Oracles Logistiklösung sticht SAP aus

17.01.2008
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Hellmann Worldwide Logistics gibt Oracle-Software aus strategischen und funktionalen Gründen den Vorzug.

Der Osnabrücker Logistikdienstleister Hellmann will seine Anwendungslandschaft in den kommenden Jahren weitgehend auf Oracle-Lösungen umstellen. Der Umstieg soll die gesamte Wertschöpfungskette umfassen, vom Customer-Relationship-Management (CRM) über das Auftrags-Management und die Buchhaltung bis hin zum Transport-Management, berichtet CIO Jürgen Burger. Den Ausschlag für Oracle hätten die bessere Strategie und die globalere Ausrichtung gegeben. Zudem verfüge der US-Konzern mit "Oracle Transportation Management" (OTM) über eine ausgereiftere Logistiksoftware. Die SAP-Lösungen könnten dagegen die Anforderungen der großen Transportunternehmen bislang nicht erfüllen, lautet Burgers Urteil.

Hellmann Worldwide Logistics

Hellmann ist weltweit mit 341 Niederlassungen in 134 Ländern vertreten. Der 1871 in Osnabrück gegründete Logistikdienstleister bietet neben den klassischen Speditionsservices per LKW, Luft- und Seefracht auch Kurierdienste und Warehousing an.

Mehr zum Thema

www.computerwoche.de

1221927: Oracle lüftet erste Fusion-Geheimnisse;

1848638: Oracle bringt sich für Fusion Applications in Stellung;

598078: ERP-Markt: Einer gegen alle - alle gegen einen;

589837: Edeka beschert SAP 200-Millionen Deal;

592565: Oracle droht bei Hochtief zu scheitern.

Ganz will sich der CIO allerdings nicht auf Oracle einlassen. "Bei Hellmann hat sich in den vergangenen Jahren funktional getrieben eine Insellandschaft entwickelt", beschreibt Burger die Ausgangslage. Viele Lösungen habe das Unternehmen in den zurückliegenden zehn Jahren selbst entwickelt. Damit sei man zwar fachlich gut aufgestellt gewesen. An der Integration zwischen den Anwendungen habe es jedoch vereinzelt gehapert. Beispielsweise hätten Kundendaten manuell eingebunden werden müssen. Zudem habe mit dem Wachstum des Unternehmens die Komplexität zugenommen. Zuletzt habe die IT-Abteilung 80 Prozent ihrer Arbeitszeit darauf verwenden müssen, das IT-System instandzuhalten. Das soll sich mit den Oracle-Lösungen ändern.

Wichtige Eigensoftware bleibt

Dennoch will Hellmann nicht alle Eigenentwicklungen in den Ruhestand schicken. Prozesse, in denen der Logistiker einen Wettbewerbsvorteil sieht, sollen auch in Zukunft mit selbst programmierter Software betrieben werden. Alle anderen Bereiche will das Unternehmen dagegen mit Standardsoftware abdecken. Auftrags-Management oder die Buchhaltung müsse man nicht selbst programmieren, sagt Burger. "Das kann Oracle besser." Deshalb werde die E-Business-Suite den künftigen Backbone der gesamten Anwendungslandschaft bilden.

Insgesamt bleibt allerdings unklar, inwieweit sich Hellmann im Kernbereich Logistik auf Oracle verlassen wird. Man sei stark interessiert an der weiteren Entwicklung von OTM, sagt der IT-Leiter. Im fünf Jahre dauernden Projektfahrplan steht die Station Transportation Management aber ganz am Ende. Zunächst will Burger das CRM-System sowie die Verwaltung der Kundendaten umstellen. Es folgen das Auftrags-Management und die Buchhaltung. Erst danach kämen die eigentlichen Logistikanwendungen an die Reihe.

Welche Version von OTM letztlich zum Einsatz kommen wird, ist nicht abzusehen. Der Softwareanbieter baut derzeit seine gesamte Anwendungspalette um. Noch im ersten Halbjahr 2008 sollen erste Module der neuen "Fusion"-Generation auf den Markt kommen. Den Anfang machen Softwarebausteine für Sales Force Automation (SFA). Die Applikationen sollen auf einer Service-orientierten Architektur (SOA) aufbauen. Wann eine Fusion-Version von Oracles Logistikanwendungen herauskommt, will der Konzern noch nicht verraten.

Bisher macht sich Burger keine Gedanken über Oracles Release-Politik, da die Logistikanwendungen erst in gut zwei Jahren auf der Tagesordnung stehen. Dagegen spielt das Thema SOA für den CIO gerade hinsichtlich des Integrationsaspekts eine wichtige Rolle in seinen IT-Planungen. Dabei geht es darum, die eigene weit verzweigte Anwendungslandschaft zu integrieren und für einen reibungslosen Informationsfluss zu den Kunden zu sorgen.

Darüber hinaus will Hellmann verstärkt auch andere Oracle-Produkte verwenden. Im Einsatz ist bereits die Datenbank. Für ein unternehmensweit einheitliches Informationsmodell soll der darauf aufbauende Customer Data Hub sorgen. Außerdem plant das Unternehmen, in Zukunft Oracles Entwicklungs-Framework einzusetzen.

Den Aufwand für das Vorhaben vermag Burger bislang nicht exakt zu taxieren. Zwar seien die Kosten für 2008 bekannt. Für die kommenden vier Jahre existierten jedoch nur Schätzungen. Insgesamt gehe das Unternehmen von einem zweistelligen Millionenbetrag aus. Der Oracle-Umstieg ist Teil des weiter gefassten IT-Projekts "Hellmann Information and Organization System" (Helios). Ziel dieses Vorhabens ist die Vereinheitlichung der Anwendungslandschaft sowie ein konsistentes Daten- und Informationsmodell.

Für Oracle ist der Hellmann-Deal in zweierlei Hinsicht wichtig, sagt Christian von Stengel, verantwortlich für Oracles Applikationsgeschäft in Deutschland. Speziell hier, wo SAP besonders stark ist, habe ein Geschäft die-ser Größenordnung durchaus Leuchtturm-Charakter. Außerdem schärfe Oracle damit global seine Branchenkompetenz im Logistikbereich. Der Konzern richtet seine Anwendungsstrategie zunehmend nach einzelnen Branchen aus. Dazu haben die Oracle-Verantwortlichen in den vergangenen Jahren Milliarden Dollar in Übernahmen gesteckt. Beispielsweise kaufte der Konzern mit Retek Handels-Know-how und über die Mehrheitsbeteiligung an iFlex Branchenwissen im Bankenbereich zu. Auch die Logistiklösung hat der Anbieter eingekauft. Im Jahr 2005 übernahm Oracle den Spezialanbieter G-Log. OTM basiert zum größten Teil auf dessen Software.

Integration mit Standardsoftware

Von Stengel bezeichnet das Logistiksegment als strategischen Bereich für Oracle. Der breite Einsatz von Eigenentwicklungen werde für viele Firmen immer schwieriger. Es gehe darum, diese selbst programmierte Software möglichst intelligent mit Standardanwendungen zu verknüpfen - "an den Stellen, an denen es für die Firmen vorteilhaft ist".

Dieser Spagat zwischen Standardsoftware und Eigenentwicklungen macht die Entwicklung im Logistiksegment für die Softwareanbieter spannend, kommentiert Christian Glas, ehemals Anwendungsexperte von Pierre Audoin Consultants (PAC). Logistiker betrachteten ihre Eigenentwicklungen nicht als Legacy-Problem. Vielmehr bildeten diese Applikationen die Kernmodule im Logistikgeschäft und das Differenzierungsmerkmal im Markt. In aller Regel sei die Software auch gut und modern programmiert. Daher hätten es die Anbieter von Standardsoftware hier oft nicht leicht.

Logistiker hoffen auf SOA

Allerdings ließen sich diese heterogenen Landschaften nur schwer integrieren, sagt der Analyst. Die Firmen müssten große Anstrengungen unternehmen, den selbst geschaffenen Wildwuchs zu bändigen und ihre Anwendungen in die IT-Systeme der Kunden einzuklinken. Vor diesem Hintergrund wird Glas zufolge das SOA-Thema für die Logistiker zunehmend interessanter. Damit könnten die Firmen ihre Eigenentwicklungen als Services in moderne Softwareplattformen integrieren.

Den Hellmann-Deal werten Experten als wichtiges Geschäft für Oracle. Nach wie vor tue sich der Softwarehersteller im Anwendungsgeschäft schwer gegen SAP - vor allem in Deutschland. Meldungen über erfolgreiche Geschäftsabschlüsse seien hierzulande eine Seltenheit, obwohl Oracle behauptet, auch im hiesigen Applikationsmarkt respektables Wachstum vorweisen zu können - ohne jedoch Zahlen zu nennen. Angeblich möchten viele Anwenderunternehmen aus Angst vor der SAP Geschäfte mit Oracle lieber totschweigen.

Der Deal dürfte SAP-Chef Henning Kagermann indes kaum mehr als ein Schulterzucken abringen, glaubt Glas. SAP verliere regelmäßig Kunden an Oracle, genauso würden die Walldorfer dem Konkurrenten Kunden wegschnappen. "Einer gewinnt, einer verliert - das ist ganz normal."