Vertragliche Regelungen für den Übergang ersparen den Rechtsstreit

Outsourcing: Am Anfang ans Ende denken

23.04.2004
MÜNCHEN (qua) - Nur jeder dritte Outsourcing-Kunde plant, den Vertrag mit seinem Provider zu verlängern, so eine Studie der PA Consulting Group. Ein Teil der Abkommen wird sogar vor der nominellen Ablaufzeit gelöst. Entsprechend wichtig sind vertragliche Regelungen für eine reibungslose Migration.

Nie war es leichter, die eigenen Vorstellungen in den Vertragsentwurf einzubringen, als heute. "Der Outsourcing-Markt hat sich gewandelt", konstatiert Pascal Matzke, Director Consultant bei der Meta Group, "der Kunde sitzt heute am längeren Hebel." Um Profit aus dieser Marktkonstellation ziehen zu können, müssen die Auftraggeber allerdings erst einmal wissen, was gut für sie ist. Einige haben bereits aus eigenen Erfahrungen oder den Negativbeispielen anderer gelernt. Die Klientel ist heute, darin stimmen die Marktkenner überein, längst nicht mehr so blauäuig wie noch vor zwei Jahren.

Die in der Beraterzunft kursierenden Best Practices weisen durchaus einige Gemeinsamkeiten auf. Als State of the Art gilt die Unterscheidung in einen längerfristigen Rahmenvertrag, der die grundsätzlichen juristischen Vereinbarungen und eine Beschreibung der Arbeitsabläufe enthält, sowie mehrere, auf kürzere Sicht angelegte Serviceabkommen, die teilweise in sich noch mehrfach gestaffelt sind.

Automatische Verlängerung passé

Wie lang die Laufzeit eines Rahmenvertrags idealerweise sein sollte, darüber streiten sich die Gelehrten. "Der Zehn-Jahres-Vertrag ist out", sagt Matzke, "er ist einfach nicht mehr marktgerecht." Seiner Ansicht nach sollte das Abkommen eine Dauer von fünf Jahren nicht überschreiten. Die meisten Vertragstexte enthielten zwar eine automatische Verlängerung, doch seien die Kunden dazu übergegangen, diese Klausel zu streichen.

Peter Dück, Vice President Consulting bei Gartner Deutschland, sieht hingegen einen gewandelten Trend zu "langfristigen Beziehungen" zwischen Provider und Kunde. "Es gab die Mode, relativ kurz abzuschließen", räumt er ein. Diese Vorsichtsmaßnahme empfehle sich jedoch nur für "Zementverträge". Derartige Abkommen mit stark fixiertem Leistungs- und Kostenrahmen seien heute aber eher die Ausnahme. Im Normalfall bilde der Vertrag ein mehr oder weniger großes Maß an Flexibilität ab, weshalb eine Laufzeit von sieben Jahren durchaus üblich und sinnvoll sei.

Dabei ist die Mühe zum Teil vergebens. "Kaum ein Vertrag wird nach fünf Jahren noch so aussehen wie heute", weiß Dück. Manchmal sei das Elaborat nach monatelangen Verhandlungen schon bei der Unterschrift veraltet, weshalb die Partner die ersten Monate der Laufzeit damit zubringen müssten, ihre Änderungswünsche einzuarbeiten.

Folglich ist die Frage, wie viele Outsourcing-Verträge eigentlich vor der Zeit gekündigt werden, schwierig zu beantworten. "So wie sie einmal aufgesetzt wurden, erreichen nur 90 Prozent der Abkommen ihr planmäßiges Ende", schätzt Andreas Floth, Managing Consultant der IT Consulting Group bei PA in Frankfurt, "allerdings führt das nicht unbedingt zur Trennung vom Anbieter." Nachverhandlungen seien vielmehr an der Tagesordnung.

Abgleich mit dem Markt

Um Argumente dafür zu sammeln, sollten die Kunden - nach der vereinbarten Schonfrist für den Dienstleister - auf einem regelmäßigen Benchmarking des Kosten-Nutzen-Verhältnisses bestehen. Während einige Experten diesen Abgleich zwischen Markt und Provider nur alle zwei Jahre für notwendig erachten, empfiehlt Matzke, "wegen der fluktuierenden Preise" eine jährliche Überprüfung im Rahmenvertrag festzuschreiben.

Gibt das Benchmarking Anlass zu einer Änderung der Serviceabkommen, so entstehen am wenigsten Reibungsverluste, wenn die ursprünglichen Vereinbarungen bereits einen Prozess für die künftige Preisfindung definierten, so PA-Berater Floth. Das hat sich offenbar aber noch nicht allzu weit herumgesprochen: "Ich kenne kein Unternehmen, das das richtig macht", bekennt der IT-Consultant. Festgelegt sei in den meisten Verträgen höchstens ein Eskalationsprozess.

Zu definieren sind unbedingt auch die Umstände, unter denen sich ein Vertragsbruch diagnostizieren lässt, weil sie eine fristlose Kündigung des Abkommens rechtfertigen. Wann liegt ein "wiederholter" und "schwerer" Verstoß gegen die Vertragsbedingungen vor? Welche Anwendungen sind "geschäftskritisch" und bedürfen deshalb einer höheren Verfügbarkeit? Wie viele Ausfälle sind zu viele, und wie lang ist zu lang? Bleibt der Vertragstext hier im Ungefähren, wie er es vielfach noch tut, so verpulvern die Partner unter Umständen viel Zeit und Energie in einem Rechtsstreit.

Sicher gibt es Fälle, in denen eine Vertragsauflösung die natürliche Folge wirtschaftlicher Veränderung ist - beispielsweise dann, wenn einer der beiden Partner Insolvenz anmeldet. Häufiger kommt es aber vor, dass einer vom anderen enttäuscht ist und die Beziehung deshalb nicht fortsetzen will. Besonders kompliziert liegt der Fall, wenn Teilverträge aufgekündigt, andere Vereinbarungen jedoch fortgesetzt werden sollen. Diese unterschiedlichen Szenarien müssen alle durchdacht und geregelt sein, mahnt Gartner-Analyst Dück: "In jedem halbwegs professionell gemachten Vertrag findet man heute zumindest Fragmente von Ausstiegsklauseln."

Mögliches und Unmögliches

Ihrer Klientel gegenüber spielen die Berater lieber den Ehetherapeuten als den Scheidungsanwalt. Wie Floth bestätigt, ist es zwar heute üblich, Ausstiegsvereinbarungen zu treffen. Doch bildeten die Bedingungen jeweils einen "engen Korridor". Im Klartext: "Sie greifen nur, wenn genau das eintritt, was darinsteht." Alle Eventualitäten im Voraus zu bedenken sei unmöglich, sie in die Vereinbarungen aufzunehmen wäre sogar kontraproduktiv. "Ein Vertrag, der wirklich alles abdeckt, ist nicht mehr handhabbar", so der Berater, "gerade wenn es Probleme gibt, muss man sehr schnell handeln können."

Anstatt alles Mögliche und Unmögliche vorhersehen zu wollen, sollte das Kundenunternehmen lieber seine Historie sowie sein Marktumfeld analysieren und die individuellen Risikofaktoren herausfiltern, rät Floth: Wie oft kam es in der Firmengeschichte zu Fusionen und Unternehmensverkäufen? Wie wahrscheinlich ist ein baldiger Wechsel des Vorstands oder der Strategie? Bewegt sich das Unternehmen in einem stabilen Wirtschaftssektor, oder ist es in einem neuen und schwer einschätzbaren Industriezweig tätig? Wer die Antworten auf diese Fragen kennt, weiß, welche Fälle er in einem Serviceabkommen ausdrücklich regeln muss.

Mit Vertragsstrafen rechnen

Ein professioneller Rahmenvertrag enthält keine Abnahmeverpflichtungen, betont Meta-Group-Consultant Matzke. Cleveren und durchsetzungfähigen Kunden gelinge es, sie sogar in den Dienstleistungsvereinbarungen zu vermeiden: Die Zukunft gehöre dem "Online Ordering", bei dem erst die explizite Bestellung einer Dienstleistung eine rechtsrelevante Beziehung zum Provider schaffe.

Wohl dem, der sich so viel Handlungsspielraum erhalten kann! Im Regelfall lassen sich die Kunden jedoch auf Mindestabnahmen ein - vor allem deshalb, weil sie dadurch Rabatte in Anspruch nehmen können. Wollen sie also den Vertrag kündigen, werden "Ablösesummen" oder Vertragsstrafen fällig. Um welche Beträge es sich dabei im Detail handeln wird, hängt unter anderem von der Bedeutung des Kunden für das Geschäft des Dienstleisters ab. Beispielrechnungen und Eckwerte in den Vertrag aufzunehmen kann aber mit Sicherheit nicht schaden.

Ob nach regelrechtem Ablauf der Vertragslaufdauer oder durch unvorhergesehene Kündigung - die Auflösung einer Outsourcing-Partnerschaft birgt immer Konfliktpotenzial. Deshalb darf der Kunde nicht vergessen, die Hauptstreitpunkte bereits im Vorfeld zu klären, warnt Carsten Glohr von Helbling Management Consulting in Frankfurt am Main. Ein heikles Thema sei beispielsweise das Eigentum an der im Kundenauftrag erstellten Software. Wem gehört der Quellcode? Wozu darf der Kunde ihn nutzen, und inwieweit steht er dem Provider für neue Zwecke zur Verfügung? Ähnliche Überlegungen sind auch für die Dokumentationen anzustellen.

Zu einem weiteren Stein des Anstoßes können die Nutzungsrechte an Standardsoftware werden. Oft erwirbt der Dienstleister die Lizenzen, um Mengenvorteile ausnutzen zu können. Endet das Vertragsverhältnis, so steht der Kunde im schlimmsten Fall ohne Nutzungsberechtigung da. Je nach Art der Lizenzbedingungen muss er vielleicht auch nur Nutzerplätze nachkaufen.

Große Sprengkraft liegt laut Glohr auch in der Übernahme von Teilen der IT-Assets durch den Provider. Bündelt der Dienstleister diese Ressourcen mit anderen, was meist der Fall ist, so lassen sie sich nur noch mit viel Aufwand entflechten, bewerten und eventuell zurückgeben.

Die für den Auftraggeber schwierigste Situation ist die, dass er sich im Zuge des Outsourcing-Abkommens von einer nennenswerten Zahl seiner Mitarbeiter und ihrem Know-how getrennt hat. "Das ist quasi ein Point of no Return", lautet das Urteil des Meta-Group-Experten Matzke. In dieser Konstellation sei der Dienstleister dem Kunden gegenüber "in der bequemeren Position". Allerdings sei es heute immer seltener notwendig, das Personal an den Provider zu übergeben, schickt der Meta-Group-Mann hinterher.

Darin bestärkt ihn Floth, indem er das Beispiel eines nicht genannten Kunden beschreibt: Dort müssten sich die Mitarbeiter erst nach einer Übergangszeit von drei Jahren entscheiden, ob sie im Unternehmen bleiben oder zum Dienstleister wechseln wollen. Auf diese Weise sei ein sanfter Übergang möglich.

Trennung ist ein Projekt

Auch die Trennung zweier Outsourcing-Partner lässt sich nicht abrupt bewerkstelligen. Eine Vereinbarung, die mehr als das Papier wert ist, auf das sie gedruckt wurde, enthält nicht nur die finanziellen und eigentumsrechtlichen Modalitäten für die Rückführung der ausgelagerten Leistung. Vielmehr beschreibt sie auch die damit verbundenen Abläufe. "Der Vertrag sollte das Ausstiegsprojekt bereits vorzeichnen", fordert Gartner-Analyst Dück.

Wer muss was an wen zurückgeben? Welche Kosten entstehen, und wer trägt welchen Teil davon? Diese Fragen drängen sich auf. Mindestens ebenso wichtig ist es jedoch, zu wissen, wie die Anwendungen übergeben werden sollen. "Auch bei einer fristlosen Kündigung muss es ein Migrationsprojekt geben", stellt Dück klar. Der Nachfolger des aktuellen Dienstleisters sollte in der Lage sein, die Aufgabe nahtlos weiterzuführen. Was das konkret bedeutet, ist allgemein im Rahmenvertrag und aufgabenspezifisch in den Servicevereinbarungen festzuschreiben: Fordert der Rahmenvertrag beispielsweise die Übergabe in einer "angemessenen" Zeit, so spricht die Servicevereinbarung vielleicht von "zwei Monaten".

Last, but not least sind auch die Service-Levels während der Übergangsphase zu bestimmen. Schließlich vermag kaum ein Unternehmen auch nur zwei Tage lang ohne IT-Unterstützung auszukommen. Je exakter diese Regelungen im Vertrag formuliert sind, desto weniger schmutzige Wäsche müssen die Noch-Partner waschen. Erfahrene Berater wie Dück ahnen allerdings: "Ohne Streit wird das wohl nie ausgehen."

Hier lesen Sie ...

- für welchen Zeitraum Outsourcing-Verträge heute geschlossen werden,

- warum sie manchmal schon vor In-Kraft-Treten überholt sind,

- aus welchen Gründen die Abkommen scheitern können,

- welche Streitfragen sich dann erheben,

- was zu tun ist, um den Übergang möglichst weich zu gestalten.

Checkliste

Endet die Outsourcing-Partnerschaft, sollten Vereinbarungen zu folgenden Punkte getroffen sein:

- Kündigungsfristen,

- eventuelle Vertragsstrafen,

- Software und Dokumentationen,

- Nutzungsrechte,

- Bewertung der Assets,

- Verbleib des Pesonals,

- Zeitplan für die Rückführung,

- Definition eines Migrationsprozesses,

- Service-Levels für den Übergang sowie

- Aufteilung der Kosten.

Abb: Was folgt auf das Vertragsende?

Sechs von zehn der Outsourcing-Kunden wollen den Vertrag mit ihrem Provider nicht verlängern, so die PA Consulting Group in ihrer Studie "IT-Outsourcing: Zeit für einen Sinneswandel". Quelle: PA Consulting Group