Stärkere Ausrichtung auf das Plattformgeschäft

Oracle will bei Java Boden gut machen

12.07.2002
KOPENHAGEN (ws) - Nachdem sich Oracles Software für die Infrastruktur lange auf die Datenbank konzentrierte, positioniert sich die Company nun mit neuen Server-Produkten und Entwicklungswerkzeugen als Anbieter einer umfassenden Plattform. Allerdings hat der Hersteller gegenüber den Wettbewerbern im Java-Markt einen erheblichen Rückstand aufzuholen.

Oracle versuchte in den letzten Jahren, sich als führender Anbieter von kaufmännischen Anwendungen zu präsentieren und das Image der reinen Datenbank-Company loszuwerden. Damit wollte der Hersteller offenbar der Wahrnehmung von Marktbeobachtern entgegenwirken, wonach er den Großteil seiner Einnahmen mit einem einzigen Produkt erziele, das inzwischen heftigen Preiskämpfen unterworfen ist und zunehmend als austauschbar gilt. Die starke Ausrichtung auf Applikationen ging einher mit größeren Rückschlägen im Infrastrukturgeschäft. Obwohl sich Oracle von Anfang an dem Java-Lager zurechnete, verpasste das Unternehmen den Einstieg in den entstehenden Markt. Die Kampagne "300 Percent Java" kündigte zwar Unterstützung für die Sun-Technologie am Client, am Middletier und am Backend an, die Umsetzung dieses Vorhabens gelang aber im Wesentlichen nur in der Datenbank. Der selbst entwickelte Applikations-Server erwies sich als Ladenhüter, den Oracle schließlich über Bord warf. Auf der letztjährigen Konferenz Javaone präsentierte Firmenchef Larry Ellison mit dem "9i Application Server" (AS) ein von Grund auf neues Produkt, für das er den "Orion Server" des kleinen schwedischen Softwarehauses Ironflate in Lizenz genommen hatte. Ähnlich verfehlte Oracle den Einstieg in den Markt für Java-Tools, den das Unternehmen dann auf Basis des von Borland in Lizenz genommenen "Jbuilder" versuchte. Aufgrund dieser Fehlschläge musste sich das Unternehmen auf einflussreichen Entwickler-Sites wie theserverside.com (http://www.theserverside.com/home/thread.jsp?thread_id=7063) verspotten lassen, dass der AS nur ein Orion Server, "Jdeveloper" ein Jbuilder mit eingeschränkter Funktionalität und der "Oracle Webserver" ein schlecht konfigurierter "Apache Server" sei.

Plattformgeschäft rückt in den Vordergrund

Auf der Ende Juni in Kopenhagen abgehaltenen Konferenz "Oracleworld" versuchte sich das kalifornische Softwarehaus nun wieder stärker als Plattformanbieter zu positionieren. Diese Ausrichtung beschränkt sich nicht nur auf das Marketing, sondern setzt auf ein deutlich erweitertes Produktportfolio. Dazu zählen neben der Datenbank 9i und dem 9i AS, die beide vor kurzem im Release 2 erschienen, eine umfangreiche Sammlung an Entwicklungs-Tools, das Werkzeug zur Systemverwaltung "Enterprise Manager" sowie mitgelieferte Anwendungen auf Basis der Oracle-Plattform.

Schon aus historischen Gründen überrascht es wenig, dass die Datenbank weiterhin den Dreh- und Angelpunkt einer Oracle-basierenden IT-Infrastruktur bildet. Zum einen liegt dies daran, dass der Datenspeicher in der Vergangenheit praktisch alleine Oracles Plattformanspruch genügen musste und daher mit zahlreichen Funktionen versehen wurde, die andere Anbieter in Form separater Middleware implementieren. Zum anderen stellt die Datenbank weiterhin die größte Einnahmequelle dar, die zugunsten neuer Wachstumschancen ständig um Features erweitert wird. Dazu zählt in der Version 9i etwa die integrierte Olap-Engine oder nun in Release 2 die Speichermöglichkeiten für XML-Daten ("XML DB"). In dieser Funktion als Schrittmacher gibt sie die Richtung für die hauseigenen Tools vor, die ihre neuen Features unterstützen sollen.

App-Server wird seinem Namen gerecht

Die späte Verfügbarkeit eines konkurrenzfähigen Applikations-Servers hat zur Folge, dass dieser in der Arbeitsteilung mit der Datenbank seine angestammte Funktion erst jetzt erlangt. So sah Oracles Anwendungsmodell bisher vor, dass das DBMS Java-Code nicht nur in Form von Stored Procedures ausführen kann, sondern dass dort auch Geschäftslogik als Enterprise Javabeans (EJBs) abläuft. Diese Aufgabe soll dem Backend nun entzogen und wie allgemein üblich auf den Middletier übertragen werden. Ken Jacobs, Vice President Product Stategy and Server Technologies, erklärte im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE, dass Oracle mit dem Release 2 beider Produkte eine solche Anwendungsarchitektur offiziell empfehle. Der Datenbank sollen Funktionen vorbehalten bleiben, die datennahe Operationen ausführen und zumeist in SQL geschrieben werden.

Diese Aufgabenteilung bedeutet aber keineswegs, dass der kalifornische Hersteller beide Produkte möglichst unabhängig voneinander halten will. Vielmehr lassen Firmenverantwortliche keinen Zweifel daran, dass die Oracle-Plattform aus beiden, eng miteinander verzahnten Servern bestehen soll, ergänzt um übergreifende Management-Werkzeuge und Entwicklungs-Tools. Auf diese Weise möchte das spät gekommene Unternehmen noch seinen Anteil am Geschäft mit Applikations-Servern erobern. Derzeit liegen die Marktführer IBM mit "Websphere" und Bea Systems mit "Weblogic" laut einer Studie von IDC mit 34 beziehungsweise 31 Prozent etwa gleichauf und damit deutlich vor der restlichen Konkurrenz. Ken Jacobs geht indes davon aus, dass Oracle alle seine Kunden früher oder später auf den hauseigenen Anwendungs-Server bringen werde. Eine derart optimistische Prognose gründet offenbar nicht nur im Vertrauen in das aggressive Marketing der Firma, sondern eben in den Wirkungen des hauseigenen Plattformkonzepts.

Tatsächlich liefern schon die aktuellen Versionen der Datenbank und des AS genügend Argumente für ihren gemeinsamen Einsatz. So umfasst das DBMS eine Reihe von Middleware-Funktionen, die für den Betrieb des AS meist unverzichtbar sind. Beispielsweise implementiert der Applikations-Server gemäß der Spezifikation "Java 2 Enterprise Edition" (J2EE) 1.3 den "Java Message Service" (JMS). Dabei bietet er eine Plugin-Architektur für Provider-Module, die Message Queuing Middleware (MOM) diverser Hersteller (etwa "MQ Series" von IBM) unterstützen kann. Allerdings stellt der AS selbst keine MOM-Funktionen zur Verfügung, sondern greift innerhalb der Oracle-Plattform auf "Advanced Queuing" (AQ) der Datenbank zurück. Ähnliches gilt für die Benutzerauthentifizierung, die über beliebige LDAP-Verzeichnisse erfolgen kann, etwa über Oracles "Internet Directory". Dieses ist indes Bestandteil der Datenbank.

Das Ziel des One-stop-Shops bleibt

Mit der engen Verzahnung von AS und DBMS trägt Oracle seiner eigenen Kampagne Rechnung, wonach Anwender ihre Software am besten nur von einem Hersteller beziehen. Die Kombination aus Datenbank und AS soll die reichhaltige Plattform bieten, die die Entwicklung von komplexen E-Business-Anwendungen erlaubt. Aber auch das Messaging-System "Oracle Mail", das mit dem AS gebündelt wird, bedient sich beider Server. Während der Middletier die Benutzer-Schnittstelle für Web-Mail beherbergt, besteht der größte Teil der eigentlichen Anwendung aus PL/SQL-Code, der innerhalb der Datenbank abläuft. Für die Volltextrecherche in den Mail-Ordnern greift die Software auf die integrierte Suchmaschine "Oracle Text" zurück, zudem kommen ihr Funktionen wie jene zu Volumensbegrenzungen für einzelne Benutzer ("Quota") zugute.

Der ohne Aufpreis mit der Plattform ausgelieferte Mail-Server repräsentiert einen Typus von Anwendungen, den sich Oracle für seine Infrastruktur verstärkt wünscht: Er operiert mit gering oder gar nicht strukturierten Informationen, die mengenmäßig die traditionellen Geschäftsdaten mittlerweile bei weitem übertreffen. Das enorme Aufkommen von Dokumenten und Multimedia-Daten bewerten die Oracle-Verantwortlichen als die größte Wachstumschance für ihr Datenbankgeschäft. Wesentliche Features, die seit der Version 8i eingeführt wurden, sollen die Entwicklung von Content- und Dokumenten-Management-Lösungen fördern. Dazu zählen die integrierte Suchmaschine "Ultrasearch", die auf Oracle Text aufbaut und auch externe Datenquellen indiziert, sowie eine eingebaute Workflow-Komponente, die Rollendefinitionen auf Basis des integrierten Verzeichnisses nutzen kann, um beispielsweise die Freigabe von Dokumenten innerhalb eines Publishing-Prozesses zu steuern. Auch der Multiprotokoll-Support kommt primär den Anforderungen entgegen, die solche Applikationen stellen. Autoren soll es möglichst einfach gemacht werden, ihre Dokumente in die Datenbank zu bringen. Das Internet File-System (IFS) erlaubt den Zugriff auf Oracle 9i über die Dateisysteme Server Message Block (Windows), Apple File Protocol (Apple Macintosh) und das Network File System (NFS). Zusätzlich unterstützt das System noch HTTP, das File Transfer Protocol (FTP), die Mail-Protokolle Imap4 und SMTP sowie Web Distributed Authoring and Versioning (Web-DAV).

XML-Features in Release 2

Angesichts der steigenden Bedeutung von XML versucht Oracle, sein DBMS auch als Speicher für derartige Daten zu positionieren. Die mit dem Release 2 eingeführten Features ("XML DB") sollen vornehmlich dazu motivieren, Produktkataloge oder Online-Content in der Datenbank des Marktführers zu hinterlegen. Das System entscheidet nach der Registrierung eines XML-Schemas selbständig, wie es damit konforme Dokumentinstanzen objektrelational abbildet. Zu den Neuerungen gehören vollständige Unterstützung für XSL Transformations (XSLT) und Xpath. Bei Bedarf können Autoren bloß einzelne Elemente eines XML-Dokuments bearbeiten, ohne dass dabei der ganze Text für andere Benutzer gesperrt wird. Um sicherzustellen, dass diese Funktion für bestimmte Dokumentenabschnitte verfügbar ist, müssen Administratoren allerdings bei der Registrierung des Schemas selbst Hand anlegen.

Wenn auch die XML-Funktionalität nicht in allen Belangen mit jener von spezialisierten Datenbanken mithalten kann, so genießt Oracle dennoch den Vorteil eines führenden Plattformanbieters. Dieser besteht darin, in vielen Unternehmen bereits präsent zu sein und dort mit den vorhandenen Kenntnissen seiner Produkte argumentieren zu können. Zudem halten viele Firmen einen großen Teil ihrer operativen Daten in Oracle-Datenbanken vor, so dass der Hersteller die einfache Integration von strukturierten und semistrukturierten Informationen anbieten kann. Tatsächlich erlaubt das nun eingeführte SQL/X gleichzeitige Abfragen über tabellarisch organisierte Daten und XML-Dokumente. Die Sprache kombiniert dazu SQL-Statements mit Xpath-Ausdrücken. Nicht zuletzt verfängt natürlich das Preisargument, wenn Unternehmen ohnehin Oracle-Datenbanken einsetzen und so die XML-Funktionalität ohne Aufpreis mitgeliefert bekommen.

Schwächen beim Warehousing ausgeräumt

Das schon von Microsoft bekannte Verfahren, immer neue Funktionen in die Plattform zu packen und so spezialisierten Anbietern das Leben schwer zu machen, wendet Oracle auch bei Olap an. Selbst wenn Infrastrukturanbieter nicht immer mit den ausgefeilten Lösungen von Spezialisten mithalten können, so reichen Anwendern diese kostenlosen Beigaben in vielen Fällen dennoch aus. Die Integration des ursprünglich zugekauften "Express Server" in die Datenbank bewirbt Oracle damit, dass Unternehmen ihre Daten für Analysen nicht mehr in eine separate Data-Warehause-Datenbank exportieren müssen. Die in der Vergangenheit immer wieder genannten Schwächen von relationalen Systemen beim Data-Warehousing, die Beschränkungen von SQL und unzureichende Performance, habe die Company laut Senior Vice President Sohaib Abbasi überwunden. Zudem könnten Anwender nun Standby-Datenbanken, die mit Hilfe der "Data-Guard"-Technologie sonst nur der Datensicherung dienen, mit OLAP einer zusätzlichen Nutzung zuführen.

Während Oracle mit der Ausweitung der Datenbankfunktionen seinem zentralistischen Ansatz nach Konsolidierung aller Informationen gerecht werden will, soll der Applikations-Server die gleiche Aufgabe für Programme übernehmen. Es liegt natürlich nahe, dass er als J2EE-Server diese Aufgabe nur für Java-Anwendungen übernehmen könnte. Der 9i AS ist aufgrund der eingebauten "Forms Services" aber in der Lage, auch Code auszuführen, der mit Oracles 4GL-Werkzeug "Forms" erstellt wurde. Darüber hinaus bietet er die Möglichkeit, aus Forms-Funktionen auf Java-Klassen zuzugreifen. Dieses Feature soll Entwicklern die Migration von der 4GL-Umgebung auf Java erleichtern. Allerdings vermittelte die Oracleworld den Eindruck, dass die Umstellung auf Java vielen Kunden ähnliche Schwierigkeiten bereitet wie dem Hersteller selbst. So konnte in einem Auditorium von über 200 Zuhörern fast niemand die Testfrage des Referenten beantworten, worum es sich denn bei gängigen Java-Technologien wie "WAR" (Web Archive), "Ant" oder "Struts" handle.

Oracle unternimmt mittlerweile über sein Tools-Angebot allerdings erhebliche Anstrengungen, um die Entwicklergemeinde auf Java einzuschwören. Seit rund einem Jahr basiert der Jdeveloper nicht mehr auf dem Jbuilder, sondern repräsentiert eine vollständige Eigenentwicklung des Datenbankherstellers. Das Unternehmen verfolgt dabei den gleichen Ansatz wie die Konkurrenten Borland, IBM oder Sun und positioniert die Entwicklungsumgebung (IDE) als Framework. Partnerfirmen können dann ihre Werkzeuge als Plugin einklinken. Oracle selbst nutzt die erweiterbare IDE, um neben Werkzeugen für Java auch solche für die Entwicklung von PL/SQL einzuhängen. Abgesehen von Legacy-Tools wie "Forms Designer" oder einigen Stand-alone-Programmen sollen Softwareentwickler auf der Oracle-Plattform zukünftig ihre komplette Arbeitsumgebung im Rahmen des Jdeveloper vorfinden.

Obwohl Jdeveloper natürlich für die Programmierung auf Oracle abgestimmt wurde, positioniert der Hersteller seinen Werkzeugkasten auch als universell nutzbare Java-IDE. So unterstützt diese auch Weblogic von Bea, bei Java Server Pages (JSPs) oder Servlets steht ohnehin die Nutzung anderer Container wie Apaches "Tomcat" offen. Wie die rivalisierenden Plattformanbieter Sun und IBM spielen auch bei Oracle Tools kaum eine Rolle als eigenständige Einnahmequelle, vielmehr sollen sie den Verkauf der Server fördern. Während die beiden Konkurrenten erhebliche Teile ihrer IDEs als Open Source freigaben, bietet Oracle die Vollversion des Jdeveloper kostenlos zum Download an - nur beim Abschluss eines Supportvertrags fallen Kosten an.

Preiskampf voll entbrannt

Die Kannibalisierung des Geschäfts mit Java-Tools geht natürlich zu Lasten von Herstellern wie Borland oder Webgain, das die Entwicklung von "Webgain Studio" voraussichtlich einstellen wird (siehe CW 24/02, Seite 6). Allerdings zeichnet sich schon ab, dass aufgrund solcher Praktiken auch mit Applikations-Servern bald kein Geld mehr verdient werden kann. Sun eröffnete kürzlich den Preiskampf mit der Ankündigung einer kostenlosen Basisversion des "Sun ONE Application Server". Oracle will mit dem AS zwar Einnahmen erzielen, liefert im Gegensatz zur Konkurrenz den "Portal Server" aber als kostenlosen Bestandteil mit aus. Diesem kommt hinsichtlich der ganzen Plattform eine besondere Aufgabe zu: Dank zahlreicher mitgelieferter Portlets für Features des DBMS und des AS fungiert er nicht nur als Bindeglied zwischen den beiden Servern, sondern dient auch als Fenster zu den hauseigenen Applikationen.

Abb: Web-Services entwickeln, verteilen und verwalten

Oracle sieht Jdeveloper als umfassendes Werkzeug, mit dem sich Java- und PL/SQL-Anwendungen entwickeln und als Web-Services publizieren lassen. Quelle: Oracle