Bedingung sind einheitliche Standards

Ovum erwartet E-Cash-Boom in spätestens fünf Jahren

01.11.1996

Ausgabe und Annahme von Münzen und Scheinen ist aus der Sicht der Finanzdienstleister ein teurer Luxus. Elektronisches Bargeld ("E-Cash") gibt ihnen ein Werkzeug an die Hand, um diese Kosten zu senken. Hierin sieht das Marktforschungsunternehmen Ovum eine der treibenden Kräfte für die rasche Ausbreitung des immateriellen "Bargeld"-Austausch.

Die Idee des E-Cash ist im Grunde genommen dieselbe wie die des Geldausgabe-Automaten (Automated Teller Machine = ATM) - abgesehen davon, daß die Kaufkraft des Geldes hier keine materielle Gestalt annimmt. Statt dessen wird ein bestimmter, relativ kleiner Wert mit Hilfe eines elektronischen Überweisungsvorgangs in die virtuelle Geldbörse - ein "Guthaben" auf der PC-Festplatte oder eine Chipkarte - übertragen. Beim Kaufvorgang wandert ein Teil davon auf das Konto des jeweiligen Händlers.

Diese Technologie wird sich in den kommenden zehn Jahren in dreifacher Hinsicht auf die Bankgeschäfte auswirken:

- Telefone und PCs übernehmen die Funktion der ATMs. Für kompliziertere Bankgeschäfte gibt es Multimedia-Info-Stationen.

- Rund 300 Finanzdienstleiter werden einen Vollservice über das Internet anbieten - inklusive E-Cash-Tankstelle und Depotanlage.

- In zehn Jahren werden persönliche Finanz-Management-Pakete wie "Microsoft Money" oder "Quicken" von Intuit auf mehr als 42 Millionen Rechnern laufen.

Die dann in Umlauf befindlichen E-Cash-Werte beziffern die Ovum-Analysten auf rund 8,63 Milliarden US-Dollar. Der eigentliche Boom werde voraussichtlich im ersten Jahr des neuen Jahrtausends einsetzen.

Sicherheitsfrage spielt eine fundamentale Rolle

Allerdings machen Brown und Cappelli den Erfolg der E-Cash-Technik von einem entscheidenden Kriterium abhängig: davon, ob es gelingt, die bislang divergierenden Ansätze in Einklang zu bringen. Dazu Brown: "Die konkurrierenden Anbieter müssen sich auf gemeinsame Standards und Spezifikationen einigen. Nur dann werden Kunden und Händler den E-Cash als Alternative zu Scheinen und Münzen akzptieren."

Der Sicherheitsfrage billigt Brown ebenfalls eine "fundamentale Rolle" zu. Eigenen Angaben zufolge hält er es jedoch nicht für notwendig, daß E-Cash-Systeme völlig wasserdicht sind. So beruhten die gängigen Verschlüsselungsmechanismen, allen voran RSA, keinesfalls auf mathematisch beweisbarer Zuverlässigkeit, sondern weitgehend auf dem guten Glauben der Benutzer. Die Vertraulichkeit der zwischen Banken, Verkäufern und Konsumenten ausgetauschten Informationen werde durch die dazwischengeschalteten Service-Anbieter sichergestellt.

Auf diesem Markt werden sich laut Ovum-Studie bald nicht nur die traditionellen Banken und die internationalen Kreditkarten-Organisationen tummeln. Vielmehr sehen die Analysten hier auch ein Betätigungsfeld für IT-Unternehmen ê la Microsoft, IBM und Sun. Darüber hinaus gebe es auch Platz für eine völlig neue Gruppe von Anbietern: beispielsweise Großhändler, Verkehrsbetriebe oder Post-Dienstleister.