Orwell läßt grüßen

20.01.1984

In der ersten Januarwoche stand es in der Zeitung. Der "große Bruder" legte sieben Stunden lang München lahm. Lange Menschenschlangen bildeten sich. Aufgebrachte Bürger schimpften im Stau. Deutschlands beliebtestes Kind - das Auto konnte nicht zugelassen werden; Bürger sich nicht an- oder abmelden. Zahlungswillige Münchner konnten ihren Obulus nicht an die Stadt entrichten.

Chaos wohin das menschliche Auge blickte . . .

In dieser Stunde versagte aber nicht nur die Maschine, sondern auch der Amtsschimmel.

Es wäre doch ein leichtes gewesen, die aufgebrachten Bürger zu beruhigen und die Verwaltung in ein günstiges Licht zu rücken. "Amnestie für alle Kunden" hätte die Devise lauten müssen. Den Leuten, die ein Auto anmelden wollten, hätte man einen Gutschein ausstellen können für eine einmalig kostenlose Anmeldung am nächsten Tag. Dazu eine Tasse wärmenden Tee, bereitgestellt durch die TÜV-Kantine, ein herzliches "Es tut uns leid, aber Orwell hat unrecht, was wir hiermit bewiesen haben!" und ein "Kommen Sie morgen zu uns, durch Ihren Zwangswandertag gesundheitlich gestärkt, und wir werden uns bemühen, Sie dann mit aller Sorgfalt bevorzugt zu bedienen!".

Der Kunde wäre, durch so viel menschliche Wärme, die er bei einer Behörde nie erwartet hätte, nachdenklich geworden und in aller Ruhe gegangen.

Bürgern, die sich abmelden wollten, hätte man sagen können, daß sie diese Phase doch zu ihrer eigenen Erbauung nutzen sollten, indem sie die Sehenswürdigkeiten Münchens, für die bisher keine Zeit war, besuchen könnten. Vielleicht würde dann eine Abmeldung am nächsten Tag gegenstandslos werden ob des neu entdeckten wunderschönen Münchens.

Für Neubürger bliebe das gleiche zu sagen wie für Leute, die die Landeshauptstadt verlassen wollten, mit dem kleinen Unterschied, daß diese in den Tee ein Gläschen Rum bekommen hätten.

Zahlungswilligen hätte man die Zahlung der Kosten erlassen können, und dafür dann keinen Tee ausgeschenkt, wodurch der Verlust durch das eingesparte Getränk etwas kompensiert worden wäre.

Jeder, dieser so behandelten Bürger, würde sagen, daß ein Computer eigentlich auch ganz lieb sein kann, wenn er kaputt ist. Gäbe es ihn andererseits aber nicht, so müßten diese Bürger stets so lange auf eine Abfertigung warten - ohne Tee (vielleicht sogar mit Rum), ohne Zahlungserlaß, ohne behördlich verordneten Bildungstag und vor allem ohne nette, von menschlicher Wärme durchdrungenen Worte.