Gespräch mit Henning Oldenburg über die Ziele der Open Software Foundation (OSF):

OSF-Europa-Chef unterstreicht Unix-Primat

12.08.1988

CW Bericht, Roland Schubert

Ein Experte für Integration steht jetzt der OSF Europa vor: Henning Oldenburg, bislang auf der Nixdorf-Gehaltsliste, ist in OSF-Sachen Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederwerbung unterwegs. Sein Integrations-Know-how wird Oldenburg brauchen, sind doch bislang die unterschiedlichsten Spezies "DV-Unternehmen" in der Stiftung vertreten. Eine allerdings fehlt noch: Ein "echter" Anwender konnte sich noch nicht zur Mitgliedschaft entschließen.

Doch an der Mitarbeit kompetenter Anwender ist dem "Softwarehaus" OSF - wie sich die Organisation seit kurzem selbst sieht - natürlich gelegen. Dabei kommt der kleine und mittlere Anwender nicht in Betracht. OSF-Europa-Chef Oldenburg: "Der Markt, der von offenen Systemen profitiert, ist nicht der Mittelstandsmarkt." Nach dem Verständnis der OSF sind die Großanwender die potentiellen Nutznießer eines Marktes offener mittlerer Rechnersysteme.

Die Anwender, die für ihre Mitgliedschaft bis zu 25 000 Dollar hinlegen müssen, sollten aufgrund ihrer Ressourcen schon etwas "zu dem Thema" beitragen können. "Wir möchten", präzisiert Oldenburg, "Großanwender als Mitglieder, die Rechner mittlerer Größe in Netzen einsetzen. Das muß nicht einmal unter Unix sein."

Unternehmen, die heute eine langfristige Strategie des Einsatzes der Datenverarbeitung verabschieden müssen, können dies nicht mehr auf der Basis geschlossener Architekturen machen. "Kein Anwender schließt sich heute noch freiwillig von den im Gegensatz zum Softwaremarkt deutlich kürzeren Hardware-Innovationszyklen aus, es sei denn, es gibt dafür zwingende Gründe", hofft Oldenburg.

Derartige Gründe spielen beispielsweise bei Mainframe-Kaufentscheidungen eine Rolle. Oldenburg: "Auf PCM-Anbietern mit ihrem geringen Marktanteil kann ich keine langfristige Strategie aufbauen." Im sogenannten kommerziellen Unix-Markt sieht der OSF-Manager die Gefahr einer IBM-Dominanz nicht.

Die Marktsituation unterscheide sich wesentlich von dem frühen 360-Markt.

"Wir haben keinen unbeackerten Markt, den man an sich reißen kann", so Oldenburg. "Wir haben einen Markt, der seit Jahren von ernstzunehmenden Unternehmen beackert wird." Auch die Gefahr, IBM könnte die OSF vor den eigenen Karren spannen und so einen für Big Blue noch nicht erschlossenen Markt langfristig unter Kontrolle bringen, mag der Ex-Nixdorfer nicht sehen: "Der Unix-Markt ist für IBM noch unbedeutend, und IBM ist im Unix-Markt noch unbedeutend."

Doch, Zufall oder nicht, als Basis für das OSF-Produkt wählte das Entscheidungsgremium ("Jeder hat hier gleiches Gewicht") AIX, das Unix-Derivat der IBM, als Grundlage eines zukünftigen OSF-Produktes aus. Laut Oldenburg hat die Open Software Foundation eine AIX-Version von Big Blue gekauft, die kompatibel zur Unix-Version 5.3 ist und auf Lizenzen der Version 5.2 basiert.

Dieses Produkt habe den größten Teil der Anforderungen erfüllt, die die OSF gestellt habe. Dabei gesteht Oldenburg zu, daß die Entscheidung für das IBM-Derivat auch andere als qualitative Kriterien gehabt haben könnte. "Der Verdacht liegt nahe", sinniert der OSF-Mann, "aber es war wirklich eine durch und durch sachliche Entscheidung."

Technisches Know-how fast zum Nulltarif

Inzwischen kommt Leben in die OSF-Szene. Mit der Ausschreibung für eine grafische Benutzerschnittstelle (siehe CW 32, Seite 1) hat sich die Gesellschaft einen engen Zeitplan gesetzt. Bis zum 16. September haben die 1600 angeschriebenen Unternehmen Zeit, ihr Konzept für das erste OSF-Produkt einzureichen.

Bis zu einer öffentlichen Veranstaltung vom 25. bis 28. September in Boston sollen aus den eingegangenen Vorschlägen rund 20 Produkte ausgewählt worden sein, die dann in Arbeitsgruppen diskutiert werden sollen. Anschließend wird die OSF in nicht-öffentlicher Veranstaltung das "ideale" User-Interface konzipieren, dessen endgültige Spezifikationen Ende November veröffentlicht werden sollen.

Sie bilden die Grundlage für die Unternehmen, die ihre Vorschläge in Boston präsentierten, sich zu den Möglichkeiten der Modifikation des eigenen Konzeptes zu äußern. Etwa ab Mitte Dezember beginnt der Countdown für das Unternehmen, dessen Produkt letztlich ausgewählt wurde: Mitte Juli 1989 muß geliefert werden.

Bedenken an diesem Verfahren, das der OSF wahrscheinlich eine Menge technischen Know-hows fast zum Nulltarif beschert, hat OSF-Europa-Chef Henning Oldenburg nicht: "Es steht jedem frei, sich daran zu beteiligen."

Und an dem Gedanken, daß seine Organisation damit erhebliche Entwicklungskosten spart, findet er nichts Schlimmes. "Das ist ja das Ziel", gibt Oldenburg unumwunden zu.

Dieser gegenüber anderen Softwarehäusern deutliche Wettbewerbsvorteil ist wohl der Lohn/Preis für die hehren Absichten der OSF. "Wir wollen eine portable Anwendungsumgebung auf Unix-Basis schaffen", formuliert Oldenburg das OSF-Ziel. Bei aller Unklarheit über die Zukunft macht der Integrations-Experte aber den Anwendern Mut: "Niemand muß sich heute Gedanken darüber machen, sich für Unix zu entscheiden. Was immer auch AT&T oder OSF tun: Basis ist Unix 5.3."

Und: "Drei Dinge hat die OSF bereits bewirkt. Es gibt erstens ein deutliches Bekenntnis von IBM und DEC zu offenen Systemen auf der Basis von Unix. Wir haben zweitens die Anwender aufgeschreckt, daß es mit der Standardisierung im Unix-Markt so weit nicht her sein kann und drittens wird sich durch die Gründung der OSF die Zahl der Unix-Derivate deutlich verringern."

Bleibt der künftige Umgang der OSF mit AT&T. Der OSF-Manager: "Ich glaube, daß das schnell über die Bühne geht. Die Unklarheiten im Umfeld der OSF könnten sich bis zum Ende des Jahres aufgeklärt haben." "Da bin ich", schließt Oldenburg, "ziemlich optimistisch."