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Parfüm für den Feind des Feindes

28.02.2008
Von Handelsblatt 
Pflanzen können ihren Fressfeinden nicht entkommen. Aber wehrlos sind sie dennoch nicht. Mit Duftstoffen locken sie Insekten an, die sie von ihren Parasiten befreien. Für die Landwirtschaft könnten solche Stoffe zur Abwehr von Schädlingen attraktiv sein.

So sensibel sind normalerweise nur parasitische Wespen. Einer der Mitarbeiter im Labor von Monika Hilker, Biologin an der Freien Universität Berlin, kann tatsächlich erschnuppern, welche Kiefernzweige von der Gemeinen Kiefernbuschhornblattwespe befallen sind. Diese Schädlinge stehen im Visier von Hilkers Forschungsgruppe, und Düfte spielen dabei eine ganz besondere Rolle - allerdings sind diese für die meisten Menschen nicht wahrnehmbar.

Die Larven der Gemeinen Kiefernbuschhornblattwespe können Kiefern völlig kahl fressen. Dagegen wehren sich die Bäume mit einem Duftcocktail, der aus den Poren der Nadeln strömt. Diesen Notruf empfängt der Feind des Schädlings, eine parasitische Wespe. Sie legt ihre Eier in die Eier des Kiefernschädlings. Noch bevor die Larven schlüpfen, werden sie von der parasitischen Wespe getötet. "Der Duft der Kiefern ist ein Frühalarm gegen Schädlinge", so Hilker.

Das ist eine verbreitete Abwehrstrategie im Pflanzenreich. Kohlpflanzen wehren sich gegen Eier des Kohlweißlings ebenfalls mit einem Geruch, der Nützlinge anzieht, die die Eier beseitigen. Ähnlich reagiert die Ulme auf Eier des Ulmenblattkäfers. Bäume, Sträucher und Unkräuter rufen mit einer spezifisch komponierten Duftbotschaft nach den Feinden ihrer Feinde, nur wenige Stunden nachdem die Blätter angeknabbert oder mit Eiern belegt wurden.

Der niederländische Insektenforscher Marcel Dicke von der Universität Wageningen hat den Duft-Notruf vor wenigen Jahren als Erster entdeckt - bei Bohnen, die keinen für Menschen wahrnehmbaren Geruch verbreiten. Dicke nahm auch bei Gurken, Ringelblumen, Kohl, Tomaten, Sojabohnen und anderen Pflanzen Witterung auf. Er ist damit der Begründer des neuen Forschungsfeldes Chemieökologie.

Weltweit haben sich Chemieökologen 40 bis 50 Arten vorgeknöpft. Das Parfüm von befallenen Tomaten, Gurken, Blumenkohl, Ulmen, Kiefern, Tabakpflanzen, Limabohnen und Akazien wurde bereits entschlüsselt. Alle nutzen die Duft-SOS-Strategie. "Pflanzen können zwar nicht wegrennen, aber sie können sich auf äußerst intelligente Weise mit Duft wehren", betont Dicke.

Fast alle Pflanzen komponieren ihr Parfüm aus drei Substanzklassen: aus Terpenen, die mit ihrem typisch holzig-harzigen oder blumigen Geruch die größte Gruppe mit einem Anteil von etwa 80 Prozent sind. Hinzu kommen Fettsäureabkömmlinge, sogenannte Grünblattkomponenten, die ausströmen, wenn ein Blatt verletzt wird. Diese Substanzen erzeugen den Geruch von frisch gemähten Wiesen. Die dritte Stoffklasse im Pflanzenparfüm sind aromatische Verbindungen, beispielsweise Indol oder Methylsalicylat, eine dem Aspirin ähnliche Substanz.

Jede Pflanze komponiert ihren Duft aus mehreren Dutzenden Vertretern dieser drei Stoffklassen. Sobald zum Beispiel die Kiefernbuschhornblattwespe ihre Eier auf den Kiefernnadeln platziert, verändert der Baum (nicht nur die befallenen Nadeln, sondern auch die benachbarten Zweige ohne Eier) sein Duftmuster so, dass mehr von einem bestimmten Terpen - Trans-beta-Farnesen - abgegeben wird.

Diesen besonders farnesenreichen Kiefernduft bevorzugt die Nützlingswespe im Zusammenhang mit verschiedenen Duftfeldern, wie Hilkers beobachtete. Das Insekt hält sich in der farnesenreichen Region besonders lange auf und fliegt suchend umher. "Das Bemerkenswerte ist, dass die Wespen nicht alleine auf diese Substanz reagieren. Sie brauchen zusätzlich den Hintergrundduft der Kiefern", schildert Hilker. So wie Menschen Rot besonders gut auf schwarzem Grund erkennen, macht die Wespe den Duft eines befallenen Baumes besonders zuverlässig unter gesunden Exemplaren aus.

Vermutlich reicht die Duftbotschaft der Pflanzen Dutzende Meter, vielleicht sogar einige Hundert Meter weit. "Für die kleinen Tiere sind das beachtliche Distanzen. Das wäre so, wie wenn wir ein Restaurant riechen, das mehrere Kilometer weit entfernt ist", vergleicht Dicke.

Die Pflanzen senden ihr Duftsignal aber nur, wenn sich tatsächlich ein Schädling an ihnen zu schaffen macht. Dadurch verhindern sie, dass die Insekten die Duftstoffe im Alltag dazu missbrauchen, um die Wirtspflanzen zu orten. "Voraussetzung für diese situationsbezogene Duftproduktion der Pflanzen ist, dass sie erkennen, wann sie gebissen werden und wer sie angreift", sagt Wilhelm Boland vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena.

Kiefern registrieren die Eier der schädlichen Blattwespe über den Kleber, den die Insekten verwenden, um ihre Eier an den Nadeln zu befestigen. Andere Pflanzen erkennen ihre Parasiten an der Wunde, die diese ins Blatt nagen. Aber auch am Speichel können sie Raupen, Milben und Läuse identifizieren. Die Spucke der Spinnmilben führt dazu, dass die Pflanzen besonders viel Methylsalicylat und Terpene absondern und damit kleine, räuberische Spinnen herbeilotsen, die die Spinnmilben fressen.

Ein bloßes Einreißen der Blätter genügt noch nicht für einen Hilfeschrei - zumindest bei Tabakpflanzen. Erst als die Forscher aus Bolands Gruppe einen Roboterwurm konstruierten, der den Raupenspeichel des Tabakschwärmers abgab, produzierte die Pflanze Duftstoffe, um Wespen anzulocken, die die Raupen töten. Mit ihrem Bouquet warnte die befallene Tabakpflanze sogar gesunde Nachbarn. Diese sendeten daraufhin ebenfalls das Duft-SOS-Signal. Solidarisch schreien Pflanzen derselben Art gemeinsam um Hilfe und erhöhen damit die Chance, von Nützlingen gehört zu werden. "Das ist für mich das raffinierteste Phänomen. Diese Art der Kommunikation zwischen Pflanzen geht sehr schnell, binnen einiger Minuten. Es ist der Informationshighway der Flora", begeistert sich Boland. Wie die Pflanzen den Duft ihrer Nachbarn riechen, ist allerdings bislang unbekannt.

Wenn der Mensch sich die Pflanzensprache aneignen könnte, wäre er in der Lage, Äcker, Plantagen und Nutzwälder auf natürliche Weise besser vor Schädlingen zu schützen. "Das ist sicher ein Fernziel", so Boland. Zumal viele Nutzpflanzen wie Gurken, Tomaten und Baumwolle infolge der Hochleistungszüchtung ihre Fähigkeiten als Parfümeur eingebüßt haben und daher besonders empfindlich gegen Schädlinge sind, wie Chemieökologen vermuten.

Aus wirtschaftlicher Perspektive gibt es allerdings noch ein Problem: Die Erzeugung des Dufts ist an die Photosynthese, die Energiegewinnung aus Sonnenlicht, gekoppelt. Bei den befallenen Kiefern, die Duftnotrufsignale sendeten, war die Photosynthese deutlich messbar vermindert, wie Hilker nachweisen konnte. Der Aufwand für die Abwehr schwächt den Baum, vielleicht wächst er sogar langsamer. Das ist nicht im Interesse der Landwirte.