Günstige Kosten und mehr Flexibilität

Osteuropäer locken mit billigen IT-Diensten

23.07.2004
MÜNCHEN (jha) - Die osteuropäischen Länder bieten sich zunehmend als mögliche Standorte für den IT-Betrieb an. Neben den günstigen Kosten ist vor allem die Möglichkeit, schnell auf Kapazitätsschwankungen zu reagieren, das wichtigste Argument für die Verlagerung von Arbeit.

Wohin gehen, wenn ein neues Call-Center errichtet werden soll? Der IT-Dienstleister EDS Deutschland stand vor eben dieser Frage und rechnete nüchtern die Varianten Deutschland und Ungarn durch. Der Anbieter kam dabei zu einem Ergebnis, das nicht so eindeutig ausfiel, wie angesichts der verbreiteten Diskussion um Arbeitsplatzverlagerungen zu erwarten wäre. Verglichen wurden die Standorte Cottbus und Budapest. "Das Lohnniveau in Ungarn ist gemessen an Deutschland etwa 20 bis 30 Prozent günstiger", bilanziert Hagen Rickmann, als Vice President bei EDS für das Portfolio-Management in Zentraleuropa zuständig. "Allerdings beträgt die Inflationsrate in Ungarn etwa acht bis zehn Prozent, und in Deutschland beläuft sich auf knapp 1,2 Prozent. Bedingt durch die Teuerungs- und Lohnsteigerungsrate wird Ungarn den Kostenvorteil in zwei bis drei Jahren aufgezehrt haben."

Flexibilität entscheidet

Für Cottbus sprachen die günstigeren Büromieten und dass es dort leichter wäre, für den Telefondienst Mitarbeiter zu finden, die akzentfrei Deutsch sprechen. Außerdem gab es Zusagen des Landes Brandenburg und der Stadt, Zuschüsse zu den Investitionen zu gewähren, sowie weitreichende Hilfsangebote etwa für die Mitarbeiter- und Immobiliensuche.

Dennoch hat sich EDS in einem ersten Schritt dazu entschlossen, den User Helpdesk für die PC-Betreuung der Kunden in der ungarischen Hauptstadt zu errichten, weil Nutzer von technischen Diensten wie Helpdesk-Services weniger Wert auf akzentfreie Sprache legen. "Wir sind dort flexibler und können schneller auf Kapazitätsschwankungen reagieren. Erfahrungsgemäß unterliegt das Geschäft mit User-Helpdesk-Services schnellen Änderungen", argumentiert Rickmann. Im Klartext heißt dies, man bekommt Mitarbeiter leichter wieder los als in Deutschland.

Cognis lagert Programmierung aus

Gute Erfahrung mit IT-Diensten aus einem neuen osteuropäischen EU-Mitgliedsland hat die Cognis-Gruppe gemacht. Das Unternehmen musste 1999 eine neue IT-Landschaft installieren. Cognis wurde damals als Anbieter von Spezialchemie aus dem Henkel-Konzern herausgelöst und später an eine Investment-Gruppe verkauft. Mit der gesellschaftsrechtlichen Trennung kappte Henkel auch die IT-Versorgung der einstigen Tochter. Für die Cognis-Verantwortlichen tat sich damit allerdings auch die Perspektive auf, die IT neu ausrichten zu können ohne Rücksicht auf Altlasten nehmen zu müssen. "Wir haben uns im Vorfeld des Projekts gefragt, was unsere Kernkompetenzen sind und welche Fähigkeiten wir mit eigenem Personal abdecken wollen. Die Abap-Programmierung gehört nicht dazu", sagte Ralf Stalinski, CIO der Cognis-Gruppe, Düsseldorf.

In der Folge startete der Hersteller, der in rund 30 Ländern mit zirka 8500 Mitarbeitern vertreten ist, unter Mithilfe des Beratungshauses Capgemini ein Projekt zur SAP-Einführung, an dem zeitweilig bis zu 150 Experten beteiligt waren. "Die wesentlichen Gründe für die Auslagerung der Abap-Programmierung nach Wroclaw (Breslau) in Polen waren Kosten und Flexibilität", erinnert sich Stalinski. "Im Rahmen einer SAP-Einführung schwankt der Bedarf an Entwicklungsarbeiten häufig und stark. In Spitzenzeiten haben wir 15 polnische Arbeitskräfte eingesetzt, derzeit sind es drei."

Anfangs übergaben die Cognis-Mitarbeiter nur einfache Aufgaben an die Entwickler in Polen, mittlerweile verantworten die dortigen Kollegen 70 bis 80 Prozent der Programmiertätigkeiten. Damit das Zusammenspiel möglichst reibungslos klappt, waren die wichtigsten polnischen Teamleiter vier Wochen in Düsseldorf, um gemeinsam Prozesse, Kommunikationswege und vor allem Dokumentationsstandards zu vereinbaren. "Anfangs stießen wir damit bei unseren Mitarbeitern in Deutschland auf Widerstand. Die Vorbehalte betrafen vor allem die umfangreichen Dokumentationsanforderungen, die als unnötiger Mehraufwand betrachtet wurden. Es hat sich aber herausgestellt, dass wir dadurch eine deutlich bessere Qualität erzielt haben. Das gilt nicht allein für die Dokumentation. Auch die Programme wurden dadurch besser, und die Iterationszyklen, also Nachbearbeitungsschritte, haben sich deutlich reduziert", schildert Stalinski.

600000 Euro gespart

Auch finanziell hat sich die Entscheidung ausgezahlt. Insgesamt 1500 Manntage wurden bislang in dem von Capgemini betriebenen Entwicklungszentrum in Wroclaw für Cognis geleistet. Stalinski beziffert die dadurch erzielten Einsparungen auf rund 600000 Euro pro Jahr. "Wir haben im Vorfeld spezialisierte örtliche Dienstleister in Niedriglohnländern geprüft, uns aber letzten Endes für das Capgemini-Angebot entschieden. Wir wollten den Service aus einer Hand, zudem hat Capgemini Erfahrung in diesem Bereich und uns sehr gute Konditionen angeboten", lobt Stalinksi.

Die Beispiele EDS und Cognis zeigen, dass zurzeit vornehmlich technische Dienste in Nearshore-Länder verlagert werden. Wesentlich für den erfolgreichen Betrieb eines solchen Projektes sind standardisierte Abläufe. Die Grenzen der Nearshore-Angebote zeigen sich im Bereich der Call-Center-Dienste, wo es auf qualifizierte Beratung und Betreuung durch akzentfrei sprechende Agenten ankommt. Hier hält EDS den Standort Cottbus nach wie vor für eine Option. "Nachholbedarf für Deutschland besteht sicher bei der Flexibilisierung des Arbeitsrechts, so dass wir schneller auf Marktschwankungen reagieren können", fordert Rickmann. "Zudem sollte sich die Servicekultur hierzulande noch weiterentwickeln. Sie muss den Kunden stärker in den Mittelpunkt stellen."

Hier lesen Sie ...

- wie der Kostenvorteil der Niedriglohnländer schrumpft,

- wie die im Vergleich zu Deutschland weniger strengen Arbeitsgesetze in Osteuropa Entscheidungen beeinflussen,

- welche Dienste in andere Länder vergeben werden,

- welche Erfahrungen das Anwenderunternehmen Cognis gemacht hat.

Indien oder Russland?

Im weltweiten Offshore-Markt ist Indien eine Macht. Der Wert der vom Subkontinent exportierten IT-Dienstleistungen belief sich im vergangenen Jahr auf 12,5 Milliarden Dollar. Für 2004 rechnet der indischen Verband Nasscom mit einem Anstieg der Ausfuhren um 28 Prozent. "Genau wie Indien in Südostasien dominiert Russland in Europa den IT-Services-Markt", analysiert Oleg Brodski, Senior Manager bei Ernst & Young. Der Vergleich mag stimmen, doch Indien spielt in einer anderen Liga: Russlands IT-Dienstleister erzielte im vergangenen Jahr Schätzungen des Verbands Fortruss zufolge Einnahmen von rund 500 Millionen Dollar, andere Berechnungen belaufen sich auf 300 bis 400 Millionen Dollar. Das Geschäft wächst pro Jahr um rund 50 Prozent.

Programmierservices gibt es auch in Weißrussland und der Ukraine. Für deutsche Unternehmen bieten sich vor allem Tschechien, Polen und Ungarn an. Weiter Anbieter kommen aus Rumanien und Bulgarien. "Vernünftig aufgestellte Offshore-Projekte bringen Einsparungen von 20 bis 40 Prozent - und das ist das schlagende Argument", sagt Brodski. Qualitativ knüpfen die Osteuropäer an die Tradition der Inder an und lassen sich zunehmend nach dem Standard Capability Maturity Model (CMM) des Software Engineering Institute zertifizieren.