Die geplante Green-Card-Regelung ist nicht attraktiv genug

"Osteuropäische Spezialisten werden uns nicht gerade überrennen"

21.04.2000
Während Ex-Zukunftsminister Jürgen Rüttgers die Green-Card-Initiative der Bundesregierung torpediert, fragen sich Personalexperten, ob sich genügend ausländische Fachkräfte nach Deutschland locken lassen. Alexandra Glasl und Bettina Wirth im CW-Gespräch mit Roman Hummelt, Geschäftsführer der Unternehmensberatung IMC International Management Consultants.

CW: Herr Hummelt, Sie sind bereits seit 15 Jahren in Osteuropa unterwegs, um für deutsche Unternehmen Führungskräfte zu suchen. Wie ist die Green-Card-Initiative in den osteuropäischen Ländern angekommen?

HUMMELT: Das Thema sprach sich in Windeseile herum. Die Resonanz von jungen Computerspezialisten, die darin eine enorme Verdienst- und Karrieremöglichkeit sehen, ist sehr positiv. Zögerlicher reagieren diejenigen, die Familie haben. In den Institutionen ist die Reaktion äußerst verbittert. In einem Gespräch hielten mir Unternehmensvertreter vor: "Wir versuchen uns hier hochzustrampeln, und ihr holt uns unsere besten Leute weg."

CW: Was halten Sie von dem Ansinnen der Bundesanstalt für Arbeit, sich selbst in den Anwerbungsprozess einzuschalten?

HUMMELT: Wenn die Bundesbehörden den Versuch machen sollten, das Problem mit den Behörden im Ausland auf hoheitlicher Ebene zu lösen, dann können wir die ganze Sache vergessen. Das führt in den Wald, denn hier besteht ein direkter Zielkonflikt: Das Bestreben, die besten Leute in die Bundesrepublik zu holen, widerspricht den Bemühungen des Auswärtigen Amtes, gute Beziehungen zum jeweiligen Land zu pflegen.

CW: Die Initiative sieht vor, dass die IT-Experten spätestens nach fünf Jahren wieder in ihre Heimat zurückkehren. Müsste man den Menschen nicht die Perspektive eröffnen, langfristig in Deutschland bleiben zu können?

HUMMELT: Die Fachkräfte nach fünf Jahren wieder nach Hause zu schicken, halte ich für unrealistisch. Menschen, die sich länger als drei Jahre in einem anderen Kulturkreis aufhalten, verlieren die Bindung an ihr Herkunftsland. Um es mit einem russischen Sprichwort zu sagen: "Der Bär kann sich das Fell nicht waschen, ohne nass zu werden." Wenn Topkräften nur befristeter Aufenthalt gewährt wird, ist es schwierig, sie für eine Tätigkeit in Deutschland zu motivieren.

CW: Ein weiterer Haken der Green-Card-Regelung ist, dass nur die Experten, aber nicht ihre Familien in die Bundesrepublik kommen dürfen.

HUMMELT: Wenn die Computerprofis sich für drei oder fünf Jahre von der Familie und ihren Freunden verabschieden sollen, muss das Jobangebot in finanzieller Hinsicht ausgezeichnet sein. Gute Softwareentwickler, gerade in den speziellen Wachstumsbereichen, verdienen auch in der Ukraine oder in der Russischen Föderation im Landesmaßstab sehr viel Geld. Das können auch 2000 Dollar im Monat sein.

CW: Der Vorwurf der Green-Card-Gegner, dass die Unternehmen auf diese Weise die Gehälter in der Branche drücken wollen, stimmt also nicht?

HUMMELT: Wir werden sicher keine Billigkräfte ins Land holen. Die Unternehmen möchten das vielleicht, können es aber nicht. Es ist politisch nicht durchsetzbar, für Fachkräfte aus dem Ausland eine Billigschiene zu fahren. Das wird der Gesetzgeber sehr wohl zu verhindern wissen.

CW: Mit welchen Mitteln?

HUMMELT: Wenn der Jobsuchende eine Arbeitserlaubnis beantragt, muss den zuständigen Behörden ein Arbeitsvertrag vorgelegt werden, in dem eine exakte Stellenbeschreibung und das Gehalt aufgeführt sind. Und das wird von den Behörden geprüft.

CW: Wie kommen Sie an die Kandidaten?

HUMMELT: Bisher haben wir in erster Linie Führungskräfte gesucht, an die wir nur über informelle Wege, also Insiderkontakte, herankamen. Durch die Green-Card-Initiative stehen wir vor einer neuen Situation. Wir haben unsere Kontakte genutzt, um auf die neuen Möglichkeiten aufmerksam zu machen, haben in Zeitungen inseriert, dass sich etwas tut. Im Internet haben wir auf Russisch und in anderen Sprachen das bisherige Verfahren, die geplanten Änderungen und die Bewerbungsvoraussetzungen dargestellt. Vor allem in der Russischen Föderation und der Ukraine fragen wir die Bewerber auch gleich, ob ihnen schon einmal ein Visum für die Bundesrepublik verweigert wurde. So wollen wir herausfinden, ob sie auf einer schwarzen Liste stehen. Wenn jemand in der Bundesrepublik zum Beispiel dabei erwischt wurde, wie er bei Rot über die Straße gelaufen ist, dann besteht die Gefahr, dass er wegen dieser an sich geringen Verfehlung im Computersystem der Deutschen Botschaft erfasst ist. Dann hat er kaum eine Chance auf ein Visum. In anderen Ländern wie Ungarn oder Polen sind Visa kein großes Problem.

CW: Wie hoch schätzen Sie das Interesse bei den osteuropäischen Computerprofis ein?

HUMMELT: Wir haben Anfragen. Unsere Mitarbeiter vor Ort, die den psychologischen und fachlichen Background haben, beginnen mit der Vorauswahl. Dabei wird sich aber herausstellen, dass wir von Bewerbern nicht gerade überrannt werden. Wir prüfen in unseren Assessment-Centern auch die Belastbarkeit der Kandidaten. Gerade in der IT-Branche ist die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn manchmal dünn gezogen. Wer sein gesamtes persönliches Umfeld wechselt, muss psychologisch stabil sein, sonst würde er den Kulturschock nicht überstehen.

CW: Ist der Wohlstand das größte Problem für Osteuropäer, wenn sie nach Deutschland kommen?

Hummelt: Reichtum sehen sie in Osteuropa auch. Da fahren zum Teil mehr Mercedes 600 herum als bei uns. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass das Anspruchsdenken mit der Dauer des Aufenthalts exponential steigt. Es werden bisweilen Forderungen gestellt, die in keinem Verhältnis mehr zum tatsächlichen Erfolg stehen. Hier ist interkulturelles Personal-Management gefordert.

CW: Zum Thema Sprache: Wie realistisch ist die Erwartung der Industrie, dass ausländische Experten nicht nur für die Programmierung, sondern auch für die Implementierung beim Kunden eingesetzt werden können?

HUMMELT: Der Einsatz als Programmierer ist meiner Ansicht nach unproblematisch. Die Entwicklungssprache ist sowieso Englisch. Ich halte aber nicht viel davon, die betreffenden Fachleute auch zum Kunden zu schicken. Zum einen sprechen Experten aus der Russischen Föderation äußerst selten Deutsch. In Ungarn oder der Tschechischen Republik sieht es diesbezüglich etwas besser aus. Zum anderen müssten Berater, die die Lösungen beim Kunden einführen, die Geschäftsprozesse der betreffenden Branche sehr gut kennen. Das trifft bei den Kandidaten, die über die Green-Card-Initiative nach Deutschland kommen werden, nur eingeschränkt zu. Diese Branchenkenntnisse lassen sich auch nicht so rasch anlernen.

CW: Die Unternehmen sind Ihrer Meinung nach also nicht bereit, viel Zeit in die Kandidaten zu investieren?

HUMMELT: Natürlich muss in der Anfangsphase auf die Mentalität der neuen Mitarbeiter eingegangen werden. Sie müssen sprachlich geschult und in die Projekte eingeführt werden. Das ändert aber nichts daran, dass der Spezialist schon nach einem halben Jahr produktiv sein muss. Wir haben ja eine Begrenzung der Arbeitserlaubnis auf drei bis fünf Jahre.

CW: Sie sagten, Englischkenntnisse sind bei Programmierern Standard. Sind die USA dann nicht das attraktivere Land für ausländische Spezialisten?

HUMMELT: Doch. Die Amerikaner sind unsere schärfsten Wettbewerber. Es ist einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren in den Vereinigten Staaten, dass dort die Spitzenleute aus den unterschiedlichsten Kulturen zusammentreffen und gemeinsam neue Ideen entwickeln. Die Amerikaner sehen das pragmatisch und argumentieren mit dem Geschäftserfolg. Die Green Card räumt den Zuwanderern in den USA viel mehr Rechte ein, als es bei uns vorgesehen ist. Dort bringen die Experten ihre Familien mit. Unser Begriff Green Card baut falsche Illusionen bei den ausländischen Experten auf.

CW: Reicht die Initiative nicht weit genug?

HUMMELT: Die Initiative und die Diskussion, die durch sie in Gang kam, ist sehr wichtig. Wenn wir uns aber in dem Bereich keine offenere, internationale Perspektive zulegen, werden wir im Wettbewerb um die besten Köpfe deutlich das Nachsehen haben.

CW: Können unter diesen Prämissen die von der IT-Industrie geforderten 20000 Computerspezialisten im Ausland überhaupt gefunden werden?

HUMMELT: Wir haben tatsächlich größte Mühe, die entsprechenden Leute zu finden. Hoch talentierte Kräfte sind überall gesucht. Wir lösen das Problem noch typisch deutsch. Eigentlich sollten wir jenen Menschen, die sich für eine Tätigkeit in Deutschland interessieren, nicht nur eine berufliche Perspektive bieten, sondern auch die Chance, später einmal mit ihren Familien hier zu leben.

IMC im ProfilDie Unternehmensberatung IMC International Management Consultants mit Sitz in Berg am Starnberger See ist auf Führungskräftesuche und Geschäftsentwicklung in Ostmittel- und Osteuropa spezialisiert. Die Beratungsfirma übernimmt die Suche, Auswahl und das Coaching von Führungskräften aus dem Ausland. IMC berät Joint Ventures in Osteuropa, deren Experten in deutschen Partnerunternehmen tätig werden sollen. Roman Hummelt, Jahrgang 1951, beschäftigt sich seit den 80er Jahren mit deutschen Joint Ventures und Tochterunternehmen im Ausland, seit 15 Jahren mit dem Schwerpunkt Osteuropa. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler ist seit 1993 Geschäftsführer von IMC.