) in der Firmenzentrale und das Konfigurieren eines umfassenden Kataloges durch den zentralen Einkauf sind der erste Schritt, den das Pflegeunternehmen gemacht hat.

Durch die Konfiguration des Kataloges kann der zentrale Einkauf konzernweite Beschaffungsstandards vorgeben. Artikel, die nicht den gewünschten Standards entsprechen, tauchen gar nicht erst im Katalog auf.

Zentrales DPS zum greifenAlle externen Einrichtungen können von je einem oder zwei Rechnern über das Internet auf das zentrale DPS zugreifen, ohne dass eine Installation vor Ort erforderlich wird. Dies war nicht gewünscht und auch kaum praktikabel. Die Pflegebranche ist nur wenig computerisiert, und die Angestellten verfügen nur selten über IT- und kaufmännisches Wissen.

Alle Bestellungen laufen elektronisch beim zentralen Einkauf in der Firmenzentrale auf. Dort werden sie bei Bedarf automatisch oder manuell gesammelt. Größere Bestellungen können auf den entstehenden Marktplätzen für Pflegebedarf wie beispielsweise Vamedis oder Glomedix ausgeschrieben werden. Andere werden gleich automatisch an die entsprechenden Lieferanten weitergeleitet.

Durch zentrale Erfassung und die Möglichkeit, über den Katalog Standards vorzugeben, wird die Beschaffung transparenter und auch der Einkauf wegen der vollautomatischen Bearbeitung erheblich entlastet; er kann sich wieder mehr auf andere Tätigkeiten, wie zum Beispiel das Aushandeln von Rahmenverträgen und die Erschließung neuer Lieferquellen konzentrieren. Durchlaufzeiten und Prozesskosten können auf zirka ein Viertel der alten Werte gesenkt werden.

Beispiel zwei: Ein Versicherungskonzern verfügte bereits über gut strukturierte Prozesse in der Firmenzentrale, in der mehr als die Hälfte aller Mitarbeiter beschäftigt sind. Der Einkauf wurde zentral abgewickelt, alle bestellten Artikel gingen durch das Warenlager im Keller der Konzernzentrale. Da aber im Zuge einer neuen Marktstrategie die Zahl der Außendienstbüros erhöht, die Einkaufsabteilung jedoch nicht erweitert werden sollte, bot sich auch hier die Beschaffung im Wege des E-Procurement an.

Nach dem neuen Konzept können alle Mitarbeiter der Außendienstbüros über ihren PC und das zentrale System des Konzerns ihre Bestellungen abgeben. Die wichtigsten Hauptlieferanten bieten bereits eine Verknüpfung der Prozesse über das Internet, etwa auf Basis von XML. Eine Integration mit den Lieferanten ist ohne größere technische Probleme möglich.

Auch hier können durch die oben beschriebenen Methoden die Prozesskosten gesenkt werden; die Einstellung neuer Mitarbeiter für den Einkauf entfällt. E-Procurement ermöglicht in diesem Fall die Abwicklung eines größeren Beschaffungsvolumens. Weiterhin wurde angeregt, im Zuge der E-Procurement-Einführung den Materialfluss zu dezentralisieren.

Manuelle Bearbeitung entfälltAus der Beschreibung einer E-Procurement-Transaktion (siehe Kasten) wird deutlich, dass die manuelle Bearbeitung der Bestellung fast vollständig entfällt. Die Zuordnung eines Bestellers zu einer Kostenstelle, wenn dieser die Angabe auf seinem Bestellformular nicht gemacht hat, die Suche eines Artikels durch einen Mitarbeiter aus der Einkaufsabteilung, das Übertragen einer Rechnung in die Finanzbuchhaltung durch Abtippen: All das entfällt und wird durch einfache Zuordnungen in den Stammdaten des Unternehmens oder im DPS erledigt.

Ebenso entfallen interne Transporte der Bestellung in Papierform. Papier kann verloren gehen oder wochenlang in einem Posteingangs- oder -ausgangskorb verschwinden - eine elektronische Bestellung nicht. Bleibt die Bestellung zu lange unbearbeitet, meldet es das System. Transportwege entfallen, die Transportzeiten gehen durch die elektronische Übermittlung gegen null. Durch elektronische Erfassung aller Bestellungen sind jederzeit Auswertungen möglich, die theoretisch das Bestellprofil jedes einzelnen Mitarbeiters abbilden können.

Maßgeschneiderte KonzepteDie geschilderten Beispiele aus zwei völlig unterschiedlichen Branchen verdeutlichen neben der Effizienzsteigerung vor allem eines: E-Procurement-Konzepte müssen für die Unternehmen maßgeschneidert sein. Mit der einfachen Installation einer Lösung, basierend allein auf technischer Realisierbarkeit, ist es nicht getan. Branchen sind unterschiedlich strukturiert und informatisiert. Pflegepersonal hat einen anderen Hintergrund als Mitarbeiter der Versicherungsbranche.

Die geschilderte Art von E-Procurement stellt für KMU einen risikoarmen Einstieg in den professionellen B-to-B-E-Commerce dar, der über das oftmals noch übliche einfache Suchen von Lieferanten im Internet weit hinausgeht. Durch die häufig kostengünstigen DPS (siehe Kasten) - als ASP-Lösung oder lizenziert im eigenen Unternehmen - können KMU schnell Erfahrung sammeln, die über kurz oder lang unerlässlich sein werden.

E-Procurement ist als Einstieg in den E-Commerce auch deshalb besonders geeignet, weil man erst einmal Artikel mit geringem Beschaffungsrisiko für das Tagesgeschäft des Unternehmens darüber abwickeln kann. Meistens sind dies C-Artikel für den täglichen Bedarf, beispielsweise Büro- und Reinigungsmaterial, Betriebsstoffe oder geringwertige Ersatzteile. Später, wenn alle Mitarbeiter mit dem Umgang des Systems vertraut sind - und dies ist ein nicht zu unterschätzender Punkt -, kann das Konzept auf wichtigere Artikel ausgedehnt werden. Die Bildung von Einkaufsgemeinschaften ist ein erster Schritt in Richtung virtuelles Unternehmen.

E-Procurement ist ein Konzept, das sich erst in der Industrie verbreiten und in den nächsten Jahren dann auch für KMU immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Früher oder später dürfte sich fast jedes Unternehmen mit diesem Thema auseinandersetzen.

*Matthias Gösch ist Berater bei der Lufthansa Systemhaus GmbH in Hamburg.

Die AbwicklungBeim E-Procurement wird die Beschaffung von standardisierbaren und katalogisierbaren Artikeln über eine spezielle, Workflow-orientierte Software abgewickelt, häufig über ein Desktop-Purchasing-System (DPS).

Intern ist das DPS mit der IT des Unternehmens verknüpft und ist meistens Schnittstelle zur Materialwirtschaft, zur Buchhaltung und zum Controlling.

Extern kann das DPS eine Anbindung an verschiedene Datenbanken haben. Denkbar ist die direkte Verknüpfung mit dem Artikelstamm eines oder mehrerer Lieferanten oder die Anbindung an einen elektronischen Marktplatz. Die Anbindungsszenarien sind beliebig variierbar.

Wenn ein Mitarbeiter einen Artikel bestellen möchte, loggt er sich in das DPS ein. Dort stehen ihm ein Budget und Produktinformationen zur Verfügung.

Mit Hilfe einer Suchmaschine wählt der bestellende Mitarbeiter das Produkt aus, gibt die gewünschte Menge an und schickt seine Bestellung per Mausklick ab. Im Hintergrund kontrolliert das System, ob der Mitarbeiter über das nötige Budget verfügt und ob die Bestellung von einem Vorgesetzten genehmigt werden muss. Ist dies der Fall, erscheinen bei dem jeweils Verantwortlichen beim Einloggen eine Meldung und die Bestellung.

Wiederum per Mausklick kann die Bestellung genehmigt oder abgelehnt werden. Das System macht automatisch Rückmeldung an den Besteller und gegebenenfalls an die Buchhaltungs- und Materialwirtschaftssysteme. Der Besteller ist also jederzeit über den Bearbeitungsstatus seiner Bestellung informiert.

Sobald die Bestellung freigegeben wurde, kann sie als Datensatz an einen Lieferanten geschickt oder auf einem Marktplatz ausgeschrieben werden. Im besten Fall können auch die Systeme der Lieferanten automatisch mit Datensätzen antworten. Der Lieferant bearbeitet die Bestellung und schickt den Artikel direkt oder über den Logistikdienstleister eines Marktplatzes an das bestellende Unternehmen. Dort sollte die Warenannahme direkt durch den Besteller erfolgen; der kann am einfachsten Aussagen über die Richtigkeit und Qualität der Lieferung treffen. Diese vermerkt er wiederum im System.

Eine solche Information ist der Auslöser für den Zahlungsausgleich oder eine Reklamation. Wenn die Lieferung vom Besteller angenommen wird, wird in der Finanzbuchhaltung des Unternehmens automatisch eine Auszahlung veranlasst. Alle dazu nötigen Daten - Kostenstelle des Bestellers oder Preis - sind im DPS hinterlegt.

Auswahl: DPS/E-Procurement-Systeme für den MittelstandFirma / Lösung / Charakteristik

CaContent / CaDirect, CaProfessional / Kostengünstige, gut skalierbarere Anwendung. Anbindung an SAP und an ERP-Systeme ist möglich.

Lufthansa / Lufthansa AirPlus / Kostengünstiger, je Mitarbeiter stark individualisierbarer Zugang (ASP-Lösung) auf einen der größten Marktplätze Europas mit dahinterliegenden Logistikprozessen.

Onventis / Onventis Procurement/Trade/Partner Solution / Modulare Lösung für verschiedene Bedarfe und begleitende Dienstleistungen

Portalys SA (Schweiz) / Portalys / Kompakte Anwendung zur Unterstützung industrieller Einkaufs- und Angebotsprozesse.

SAP/Commerce One / mySAP E-Procurement / Komplette E-Procurement-Lösung mit Anbindung an SAP oder andere ERP-Systeme.

Abb: Beispiel: Gesundheitsdienstleister

Häufig ist keine Übersicht mehr über die manuellen (siehe oben) Bestellprozesse gegeben. Zentrale Erfassung und Standards schaffen Abhilfe. Quelle: LH Systems