Ex-Parallelrechnerbauer ging an die Börse

Parsytec: Mit Spezialsoftware an den Glanz vergangener Tage anknüpfen

25.06.1999
FRANKFURT/M. - Mit ihrem Gang an die Börse hat die Parsytec AG, Aachen, ein neues Kapitel in ihrer bewegten Firmengeschichte aufgeschlagen.

Der Newcomer am Neuen Markt kam angesichts der derzeitigen Baisse-Stimmung an Frankfurts High-Tech-Börse mit einem blauen Auge davon. Mit 30 Euro war der Emissionspreis am oberen Ende der Bookbuildingspanne festgesetzt worden; am ersten Handelstag Mittwoch vergangener Woche schloß die Parsytec-Aktie mit 31 Euro. Insgesamt wurden 1,725 Millionen Anteile plaziert, von denen 1,025 Millionen aus einer Mitte Mai vorgenommenen Kapitalerhöhung stammten. Den Rest steuerten die Altaktionäre bei, darunter Gründer und Vorstandschef Falk-Dietrich Kübler sowie mehrere Venture-Capital-Firmen.

Vor knapp 14 Jahren als Produzent von Parallelrechnern gegründet, hat Parsytec heute mit Hardware nichts mehr im Sinn (siehe Kasten "Parsytec AG"). Mitte der 90er Jahre verschrieben sich die Aachener ganz dem Softwaregeschäft und konzentrieren sich seither, wie der Parsytec-Chef auf einer Pressekonferenz zum Börsengang erklärte, auf etwas "außerhalb des Üblichen" - nämlich die automatische Analyse sich schnell bewegender Oberflächen mittels Bildverarbeitung. 1997 kam die erste Lösung auf den Markt. Mit Hilfe handelsüblicher Videotechnik und herkömmlichen parallel betriebenen PC-Servern (ausgestattet mit Pentium-Chips und Windows NT sowie einer "lernenden" Datenbank) kann damit die sogenannte Bahnware auf Unregelmäßigkeiten überprüft werden.

Rund eine Million Mark kostet eine der in der Regel recht aufwendigen Anlagen; schließlich sind bei der Produktion von Bahnware Durchlaufgeschwindigkeiten von zum Teil mehr als 100 Stundenkilometern sowie Außentemperaturen von bis zu 900 Grad Celsius gegeben. Die Investition zahlt sich laut Kübler jedoch aus: "Der Return on Investment für die Kunden ist hoch." Unter anderem auch deswegen, weil durch eine verbesserte Oberflächenqualität ein um bis zu 30 Prozent höherer Preis erzielt werden könne. Dies sei gerade für die Bahnware-produzierende Industrie von großer Bedeutung, zu der neben Stahl auch die Aluminium-, Papier- und Kunststoffbranche gehören - allesamt Bereiche, die in der Regel mit sinkenden Margen zu kämpfen haben.

Erst vor rund zwei Jahren haben die Aachener mit der Vermarktung begonnen, mittlerweile zieren bereits sechs der zehn weltweit größten Stahlkonzerne die Kundenliste. Allein in den zurückliegenden zwölf Monaten habe man, so Kübler, 60 Prozent aller weltweiten Aufträge gewonnen. Dies schlägt sich auch im Umsatz nieder. Im ersten Halbjahr des laufenden Geschäftsjahres, das am 31. August 1999 endet, steuerte das Geschäftsfeld "Oberflächeninspektion" mit 11,2 Millionen Mark und damit einem Anteil von 72 Prozent den Löwenanteil zum Gesamtumsatz von 15,6 Millionen bei. Für das gesamte Fiskaljahr ist ein Umsatzplus von 40 Prozent geplant. 1997/98 hatten sich die Einnahmen auf 24,5 Millionen Mark belaufen. Die Mitarbeiterzahl soll sich von rund 100 auf 135 erhöhen. Nach einem Minus von insgesamt etwa 3,6 Millionen Mark in den zurückliegenden zwei Jahren soll im laufenden Geschäftsjahr zudem der Sprung in die Gewinnzone gelingen.

Dabei will sich Parsytec aber nicht allein auf die Stahlbranche verlassen. Seit 1998 versucht man auch der Aluminumbranche die Software schmackhaft zu machen; Anfang dieses Jahres nahm man zudem die Papierindustrie ins Visier. Für das kommende Jahr ist außerdem der Einstieg in das Geschäft mit der Kunststoffbranche geplant. In allen drei Industriezweigen gilt es aber, zunächst einmal ein Bewußtsein für besagten Wertschöpfungsfaktor zu schaffen. Vielfach ist dort nämlich immer noch, wie Küblers Vorstandskollege Rolf Geisen konstatierte, in Sachen Oberflächenqualität die Augenkontrolle "das Maß der Dinge".

Neben der Eroberung zusätzlicher Branchen tüftelt man bei Parsytec aber auch an einer Erweiterung des noch neuen Geschäftsmodells. So geht es längst nicht mehr nur um die Kontrolle von Oberflächen, sondern auch um die integrierte Produktionsoptimierung. Die auf Oberflächeninspektion spezialisierten klassischen Wettbewerber wie Cognex, Toshiba oder Basler bieten dies laut Kübler an; den arrivierten Supply-Chain-Management-Anbietern wie i2 Technologies, Soft-M, PSI oder Manugistics mangele es an Oberflächenqualitätsdaten. Daß die Wettbewerber aber in dieses Geschäft drängen, kalkuliert der Parsystec-Chef ein. Man habe jedoch gegenüber der Konkurrenz den Vorteil, "immer ein Stück weiter zu sein".

Das aus dem Börsengang zufließende Kapital (der Bruttoerlös wurde vergangene Woche mit 30,75 Millionen Euro angegeben) wollen die Aachener nicht nur in die Entwicklung zusätzlicher Softwarelösungen inbestieren, sondern auch zum Ausbau ihrer Vertriebs- und Servicekapazitäten in neuen (Auslands)märkten nutzen. Derzeit unterhält Parsytec Vertriebsniederlassungen in Großbritannien, den USA und Japan. In einigen Ländern wie beispielsweise Italien kooperiert man mit Partnern. In welchen Regionen mit der Gründung von eigenen Niederlassungen mittelfristig zu rechnen ist, wollte Kübler, der nach dem IPO noch 36,4 Prozent der Anteile hält, nicht sagen. Es stünden auch ein bis zwei größere Akquisitionen von Unternehmen auf dem Plan, die sich "im Supply-Chain-Management-Umfeld tummeln".Parsytec AG

Als Parsytec Gesellschaft für parallele Systemtechnik mbH wurde die heutige Parsytec AG im Oktober 1985 von Falk-Dietrich Kübler und zwei Studienkollegen gegründet. Die Jungunternehmer wollten Parallelrechner auf Basis von Transputern bauen - und schafften dies auch. Denn im Lauf der Jahre entwickelte sich die Parallelverarbeitung zu einem eigenen lukrativen Marktsegment, weil die Rechner aufgrund ihrer Geschwindigkeit bei deutlich geringeren Anschaffungskosten für Institutionen vorzugsweise im technisch-wissenschaftlichen Bereich eine Alternative zu den bis dahin gängigen Supercomputern darstellten. Zudem kamen die "Zahlenfresser" der Aachener dann auch in der industriellen Automatisierung zum Einsatz - sowohl in der Bilderkennung als auch der Steuerungstechnik. Anfang der 90er Jahre verzeichnete Parsytec weltweit 700 Kunden und beschäftigte 150 Mitarbeiter.

Kurz darauf aber wandelte sich das Bild; Marktgrößen wie IBM, Hewlett-Packard (HP) und Silicon Graphics hatten zunehmend Gefallen an der Parallelverarbeitung gefunden. Der Wettbewerbsdruck wurde stärker. Gleichzeitig bekamen die Aachener Schwierigkeiten mit ihrem Prozessor-Hauptlieferanten SGS-Thomson, der die seinerzeit neueste Inmos-Chipgeneration nicht in Serie liefern konnte. Man geriet in eine bedrohliche Zwickmühle und beschloß, eine Doppelstrategie zu fahren. Zum einen wurde in die Entwicklung einer neuen alternativen Technologie investiert, zum anderen versuchte man, in einen OEM-Nischenmarkt auszuweichen. In den Jahren 1993 bis 1996 spezialisierte sich Parsytec auf die Zulieferung von Parallelverarbeitungs-Hardware samt einschlägiger Software an Investitionsgüterhersteller. Die Systemwertschöpfung verlagerte sich in jener Zeit nahezu komplett auf die Softwareseite, so daß man sich dann letztlich 1996 entschloß, ganz auf die "weiche Ware" zu setzen.

*Beate Kneuse ist freie Journalistin in München.