Zukünftige Potentiale der Sprachkommunikation, Teil 3 und Schluß:

PABX-Networking fördert DDP-Konzepte

15.09.1988

Das Stichwort "Value Added Services" oder kurz VAS skizziert einen Markt der sich in Aufbruchstimmung befindet. Gemeint sind in der Regel allerdings meist datenkommunikationsorientierte Dienstleistungen. Dirk Nouvortne und Reiner Pliefke* zeigen in einer dreiteiligen Folge auf, daß auch dem Bereich Sprachkommunikation VAS-Potentiale innewohnen. Im dritten und letzten Teil beschäftigen sie sich mit dem Bereich "PABX-Networking" als einer möglichen VAS-Nutzung. Die beiden vorangegangenen Folgen hatten die Themen Integration der Kommunikationsformen und Centrex-Systeme zum Inhalt.

Es ist eine Frage der Wirtschaftlichkeit - des unternehmensspezifischen Break-Even-Points - und der Sicherheit, inwieweit ein bundesweit operierendes Unternehmen bei postrechtlicher Zulassung auf Centrex-Dienste zurückgreift oder selbst private PABX-Systeme für die Inhouse- und die externe Kommunikation nutzt. Ohne die Betrachtung des Einzelfalls ist es für größere Unternehmenseinheiten sicherlich sinnvoller, private PABX-Systeme zu installieren, wobei jedoch auch hier näher zu betrachten ist, ob man sich einer zentralen Lösung bedient oder ob man - etwa auf Basis eines Networking-Konzeptes - dezentrale PABX-Systeme installiert.

Letzteres hat insbesondere den Vorteil einer "maßgeschneiderten" Konfiguration von Büroservices und Sprachleistungsmerkmalen für einzelne Unternehmensteile, stellt den Anwender jedoch vor das Problem einer adäquaten Verbindung zwischen den Systemen. Solange es innerhalb eines Unternehmens Einzelgesellschaften oder Fachabteilungen gibt, die unterschiedliche Anforderungsprofile an die Sprach-, Daten- und Textkommunikation stellen, erweist sich ein Networking-Konzept auch innerhalb eines Gebäudekomplexes als empfehlenswert.

Vor allem für Unternehmen, die bislang ihre Datenverarbeitung hauptsächlich über einen Zentralrechner abgewickelt und darüber hinaus einen großen Terminalpark aufgebaut haben, der zentral angebunden ist, wird sich auf Dauer die zentrale Verarbeitung, vor allem im Zuge der weiteren Implementierung von Büroanwendungen, wie Electronic Mail, Textbe- und -verarbeitung und Retrievalsysteme, nicht mehr aufrechterhalten lassen. Auch innerhalb einer Unternehmensniederlassung, wird sich bei wachsenden Kommunikationsbeziehungen eine Distributed-Data-Processing-Konzeption durchsetzen.

Der Zentralrechner wird zukünftig immer häufiger auf Massendatenverarbeitung und zentrale Anwendungen beschränkt bleiben. Die Dezentralisierung von abteilungsindividuellen Programmen und Büroanwendungen ist demnach nicht nur auf national beziehungsweise international operierende Unternehmen zu beschränken, sondern auf lokale arbeitsteilig organisierte Unternehmen zu erweitern.

Große Bedeutung für PABX im DDP-Konzept

Für eine lokale und gebietsübergreifende DDP-Konzeption kommt der PABX eine große Bedeutung zu. Vor allem die Integration der Kommunikationsformen auf Anwendungsebene (Dokument) und im ISDN zeigt die hohe Bedeutung solcher Systeme. Voraussetzung beim PABX-Networking ist sowohl eine durchgängige Adressierung innerhalb des Unternehmens als auch in der Kommunikation nach außen.

Häufig wünschen Unternehmen, daß ihre Konzerngesellschaften über die gleiche Amtsnummer erreichbar sind. In diesem Fall ist auch die Vermittlung für eine lokale Unternehmenseinheit zentral vorzuhalten. DDP-Rechner lassen sich pro dezentraler PABX als Server vorsehen, auf dem abteilungsindividuelle Anwendungen ablaufen. Der Host hängt ebenfalls am Ring oder am Bus einer Verbindung, die alle PABX (einschließlich ihrer Server) miteinander koppelt.

Voraussetzung für diese physikalische Verbindung von PABX-Systemen und Host miteinander ist, daß neben den Daten auch Sprache übertragen werden kann (C/P-Verbindungen). Am Host ist zu prüfen, inwieweit bei der Existenz von PABX-Systemen Front-End-Prozessoren zukünftig überhaupt noch notwendig sind. PABX als auch Front-End-Prozessoren haben beide die gleiche Aufgabe, nämlich Verbindungen herzustellen. Die zusätzlichen Aufgaben von Front-End-Prozessoren sind im wesentlichen in der Pufferung zu sehen, wobei jedoch zu überlegen ist, ob diese Funktion nicht auch von Servern an der PABX wahrgenommen werden kann. Polling-Verfahren lassen sich ebenfalls dezentral abwickeln, wie die Entwicklung in der reinen Datenkommunikation zeigt.

Bleibt schließlich noch die Frage nach dem Netzwerkmanagement in Hybridnetzen. Auch dies sollte zentral von einem Netzadministrator abgewickelt werden, der jedoch nicht nur die Daten, sondern auch die Text- und Sprach-Services betreuen. Es ist unverständlich, warum die Integration von Daten, Sprache und Text nur auf ISDN-Anwendungsebene beschränkt bleiben und nicht auch die Verkabelung und das Netzwerkmanagement umfassen sollte.

Mit der fortschreitenden Liberalisierung in der Bundesrepublik sowie der Bereitstellung von ISDN-Verbindungen S2 läßt sich das lokale Networking-Konzept für bundesweit operierende Unternehmen auch auf die Niederlassungen ausweiten, sofern es sich um Filialen ab zirka 500 Teilnehmer handelt.

Besteht ohnehin bereits zwischen der Zentrale ind ihren Niederlassungen ein sternförmiges Netz für die Datenkommunikation unter Nutzung öffentlicher HfD-Leitungen, so läßt sich vor allem auf der Basis von Gruppe-2-Verbindungen gemäß TKO (permanente ISDN 64 Kbit/s-Verbindungen) vorstellen, auch die hausinterne Sprachkommunikation auf der Verbindung abzuwickeln. Unter diesen Voraussetzungen stellt sich ein bundesweit operierendes Unternehmen kommunikationsbezogen als logische Gesamtheit dar, mit dem wirtschaftlichen Nebeneffekt, Ferngespräche zwischen einer Niederlassung und der Firmenzentrale als hausinternes Gespräch zu betrachten.

Grundlage für derartige Annahmen sind zunächst Kapazitätsprobleme. Häufig wird bei Unternehmen mit zentral ausgelegter Datenverarbeitung die Beobachtung gemacht, daß mit zunehmender Durchdringung von EDV-Anwendungen in den einzelnen Fachbereichen eine 9,6-HfD-Leitung nicht mehr in der Lage ist, eine vertretbare Verfügbarkeit zu bieten. Vielfach wird zumindest auf stark frequentierten Verbindungen eine zusätzliche HfD-Leitung notwendig.

So kommt ein Unternehmen, das mehrere HfD-Leitungen zwischen zwei Punkten benötigt, schnell an den Punkt, wo sich eine 64-KBit-Leitung der ISDN-Gruppe-2 eher rechnen lassen könnte als zwei 9,6-HfD-Leitungen. Darüber hinaus verfügt eine ISDN-Leitung der Gruppe 2 über eine sechsmal so hohe Kapazität/Geschwindigkeit wie eine 9,6-HfD-Leitung.

Nun werden für eine digitale Sprachübermittlung in ISDN-Qualität 64 KBit/s benötigt, so daß hier kaum Platz für Datenkommunikation besteht. Hier entsteht jedoch die Frage nach der Notwendigkeit einer derartig hohen Sprachqualität. Gegenwärtig gibt es Verfahren, auch die Sprachübertragung einem Komprimierungsverfahren zu unterziehen, wo die Sprache auf 8 KBit/s reduziert wird. Die Differenz zu 64 KBit/s stünde für Daten und Text zur Verfügung.

Die Amtsnummer dezentral belassen

Im Rahmen des oben dargestellten Beispiels ist es aus organisatorischer Sicht natürlich nicht ratsam, eine einzige Telefonnummer für das Gesamtunternehmen zu bieten, wenn es an mehreren Orten ansässig ist. Ein auswärtiger Anrufer müßte immer Fernbereichsgebühren zahlen, sofern er nicht aus dem Ort anruft, in dem die Zentrale steht.

Die Amtsnummer ist demzufolge dezentral zu belassen. Anders verhält es sich mit dem Netzwerkmanagement und der System-Maintenance. Hier erscheint es als nicht ratsam, dezentral hausinternes oder externes Wartungspersonal vorzuhalten. Analog den bereits heute bestehenden Möglichkeiten im Bereich

der Datenkommunikation sind PABX-Systeme in ein unternehmensweites Netzwerkmanagementkonzept einzubeziehen; erste Produkte

sind bereits heute auf dem Markt, die die Spracheinrichtungen in ein Netzwerkmanagement - wenn auch noch unzulänglich - einbeziehen

(zum Beispiel Netview von IBM). Von großem Interesse sind daher auch die Bestrebungen in den internationalen Standardisierungsgremien, Netzwerkmanagementfunktionen für alle Kommunikationsformen durchgängig zu gestalten.

Um es nochmals zu unterstreichen Centrex ist, insbesondere durch private Betriebsgesellschaften, zur Zeit in der Bundesrepublik aus postrechtlichen Gründen nicht möglich. Bei weiterer Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes würde dieser Service kleineren Betriebseinheiten Telekommunikations-anwendungen ermöglichen, die sonst aus Kostengründen nicht in Anspruch genommen würden. Im Einzelfall entscheidet hier der Break-Even-Point zwischen der Nutzung von Centrex und dem Erwerb kleinerer Reihenanlagen (siehe Abbildung).

Bei Großunternehmen mit einem weitverzweigten Netz auch kleinerer Niederlassungen liegt der Nutzen zweifelsohne in einer Kombination von PABX-Networking und Centrex. Aus der Sicht einer zentralen Kommunikationsabteilung trägt diese Kombination vor allem zu einer Vereinheitlichung des Netzwerkes mit einer positiven Wirkung auf das Netzwerkmanagement bei. So sind beispielsweise weniger Systeme zu administrieren und zu warten. Umzüge und Änderungen bei der Zuteilung von Leistungsmerkmalen sind vereinfacht einzuleiten. Erweiterungen der Nebenstellen sind im Gegensatz zu einer PABX bei Centrex kein Problem.

Dies ist - gerade für Unternehmen mit unterschiedlichen Ansprüchen an die Kapazität des Fernmeldeverkehrs - von Vorteil. Insgesamt entfalten sich mit Centrex, den Möglichkeiten von PABX-Systemen, der Anwendungsbreite der Datenkommunikation von Gruppe-2-Verbindungen - vorzugsweise zwischen Zentrale und größeren Niederlassungen - und dem DV-Ansatz für die Anbindung kleinerer Unternehmenseinheiten an zentrale und/oder dezentrale Anwendungen bei der Annahme einer weitgehenden Liberalisierung des Fernmeldewesens in Deutschland im Bereich der Telekommunikation umfangreiche Potentiale für Unternehmen jeglicher Größe, deren volkswirtschaftlicher Nutzen im internationalen Wettbewerb nicht zu unterschätzen ist.