Welche Chancen hat ein europäisches Unternehmen?

Parsytecs GC-System: Über die Forschung zu den Industrie-Usern

09.08.1991

Im dritten und letzten Teil seines Beitrages über den neuen Parallelrechner von Parsytec analysiert Gernot Schärmeli*, welche Chancen das Aachener Unternehmen mit den GC-Rechnern auf dem Weltmarkt hat und wie es sich gegen die internationale Konkurrenz behaupten kann. Nur, wenn das Unternehmen von Anfang an die richtige Marktnische anspricht, hat es gegen die Großen eine Chance.

Dem Willen, den Weg dorthin zu ebnen, ließ der US-Anbieter denn auch heftige Anstrengungen folgen. Zur zyklischen Verbesserung von CPU-Chips und Inter-Node-Communication gesellten sich allerlei Connectivity-Fähigkeiten, über die die Anbindung der iPSCs an übliche Rechnerwelten und Netzwerkstandards erreicht werden sollte. Und von zentraler Bedeutung war das beträchtliche Engagement, mit dem Intel die Fortentwicklung der Software-Umgebung puschte: Wenn auf absehbare Zeit hinaus auch kein Compiler zur Verfügung stehen wird, der existierenden Quellcode in ein auf massiv-parallelen Architekturen laufendes Programm zu wandeln vermag, so wollte man doch alles daransetzen, daß eine Reihe von Tools zur Verfügung steht, die bei der Parallelisierungs-Handarbeit effiziente und komfortable Hilfe bieten.

So steckte das US-Unternehmen eine Menge Geld nicht nur in den unerläßlichen "optimierten" 860-Compiler, der die Fähigkeiten des Einzelknoten voll entfacht. Beim Blick ins strategische Produkt-Portfolio blickt man schon recht zufrieden auf einen Werkzeugkasten mit Code-Analyzer, Parallel-Bibliotheken, Debugger sowie Last-Optimierhilfe. Nicht zuletzt sieht man als ein besonderes Plus die wachsende Palette verfügbarer Applikationen - ein Ergebnis intensiver Anstrengungen.

Parsytec hingegen steht hier erst an der Schwelle eines gewaltigen Umbruchs. Zwar kann man in Sachen Connectivity schon heute fast alles Erdenkliche bieten, bis hin zum Hippi-Interface, das auch der GC-Serie ein harmonisches Miteinander mit existierenden Supercomputern ermöglichen wird. Doch was die Software-Umgebung betrifft, gilt es Abschied zu nehmen von der bisherigen Helios-, Occam- und PAR.C-Welt. Bei allem dedizierten Charme etwa der Transputer-geeigneten Occam-Sprache - insbesondere in den USA rümpft man die Nase über solch "Exotisches", seit dereinst Floating Point Systems mit den ersten Transputern in einem kurzwährenden Zwischenspiel aufkreuzte. Parix heißt das neue Zauberwort - denn mit diesen "Parallel Extensions to Unix" soll das Parallelrechnen "einfach werden", wie die Aachener vielversprechend ankündigen. Bei Entwicklung und Ausführung der GC-Programme soll sich der User weitmöglichst an bekannten Standards orientieren können, soll er von einer Workstation als Front-end aus unter Unix arbeiten und dabei "eine reichhaltige Entwicklungsumgebung mit Standards, Tools und Networking von Unix" vorfinden können.

Angekündigt sind optimierende Cross-Compiler für Fortran-77, C, Pascal und Modula-2, ebenso Cross-Development-Tools (Linker, Assembler, Libraries) und ein flexibler, individuell erweiterbarer Host-Server. Dies alles werde den effektiven und schnellen Zugriff auf die parallele Welt der GC-Maschine gewähren. Monitoring, Debugging und Profiling der Parallelprogramme sollen in Standard-Unix-Formaten implementiert werden, womit auch hier die gewohnten Tools zum Einsatz kommen könnten.

Damit letztlich die Klientel der bisherigen Supercluster-Serie nicht vergrault wird, soll Parix existierende Applikationen möglichst einfach übernehmen können - je nach Sprache und Systemnähe direkt, nach Recompilieren oder Portieren, wofür entsprechende Tools bereitstehen werden. Dabei wird der User sich eines Features bedienen können. Als Bestandteil von Parix ist ein Emulator diverser Parallel-Programmierungsmodelle vorgesehen - neben Helios für Intels iPSC, Argonne, Ncube und Suprenum.

"Parallelrechnen wird einfach" - wie "einfach", sei dahingestellt. Aber erst muß Parix im Gesamtumfang stehen. Gewinnen konnte Parsytec das renommierte holländische Softwarehaus Ace, Experte im Bau von Compilern wie auch Entwicklungsumgebungen. Die Softwareschmiede machte als "alter Unix-Hase" unter anderem mit Kernel-Improvements, Multi-Processor-Unix und weltweit ersten Produkten rund um Unix wiederholt von sich reden. Für die GC-Serie hat sich Ace nun an die Cross-Compiler gemacht, wobei Fortran-77 unter Parix als erstes in Angriff genommen wurde und im ersten Quartal 1992 auf dem Markt sein soll. Die restlichen Sprachen werden aufgrund der modularen Konstruktion der Ace-Expert-Compiler laut Plan relativ rasch nachfolgen. "Die Entscheidung, hier einzusteigen, ist uns aus Unternehmersicht nicht leicht gefallen", meint Managing Director und Gründer Martin de Lange. "Denn wir in Europa können von US-Verhältnissen nur träumen, wo der Chip- oder Systemhersteller an ein Softwarehaus herantritt und ihn mit einem ordentlichen Bündel Dollarnoten überzeugt. Hier dagegen ist es weitgehend unser eigenes Risiko. Aber wir sehen erstens Europa inzwischen als Führer im Parallel-Processing, zweitens die GC-Linie als eine am Markt reifende MIMD-Technologie, mit der sich die klassischen Supercomputer ablösen lassen. Diese Einschätzung bestätigen ja nicht zuletzt IBM und Cray, die ihre Strategie nun auch auf MIMD umstellen."

De Lange vergißt indessen nicht, darauf hinzuweisen, daß der angegangene Softwareweg noch lange ist. Analog zu Intels Compiler handelt es sich auch hier bei den "optimierenden" Compilern erst einmal um solche, die selbständig auf "feinkörnige" Parallelisierung achten, das heißt danach trachten, was aus einem einzelnen T9000 optimal herauszuholen ist.

Parsytecs Marktstrategie hebt sich von Intel-Linie ab

Die "grobkörnige" Parallelisierung aber - die Verteilung der Rechenarbeit auf die Vielzahl von Knoten - muß wie überall noch lange von der Hand- und vor allem der Kopfarbeit des Programmierers leben. Hier gehe es darum, in möglichst kurzen Zyklen immer bessere Hilfen zur Verfügung zu stellen .

Die Erwartungen an Komfort und Leistungsfähigkeit dieser Hilfswerkzeuge sind in der produktivorientierten Industrieszene wie gesagt besonders hoch. Wer hier als Anbieter nicht mit Tools aufwarten kann, so daß sich quasi im Handumdrehen existierender sequentieller Code, geschrieben für Vektor-Rechner, in ein Parallelprogramm überführen läßt, der vermag kaum Begeisterung für MIMD-Plattformen zu entfachen. Immerhin jedoch vermeldet Intel aufgrund besagt prononcierter Anstrengungen Durchdringungserfolge. Heute stehen iPSC-Maschinen etwa zu gleichen Teilen in den Sektoren Campus, Government beziehungsweise Großforschung sowie Industrie.

Hiervon hebt sich Parsytecs Marktstrategie ab. Dem Schlachtruf "Get the technology to productive environments" wird kein großes Gewicht beigemessen. "Wir zielen auf Innovatoren", meint Parsytec-Chef Falko Kübler, und das meinen jene Anwender, die bereit sind, sich an die Nutzbarmachung der Paralleltechnologie eher heranzutasten, denn kurzfristig nach bequemen Mitteln zu verlangen, mit denen sich Parallelcode erzeugen läßt - sei es bei der Programmerstellung, sei es bei der Portierung existierenden Codes. "Wer sich aufgrund des Paradigmenwechsels durch die Parallelrechner insgeheim strategische Vorteile erhofft, der sollte sich auch rechtzeitig dem Umstand stellen, daß damit ebenfalls softwareseitig ein Paradigmenwechsel verbunden ist. Den gilt es, mit eigenem Engagement anzugehen", meint Kübler. Ganz offiziös heißt die Leitlinie bei Parsytec demnach auch: "Der Schwerpunkt liegt bei Leistung und Zuverlässigkeit, erst in zweiter Linie folgt Komfortmaximierung".

So sind es in erster Linie Hochleistungsrechner im Wissenschaftsbereich, auf die die Aachener Company mit größer

konfigurierten GCs abzielt. "Hier wollen wir innovative Anwendungen katalyisieren", so Kübler, "bei Meteorologen, Klima- oder Strömungsforschern. Denn was man heute auf klassischen Supercomputern macht, wird man noch eine Weile auf ihnen weiterbetreiben. Bevor wir die Industrie im Höchstleistungsbereich begeistern können, müssen wir mit den Innovatoren wohl erst eine riesige Bugwelle aufbauen, bevor diese nach zwei, drei Jahren dann eine breite Sogwirkung auslöst." Und etwas martialisch fügt der Parsytec-Chef das Rezept zur Entfachung von Bugwelle und Sogwirkung gleich an: "Mit der GC-Serie werden wir einen keilförmigen, konzentrierten Vorstoß zur absoluten Leistungsspitze des Number-Crunching betreiben ."

Die Zukunft gehört massiv-parallelen Rechnern

Bei derartiger Auslegung der Marschroute steht natürlich nicht zuletzt die Sorge im Hintergrund, auf welchen Feldern sich der Wettbewerb austoben wird. Daß die Zukunft mittelfristig den Massiv-Parallelen gehört, ist allen klar. Zwar machen MIMD-Rechner heute - alle Konfigurationsgrößen einmal zusammengerechnet - erst rund zehn Prozent am 1,65-Milliarden-Dollar-Markt für Supercomputing aus, doch mit 20 bis 50 Prozent Wachstum ist diese Technologie schon jetzt um Potenzen attraktiver als der mit zweiprozentiger Rate vor sich hindümpelnde Sektor der Topclass-Rechner a la Cray. Daß im Parallelsektor also Wachstum und Profit der Zukunft liegen - gegenüber den heutigen 150 Millionen Dollar sprechen Prognosen für 1995 von 750 Millionen Dollar - , das sehen auch Kolosse wie Cray und IBM. Deshalb gilt Falko Küblers Blick weniger den aktuellen MIMD-Mitstreitern - Intel (22 Prozent), Meiko (20 Prozent), Ncube (16 Prozent), Parsytec (20 Prozent).

"Wir müssen sehr wohl aufpassen, daß wir uns nicht just in jenem Marktbereich ansiedeln, in den Unternehmen wie IBM und Cray ihre Elefantenfüße niederlassen, wenn sie in ein paar Jahren ebenfalls mit MIMD kommen.

Das quasi-olympische Motto "Reach out for the medal", mit dem der Anbieter vorprescht, wäre nicht vollständig ohne die zwangsläufige Forderung: "Go international". Gewiß, Parsytec hält schon seit zwei Jahren eine Tochter in Chicago, eine in Großbritannien und eine in Chemnitz. Und auch 50 Prozent des Umsatzes wird bereits im Export-Geschäft verzeichnet. Doch mit der GC-Serie bekommt die Herausforderung eine neue Qualität. Will die Maschine in großen Konfigurationen vermarktet, gebaut und supportet werden, muß das internationale Engagement eine neue Dimension bekommen.

Falko Kübler hat sich vorgenommen, das Wachstum äußerst kontrolliert fortzusetzen. Seit dem zweiten Firmenjahr 1986 macht Parsytec stetig steigenden Umsatz, seit Anbeginn wurde das Wachstum ausschließlich aus eigenen Mitteln heraus finanziert, wurden die jährlich fließenden rund 15 Prozent Cash-flow in F&E gesteckt. Doch angesichts einer heutigen Umsatzgröße von "nur" 24 Millionen Mark - nächstes Jahr sind 36 Millionen geplant, läßt sich die Weltmeisterambition so wie bisher nicht weiter vorfinanzieren. Lassen sich Aufträge von drei Millionen-Mark eben noch verkraften, legen sich institutionelle Geldgeber bei Zehn-Millionen-Mark-Projekten ganz schnell mit der Frage nach Sicherheiten quer. Projektfinanzierung, weitere Internationalisierung des Geschäfts und insbesondere die bevorstehende Realisierung der Parix-Umgebung erfordern für den "Kleinen" unter den Playern einen deutlichen Schub an Finanzkraft. Deshalb steht auf Küblers Fahrplan für spätestens 1993/94 denn auch die Losung "Go public": Fremdkapital muß her über den Gang an die Börse, nicht über Venture-Mittel.

Dann spätestens muß sich als Voraussetzung für fließendes Zeichnungskapital auch bewahrheitet haben, was Parsytec heute mit der GC-Ankündigung zu vermitteln versucht: "Wir sehen uns nicht selbst als die Weltmeister in innovativer Anwendung oder VLSI-Basistechnologie - aber wir kennen die Champions in diesen Bereichen und können sehr schnell tragfähige Brücken zwischen ihnen bauen." Als Champions gemeint sind neben den Anwendern Inmos/SGS-Thompson als Chip- und ACE als Software-Entwickler. Steht da nun wiederum Intel auf der Matte, um anzumerken, daß der jetzige T9000-Chip eigentlich eine "Weltmeistergeneration" hinten dran sei gegenüber dem brandneuen i860-XP, so überdeckt der US-Hersteller allzugern die Tatsache, daß 80-Megahertz-Taktung und MIPS/ Flops-Performance nicht alles sind. Der Transputer-Chip hat nach wie vor Kommunikationsvorteile.