Analyse von Systemen für da Enterprise Resource Planing

Ovum deckt Schwächen von Standardsoftware auf

24.10.1997

Die Marktforscher rechnen mit einem Anstieg des Europa-Geschäfts für Business Applications und ERP-Lösungen von 4,5 Milliarden Mark im vergangenen Jahr um den Faktor 3,7 bis zum Jahr 2001. Die Umsatzspitze soll sich dabei vor dem Datumswechsel im Jahr 1999 einstellen. Daß sich kein Hersteller diese Chance entgehen lassen möchte, zeigt sich an der Zunahme von Komplettpaketen, die mittlerweile das gesamte Anwendungsspektrum von Human-Resources- (HR-) über betriebswirtschaftliche Komponenten bis hin zu Lösungen für nahezu alle Fertigungsarten abdecken. Im Trend liegt laut Ovum die Konzentration auf Logistik, Zulieferketten (Supply Chain), Distribution, Service und Maintenance sowie - näher an der reinen Informationstechnik - Data-Warehouse, Workflow und Web-Integration.

Die aus dem Anforderungsspektrum resultierende Funktionsvielfalt macht ein Ranking der Standardpakete selbst bei einer Konzentration auf die acht wichtigsten Player nahezu unmöglich. Ovum beschränkt sich deshalb weitgehend auf die kritische Beschreibung der Anbieter, deren Marktposition und Produktstrategie.

SAP: R/3 wird demnach trotz vereinfachter technischer Implementierungen auch künftig die Kunden mit komplexen Installationen herausfordern. Außerdem sei nicht auszuschließen, daß das ohnehin schwierige Aufbrechen der integrierten Architektur in Komponenten zu unbefriedigenden Ergebnissen bei Performance, Flexibilität und Pflege führen werde.

Funktional haben die Analysten nichts an R/3 auszusetzen. Positiv bewerten sie unter anderem SAPs Reaktionen auf aktuelle Trends wie die Einbindung von Web-Applikationen in das Business Framework oder das Data-Warehousing mit Olap-Features. Nicht gefallen dürfte den Walldorfern dagegen die Ovum-Bemerkung, daß sich R/3 trotz aller Bemühungen um den Mittelstand weiterhin eher für große, zentral organisierte Konzerne eignet als für mittelgroße Unternehmen. Zeit- und kostensparende Konfigurationswerkzeuge, etwa im Rahmen der Implementierungsmethoden von "Accelerated SAP" (Asap), haben die neue Zielgruppe bislang offensichtlich wenig überzeugen können.

Baan: SAP-Herausforderer Baan muß sich wiederholt Kritik im Bereich Services gefallen lassen. Die aggressive Expansionsstrategie des Herstellers besonders in den USA habe zur Folge, daß die Holländer ihre Ressourcen zu dünn verteilen müßten. Empfohlen wird eine bessere Organisation des Servicenetzes, um den Anforderungen gerade der weltweit aktiven Konzerne gerecht zu werden. Schwachen Support kreiden die Analysten dem Hersteller aber auch auf lokaler Ebene für kleinere Unternehmen an.

Das Produkt "Baan IV" selbst bleibt dagegen von Kritik verschont. Als Systemstärken werden die weitreichenden Features zur Produktkonfiguration angeführt sowie die Ausrichtung auf vertikale Märkte im Fertigungsbereich. Verwirrend sei allerdings Baans Internet-Strategie.

SSA: Gute Chancen sieht Ovum auch für die aus der AS/400-Welt stammenden Anbieter, obwohl dort mit der Unix- und Windows-NT-Orientierung die zum Teil größten und gefährlichsten Technologiesprünge stattgefunden haben. Bestes Beispiel dafür ist die System Soft- ware Associates (SSA) mit der Einführung der Distributed Object Component Architecture (Doca) in "BPCS 6.0". Opfer mußte der Hersteller Ovum zufolge hinnehmen, weil die Anwender bezweifelten, ob SSA das Corba-kompatible, verteilte Objektmodell beherrschen würde. Allmählich scheint jedoch das Vertrauen in die nach Analystenmeinung derzeit fortschrittlichste Architektur wieder zu wachsen, die sich erholende Bilanz spricht zumindest dafür.Bei Doca handelt es sich um eine n-Tier-Architektur, bei der die Applikationslogik und die Daten beliebig im Netz verteilt werden können. Eine Message-orientierte Middleware übernimmt die Requests zwischen den einzelnen Modulen. Das System umfaßt mehr als 36 Module vom Einkauf der Rohmaterialien bis hin zum Vertrieb der Fertigprodukte, es fehlen allerdings Komponenten für HR-Anwendungen sowie Lohn und Gehalt. Noch sind nicht alle Module in Doca konvertiert, dies soll erst mit Version 7 kommen, für die es jedoch noch keinen Verfügbarkeitstermin gibt. Eine auf Microsofts Back Office basierende NT-Server-Version ist für Mitte 1998 geplant.

JDE: Daß gute Technik allein noch keinen Erfolg verspricht, bescheinigen die Marktforscher JD Edwards (JDE). Der AS/400-Spezialist könnte mit seiner Unix- und Windows-NT-Strategie heute doppelt so groß sein, wenn er mit aggressiverem Marketing an seinem Profil gearbeitet hätte. Defizite gibt es auch beim Aufbau von Distributionskanälen sowie bezüglich der Marktforderungen nach günstigen Einstiegslösungen. Immerhin ist der seit 19 Jahren am Markt tätige Anbieter zu keinem Zeitpunkt in die Verlustzone geraten.

Mit "Oneworld" bietet JDE ein Multiplattform-System für verteiltes Client-Server-Computing an, das laut Ovum auch über beachtliche Internet-Fähigkeiten verfügt. Zentrales Element darin ist die Configurable Network Computing Architecture, die eine dynamische Verteilung von Tabellen, Business-Objekten und Reports über das Netz hinweg erlaubt. Angesprochen werden die Prozeß- und Fertigungsindustrie, wobei der Hersteller der Meinung ist, daß künftige Rationalisierungspotentiale nicht mehr so sehr in der Produktion, sondern in der Distribution zu erreichen sind.

JBA: Auch JBA stammt aus der AS/400-Welt und unternahm mit "System 21" ein Re-Engineering seiner Suite für den Unix- und NT-Markt. Allerdings liegt der Hersteller hinter dem Zeitplan für eine durchgängige Objektorientierung des Systems zurück, da laut Ovum ähnlich wie bei SSA die komplizierte Entwicklung verteilter Objekte unterschätzt wurde. Anders als bei SSA bringt jedoch die lukrative AS/400-Klientel noch genügend Geld in die Unternehmenskasse.

Anfang 1997 lief System 21 in nur zehn Unternehmen produktiv. Ovum bescheinigt dem Hersteller jedoch eine erfolgreiche Präsenz in den USA und Zentraleuropa, nicht zuletzt aufgrund der Partnerschaft mit IBM. Über diese Schiene sei es auch denkbar, daß JBA-Technologie Eingang in Big Blues San-Franzisko-Projekt findet. Das von Ovum kritisierte Graphical User Interface wurde mittlerweile gegen eine Windows-konforme und Web-fähige Oberfläche ausgetauscht. Bleibt die nicht unwesentliche Kritik, daß sich die Lösung bislang, einmal installiert, noch als zu unflexibel erwiesen hat.

Computer Associates: Vergleichsweise detaillierte Systemkritik übt Ovum an dem Produktspektum von Computer Associates. Nicht die Fertigungslösungen "PRMS" und "MK Manufacturing" (ehemals Manman/X) werden bemängelt, sondern das mittlerweile auf NT portierte Finanzpaket "Masterpiece", das in Version 3.0 etwa für den internationalen Einsatz mit einheitlichem Datenbankdesign sowie einer Daten-Echtzeit-konsolidierung ausgestattet wurde. Auch an der Jahr-2000-Fähigkeit und Web-Features ("Internet Commerce Enabled") fehlt es nicht.

Das Problem sehen die Ovum-Analysten in einer schwach ausgeprägten Mehrwährungsfähigkeit, obwohl die Euro-Einführung grundsätzlich unterstützt wird. Auch sonst sei die CA-Lösung im Vergleich zu anderen Konkurrenten nur eingeschränkt flexibel, Workflow-Funktionen ließen sich beispielsweise lediglich über extern angekoppelte Engines einführen.

Die Informationsrecherche sei zwar mit dem "Visual Report Writer" erheblich verbessert worden, Funktionen für das Online Analytical Processing (Olap) kämen jedoch erst mit der geplanten Integration der Cognos-Produkte "Powerplay" und "Impromptu".

Peoplesoft: Bislang noch keine nennenswerte Relevanz am deutschen Markt für Business Applications haben derzeit Peoplesoft und Oracle. Der laut "Fortune Magazine" in den vergangenen drei Jahren besonders stark gewachsene US-Hersteller Peoplesoft hat seine Lösungen für Personal-Management und Betriebswirtschaft 1996 um Industrieapplikationen für Auftrags- und Variantenfertiger ergänzt. Übernommen wurde unter anderem die Red-Pepper-Software für Logistik und Echtzeitplanung. Laut Ovum wird der Image-Wechsel vom Best-of-breed-Anbieter zum One-stop-Shop das Unternehmen noch einige Anstrengungen kosten. Besonders in Europa soll mehr Wert auf das Marketing gelegt werden, denn gerade dort leidet Peoplesoft unter dem Ruf eines lediglich in den USA verbreiteten HR-Spezialisten.

Bezüglich der Technik kritisiert Ovum die bislang nur schwer skalierbare Zwei-Tier-Architektur der Version 6. Besserung bringt hier Release 7, dessen Auslieferung in den USA bereits begonnen hat und in das die Transaktions-Middleware "Tuxedo" von BEA integriert wurde. An Funktionen für Data-Ware- housing und Olap hat der Hersteller bereits einiges anzubieten, ein Defizit sieht Ovum dagegen bei der bislang mangelnden Web-Integration. Peoplesoft arbeitet derzeit an Internet-basierten EDI-Lösungen für den Electronic Commerce.

Oracle: Auch für Oracle gilt Ovums Vorwurf, daß der Hersteller erst mit seiner jetzt forcierten Network Computer Architecture (NCA) auf ein leichter skalierbares und flexibleres Drei-Tier-Modell wechselt. Welche Akzeptanz die NCA-Lösungen genießen werden, lasse sich allerdings derzeit noch nicht abschätzen. Ein weiteres Problem bestehe darin, daß die unter "Manufac- turing" für die diskrete Fertigung und die Prozeßindustrie angebotenen Lösungen nicht den Integrationsgrad von Produkten anderer Hersteller erreichen. Außerdem tendiere Oracle dazu, ähnlich wie Microsoft den Support älterer Versionen einzustellen, so daß die Anwender zum jeweils aktuellen Upgrade gedrängt werden.