Probleme bei Umstellung unterschätzt

OS/2 Warp Server integriert heterogene Systemwelt

20.09.1996

Die international tätige Maschinen- und Apparatebau-Firma Werner Rietschle GmbH setzt rund fünfzig PCs ein, die mit RISC- und Host-Systemen kommunizieren. Die verschiedenen Betriebssysteme und Anwendungen hat das Unternehmen nun auf einer einzigen Plattform, dem OS/2 Warp Server, konsolidiert.

In Schopfheim, dem Hauptsitz des Unternehmens, verbindet ein Glasfaserkabel das Verwaltungsgebäude einschließlich Montage und Fertigung mit Büros in angemieteten Räumen sowie der Gießerei, dem Service Center und der Fertigung im Ortsteil Fahrnau über einen 4- Mbit/s-Token-Ring. In Kürze wird dieser auf 16-Mbit/s-Betrieb umgestellt. IBM 8229-Bridges unterteilen den Token Ring transparent in Segmente, aus Administrationssicht handelt es sich also um ein einziges LAN.

Token-Ring-Netzwerk wird auffrisiert

Rietschle weist eine heterogene Systemlandschaft auf, bei der historisch bedingt der Großrechner im Mittelpunkt steht. Das Hostsystem besteht aus einem IBM 390 CMOS-Rechner mit RA2, 256 MB Hauptspeicher und 35 GB Ramac-Platten, 13 Steuereinheiten des Typs 3174, rund 250 Terminals und etwa 50 Druckern, sowie zwei Kassettensystemen mit dazugehöriger Verwaltung, und ist über einen 3174-Controller an den Token Ring angeschlossen.

Für 3D-CAD/CAM-Anwendungen befinden sich zur Zeit 14 CADAM- Arbeitsplätze "IBM 5085" und "5086" sowie vier RISC-Stationen im Einsatz, zu denen vier weitere hinzukommen, die ebenfalls Teil des Token-Ring-Netzes sind. Wegen der derzeit noch geringen Datenübertragungsrate von 4 Mbit/s hat man die Anwendungen und das Betriebssystem AIX auf jeder Station lokal installiert, lediglich die Benutzerdaten liegen zentral auf dem "RS/6000"-Server.

Rund 50 PCs sind mit unterschiedlichen Aufgaben in den Token Ring eingebunden. Zehn Stationen, die unter LAN-Server 3.0 laufen, steuern die NC-Maschinen im Werk Schopfheim und in der Fertigung in Fahrnau. Die restlichen 40 PCs verwenden neben DOS und Windows Novell Netware als Netzwerkbetriebssystem und werden bei der Apparatebaufirma für Büroanwendungen wie "Microsoft Office" oder Einzellizenzen von "Word" und "Excel", aber auch für Zeiterfassung, Qualitätssicherung und Terminalemulation benutzt.

Für die Qualitätssicherung setzt Rietschle in Schopfheim und in Fleurier eine Software der Firma Quados ein. Sie wird in der Fertigung, der Montage, zur Qualitätsprüfung, für Meßvorgänge, zur Wareneingangsprüfung und Prüfmittelverwaltung verwendet. Bei Quados handelt es sich um eine Clipper-Datenbank-Anwendung.

Auch in der ausländischen Produktionsstätte Fleurier, Schweiz, befindet sich ein 4-Mbit/s-Token-Ring. Bis Ende 1995 hat das Unternehmen eine AS/400 als Gateway nach Schopfheim benutzt und dann gegen einen PC mit "Communication Manager/2"-(CM/2-)Software ausgetauscht. Anfang 1996 löste ein LAN-Server-Netz das ursprünglich für die Qualitätssicherungs-Software "Quados" konzipierte Netware-Netz ab.

Über einen Token Ring kommunizieren 27 Arbeitsstationen und ein dedizierter File-Print-Server. Als Anwendungen setzt das Unternehmen "MS-Office Pro", "Autosketch" und "3270"-Terminal- Emulationsprogramme ein. Für die NC-Steuerung ließ Rietschle einen RWT-Server installieren.

Mit dem Verkaufsbüro in Pratteln, Schweiz, kommunizieren die Anwender für die Fakturierung und Auftragsabwicklung mit einem speziell dafür eingerichteten Fax-PC. Das installierte Netware- Netz auf Ethernet-Basis benutzt den Novell-Server mit Netware for SAA als Gateway zum Schopfheimer Host.

WAN-Verbindung ins Reich der Mitte

Die Produktionsstätte in Zhenjiang, China, hat das Unternehmen 1994 als Joint-venture gegründet. IBM 8229-Bridges in Zhenjiang und Hongkong sowie eine 9,6-Kbit/s-Standleitung verknüpfen die beiden Token-Ring-Segmente. Aus Administrationssicht stellt sich so ein einziger Token Ring dar, der sich über die beiden entfernten Standorte erstreckt. Über einen 3174-Controller als Gateway in Hongkong kommuniziert dieser Token Ring dann ebenso wie die übrigen Niederlassungen per 9,6-Kbit/s-Leitung und "IBM Global Network" mit dem Schopfheimer Host.

Eine Neukonzeption war nötig, da die vorhandenen PC-Server nicht noch weiter ausgebaut werden konnten. "Die bisherige Novell- Installation stieß an ihre Kapazitätgrenzen. Deshalb kam es auch zu Instabilitäten im Netz", schildert Sabine Wetzel, Systemadministratorin der PC-LANs von Schopfheim und Fleurier, die Ausgangssituation. Die Entscheidung der Administratorin fiel auf eine Migration zum Warp Server, um die unterschiedlichen Betriebssysteme auf einer Plattform konsolidieren zu können.

Bisher liefen auf dem Token Ring das Hostsystem, Netware, die RISC-Stationen unter AIX und der LAN-Server 3.0, die alle in sich geschlossene Insellösungen waren und nicht miteinander kommunizieren konnten. Durch die räumliche Verteilung der Datenverarbeitung gestaltete sich das Aufspüren von Fehlern oft wie die Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen und kostete viel Zeit. Daher bestand der Wunsch nach einer homogenen Plattform, um von einer Station auf alle Server zugreifen, unterschiedliche Protokolle betreiben und über die räumlich verstreute Datenverarbeitung zentral von einer Konsole System-Management ausführen zu können. Ein einziges System gewährleiste auch, einen einzigen Hersteller als Ansprechpartner bei Problemen zu haben, argumentiert Wetzel.

Warum entschied man sich für Warp Server als Integrationsplattform und nicht beispielsweise für ein homogenes Novell-Netware- oder gar ein neues Windows-NT-Netz? In der NC-Steuerung hat das Unternehmen bereits Erfahrung mit dem LAN-Server gesammelt. Das eigenständige Novell-Netz bestand sogar noch länger als das NC- Netz. Beide liefen damals stabil. Beim LAN-Server überzeugte die Schopfheimer allerdings erst die Version 4 mit der objektorientierten, grafischen Bedienerführung für die Netzwerkverwaltung, welche die zeichenorientierte Oberfläche der Version 3 ablöste.

Weil Netware 3.11 bereits eingesetzt wurde, gab es Überlegungen, zu Netware 4.1 zu migrieren. Auch Windows NT war in der Diskussion. "Da die Host-Seite von IBM betreut wird und der Wunsch vorhanden ist, die PCs mit dem Host zu verschmelzen, liegt es aber nahe, hier mit IBM zusammenzuarbeiten", begründet Wetzel ihre Entscheidung für den OS/2 Warp Server. Eine einheitliche Plattform, Zugriff auf unterschiedliche Server und Multitaskingfähigkeit waren weitere Kriterien für diese Entscheidung.

Auch die Nutzung des Global Network bildete einen Grund für die starke Bindung mit IBM. Bei LAN-to-LAN-over-WAN schaltet der Betreiber beide LANs über ein CM/2-Gateway an das Global Network und bindet den IBM-Host über eine 3720-Schnittstelle an, so daß sowohl Server-zu-Server- als auch Host-Zugriffe von beiden LANs aus möglich sind. Sobald die Migration in Schopfheim abgeschlossen ist, wird geprüft, inwieweit man Daten austauschen und beispielsweise Fernwartung durchführen kann.

Zunächst war eine "harte" Migration beabsichtigt, die innerhalb eines Tages die Umstellung von Netware auf Warp Server vorsah, da der Novell-Server aus Kapazitätsgründen zusammenzubrechen drohte. Die Umstellung erwies sich allerdings als deutlich komplizierter als geplant. Mit den unterschiedlich ausgestatteten Clients, dem Alter der Geräte, den verschiedenen Betriebssystemen DOS und Windows, mit der Integration der bestehenden Datenbestände und Anwendungen hat die Migration wesentlich mehr Zeit in Anspruch genommen als vorherzusehen war.

Folge war eine "weiche" Migration, bei der das Unternehmen zunächst einen neuen PC für den Warp-Server angeschafft und in den Token Ring eingebunden hat. Gleichzeitig blieb der alte Novell- Server noch in Betrieb. Für die Terminalemulationen hat die Administratorin das CM/2-Gateway neu installiert, der das DOS-SAA- Gateway und den integrierten Novell-SAA-Server ersetzt. Da die Terminalemulation für die Kommunikation zum Host und damit für den laufenden Produktionsbetrieb essentiell ist, mußte man zunächst das neue und alte Gateway parallel betreiben. Wetzel ließ die einzelnen Stationen anschließend selektiv vom Novell-Server auf OS/2 Warp Server und das CM/2-Gateway migrieren sowie die betreffenden Nutzdaten vom Novell- zum Warp-Server portieren. Als komplizierter erwies sich diese Prozedur bei komplexen Datenbanken wie der Qualitätssicherungs-Software Quados. Diese konnte nur komplett mit allen beteiligten Clients übernommen und nicht selektiv migriert werden.

Systemview-Integration bereitet noch Probleme

Nach der Migration aller Stationen und der Entfernung des Novell- Servers läuft das Warp-Server-Netz nun seit einigen Wochen im regulären Produktionsbetrieb. Es folgt die sukzessive Einbindung von Stand-alone-PCs mit komplexer DOS-Software wie der REFA- Zeiterfassung und die Einbindung des NC-Programmier-Netzes in die neue Domäne. Erhebliche Probleme bestehen noch mit dem in Warp Server integrierten "Systemview" der Version 1.01. Bei der Neuinstallation des Servers wurden die bisherigen Einzelkomponenten Netfinity und DCAF entfernt und durch Sysview- Clients ersetzt. Da die vorliegende Version diverse Bugs enthält, läßt sich die Software derzeit nur sehr begrenzt und mit Performance-Einbußen einsetzen.

Applikationen für OS/2 sind leider Mangelware

Der Warp Server beinhaltet eine Funktion zur Software-Verteilung. Mit Configuration, Integration und Distribution (CID) kann man Software entfernt installieren. Eine Datei, die die Installationsfragen beantwortet, ersetzt den Dialog mit dem Benutzer. Mit der Warp-Server-Verteilungsfunktion kann man derzeit allerdings nur Anwendungsprogramme verteilen, keine Betriebssysteme. Hierfür plant das Unternehmen später der Einsatz des "Netview Distribution Servers".

Auch wenn die Migration bisher erfolgreich verläuft, sieht Sabine Wetzel nicht ganz unbeschwert in die Zukunft, weil neue Applikationen eher für Windows 95 und Windows NT entwickelt werden als für OS/2. So läuft beispielsweise die neue Microsoft Office- Version 4.3 als Windows-95-Programm schon nicht mehr unter OS/2. Dafür sieht sie für neue Projekte wie gemeinsame Groupware- Anwendungen mit Lotus Notes im OS/2 Warp Server eine gute Plattform.

Das Unternehmen

Die Werner Rietschle Maschinen- und Apparatebau GmbH, Schopfheim, ist ein Anbieter von Geräten und Systemen auf dem Sektor der Druckluft- und Vakuumtechnik. Die 1950 gegründete Firma betreibt heute drei verschiedene Fertigungsstätten und eine moderne Leichtmetallgießerei. Rietschle ist mit sechs Niederlassungen in Deutschland sowie mit 13 Tochtergesellschaften und weiteren Auslandsvertretungen in über 30 Ländern aktiv und beschäftigt insgesamt mehr als 1700 Mitarbeiter.

*Andreas Gillhuber ist freier Journalist in München.