Cluster und Grids aus Billigkomponenten

Oracle vertraut auf neue Hardwaretrends

07.11.2003
PARIS (ws) - Oracle führt mit der Version 10g der Datenbank und des Applikations-Servers seinen Kurs fort, hoch verfügbare und hoch skalierbare Systeme auf Basis von Standardhardware zu entwickeln. Die kalifornische Company erläuterte auf der europäischen Oracle World in Paris ihre Pläne, auf dieser Basis eine komplette Software-Infrastruktur anzubieten.

Für Oracles Umsätze im Datenbankgeschäft spielen Unix-Server des oberen Leistungssegments eine wesentliche Rolle. Dabei handelt es sich um hochwertige und teure Mehrwegemaschinen, die steigende Anforderungen durch Hinzufügen zusätzlicher Prozessoren im Allgemeinen bewältigen können. Analysten empfehlen dieses Verfahren immer wieder, um die Kapazität solcher Server zu erweitern. Sie warnen hingegen vor den hohen Kosten, wenn die Leistung mittels Clustering solcher Rechner erhöht werden soll. Verbünde aus derartigen Maschinen dienen daher meist der Ausfallssicherheit.

Bewährtes in neuer Umgebung

Oracle möchte als Datenbankprimus diesen lukrativen Markt natürlich auch weiterhin bedienen. Seit der Version 9i verlegt sich der kalifornische Hersteller aber immer stärker auf eine alternative Strategie, die bewährte Tugenden von Mainframes und großen Unix-Servern auf Basis preiswerter Standardtechnik bieten soll. Firmenverantwortliche nannten als Schlüsseltechnologien dafür auf der Oracle World Blades auf Basis von Intel-Prozessoren, schnelle Interconnect-Verfahren wie Infiniband oder Gigabit Ethernet, die Virtualisierung von Speicher durch SAN und NAS sowie Linux. Im Gegensatz zu den hochwertigen SMP-Maschinen, die üblicherweise zu kleinen Verbünden zusammengefasst werden, entstehen dort Cluster mit zahlreichen Knoten aus Billigsystemen. Linux spielt dabei nicht nur wegen seiner Robustheit und relativ geringen Hardwareanforderungen eine zentrale Rolle. Bei Verbünden aus Dutzenden von Rechnern stellen nämlich die Lizenzkosten für ein kommerzielles Betriebssystem eine erhebliche Barriere dar.

Oracle propagierte derartige Konfigurationen bereits für 9i im Rahmen der Kampagne "Unbreakable Linux". Sie sollen eine hohe Verfügbarkeit durch redundante Standardhardware erreichen, Blades oder Plattenlaufwerke lassen sich zur Laufzeit des Systems installieren und entfernen. Auf der Softwareseite sorgt Oracles "Real Application Cluster" (RAC) dafür, dass die anfallende Arbeitslast dynamisch über alle Knoten verteilt wird und die Aufgaben einer defekten Komponente automatisch auf die anderen Rechner übertragen werden.

In der Version 10g verbesserte der kalifornische Hersteller nicht nur die RAC-Fähigkeiten für die Datenbank und den Applikations-Server, nun können auch mehrere Cluster sowie SMP-Systeme zu virtuellen Einheiten, so genannten Grids, zusammengefasst werden. Cluster unterliegen wie Stand-alone-Server gewissen Einschränkungen hinsichtlich optimaler Ressourcenauslastung. Im Fall von RAC kommt hinzu, dass alle Knoten unter demselben Betriebssystem laufen müssen. Grids sollen diese Defizite überwinden.

Wie die Verheißungen anderer Anbieter leiden auch jene von Oracle unter dem Mangel an herstellerübergreifenden Grid-Standards. Die dynamische Verteilung von Kapazitäten funktioniert daher nur innerhalb der Oracle-eigenen Software, die Rechenleistung oder die Speicherkapazitäten für ein SAP-System oder eine Exchange-Installation können darüber nicht gesteuert werden. Eine bessere Ressourcenauslastung wird sich in der ersten kommerziellen Grid-Generation voraussichtlich auf die jeweilige Domäne einzelner Hersteller beschränken.

Migration auf günstige Standardkomponenten

Im Fall von Oracle dienen die Grid-Funktionen neben dem eigentlich propagierten Zweck vor allem als Migrationstechnik. Sie sollen den Weg zu den als zukunftsträchtig eingeschätzten Clustern aus Standardrechnern, Linux und virtualisierten Massenspeichern ebnen. Wenn etwa ein Highend-Unix-Server für eine stark genutzte Anwendung nicht mehr ausreicht, dann bietet sich aus der Sicht von Oracle an, ein Blade-System hinzuzukaufen und beide zu einem Grid zusammenzufassen. Über Blades könnte dann Leistung in kleinen Schritten relativ preiswert hinzugefügt werden. Ohne die Grid-Funktionen von 10g müsste die betreffende Firma in diesem Fall entweder einen größeren SMP-Server anschaffen, mit weiteren hochpreisigen Unix-Maschinen ein Cluster aufbauen oder die vorhandenen Rechner vollständig durch ein Blade-System ersetzen. Innerhalb des Oracle-Grid lässt sich hingegen die Arbeitslast zwischen heterogenen Systemen beliebig verteilen.

Plattform wächst nach unten

Oracle versteht sich schon seit längerem als Lieferant einer umfassenden Softwareplattform. Dieses Selbstverständnis verdankt sich nicht nur der Tatsache, dass die Company über eine eigene J2EE-Engine inklusive Portal-Server verfügt. Vielmehr geht die hauseigene Datenbank weit über die angestammten Funktionen einer derartigen Software hinaus und übernimmt zahlreiche Middleware-Funktionen. Mit der Ausrichtung auf redundante Standardhardware und Linux wird die Oracle-Plattform nun zunehmend autark. Während die führenden Server-Betriebssysteme immer mehr Middleware beinhalten und daher Anbietern aus diesem Segment den Boden entziehen, kann Oracle bei Linux ohne Lizenzkosten nur die benötigten Komponenten herauspicken. Einige Neuerungen in 10g zeigen, dass sich die Company dabei auf ein Minimum beschränken will. Das "Automatic Storage Management" (ASM) macht Dateisysteme oder Volume-Manager eines Betriebssystems überflüssig und operiert direkt auf der Hardwareebene. Mit diesem mitgelieferten Werkzeug lassen sich nicht nur Festplatten spiegeln sowie während der Laufzeit der Datenbank hinzufügen oder entfernen. Vielmehr bildet das Tool den Dreh- und Angelpunkt für Oracles Storage Grid. Es fasst beliebige Plattenlaufwerke zu einem großen virtuellen Speicher zusammen, dessen gesamte Kapazität linear nutzbar ist. Das ASM setzt mithin den Grid-Aspekt des Resource Pooling auf Storage-Ebene um.

Vom Betriebssystem abkoppeln

Auch hinsichtlich der wichtigen Cluster-Funktionalität emanzipiert sich Oracle von Betriebssystemen. Bereits in der Version 9i brachten die Datenbank und der Applikations-Server (AS) unter Linux und Windows ihre eigene Clusterware mit. Auf anderen Systemen mussten Anwender allerdings auf die dort vorhandenen Funktionen zurückgreifen. Derartige Software von Drittanbietern kann 10g weiterhin nutzen, bietet aber nun eine eigene Cluster-Option auf allen von Oracle unterstützten Plattformen. Gegenüber der Vorgängerversion verdoppelt die aktuelle Ausführung die Zahl der unterstützten Knoten auf 64.

Der Charakter der Oracle-Infrastruktur als einer eigenständigen, umfassenden und integrierten Softwareplattform soll nicht nur durch die weitgehende Unabhängigkeit von Betriebssystemen geprägt werden, sondern vor allem auch durch eine engere Verzahnung der Komponenten untereinander. Der kalifornische Hersteller bemüht sich schon seit einiger Zeit um eine engere Verknüpfung zwischen Applikations-Server und Datenbank. In 10g erzielt er dabei weitere Fortschritte, beispielsweise mit der "Transparent Failover Notification". Bei Ausfall eines Knotens im Datenbank-Cluster versucht der AS nicht mehr, die defekte Komponente bis zu einer TCP/IP-Zeitüberschreitung zu erreichen. Vielmehr wird er jetzt von der Datenbank direkt verständigt und kann die betroffenen Sessions unverzüglich umleiten. Eine weitere wesentliche Neuerung repräsentiert der "Automatic Database Diagnostic Monitor" (ADDM), der etwa bei Perfomance-Problemen Ursachen in allen Schichten der Anwendungen zu finden versucht.

Für Hosting gerüstet

Mit seinem Portfolio an Infrastruktursoftware zielt Oracle nicht nur auf die traditionelle Klientel in der Unternehmens-DV, sondern verfolgt damit die in der Dotcom-Ära entstandene Vision von gehosteten Anwendungen, die weltweit als Dienst genutzt werden können. Diese bedürfen nicht nur einer funktionsreichen Plattform, sondern auch hoher Skalierbarkeit, Ausfallssicherheit und schier grenzenloser Speicherkapazität. Letztere stellt Oracle 10g in Aussicht, weil sie laut Hersteller mehr als ein Exabyte (eine Million Terabyte) an Daten verwalten kann. Zu den typischen Outsourcing-Diensten zählen unter anderem E-Mail und Teamfunktionen, die Oracle auf seiner eigenen Plattform mit der "Collaboration Suite" anbietet. Sie soll hohen Belastungen dank der robusten Basis trotzen können.

Als Enterprise-Lieferant ist Oracle mit seiner Software hauptsächlich im oberen Leistungssegment zu Hause und muss sein Revier gegenüber Rivalen verteidigen, die wie Microsoft von unten nachdrängen. Das Wachstum nach oben kann Verluste aus dem Lowend nicht ohne weiteres ausgleichen - besonders dann, wenn es auf einem Paradigmenwechsel beruht, der sich im Fall von Grids über Jahre hinziehen wird.

Anwender noch zurückhaltend

Auch wenn RAC seit gut zwei Jahren das Marketing von Oracle beherrscht, kommt es in der Praxis nur relativ langsam an. Der Hersteller beziffert die Zahl seiner Installationen mit rund 600, so dass derzeit weniger als ein Prozent der Oracle-Kunden derartige Cluster nutzen. Für die Grid-Funktionen darf man mit ähnlichen Zeiträumen rechnen, bis sie größere Verbreitung finden.

Entsprechend bringt 10g eine Reihe von Neuerungen, die sich besonders an weniger erfahrene Datenbankadministratoren (DBA) in kleineren Unternehmen richten. Viele davon laufen unter dem Sammelbegriff "Self Managing Database" und sollen nach dem Vorbild von Microsofts SQL Server dem DBA viele Aufgaben bei Installation und Betrieb der Datenbank vereinfachen. Dazu zählt unter anderem die schwarze Magie des Datenbank-Tunings. Der stark erweiterte "Enterprise Manager" erlaubt während der Laufzeit des Systems das Einspielen von Updates und Patches vom Browser aus. Ein überarbeitetes Online-Backup versetzt den Administrator sowie Endbenutzer in die Lage, frühere Versionen einzelner Datensätze oder Tabellen Schritt für Schritt wiederherzustellen ("Flashback Database"). Dieses Feature kommt ebenfalls besonders kleineren Firmen mit weniger Oracle-Kenntnissen zugute. Wenn sich bereits eine Oracle-Datenbank im Unternehmen befindet, dann soll "HTML DB" helfen, Desktop-Datenbanken wie "Access" zurückzudrängen. Es handelt sich dabei um ein Browser-basierendes Werkzeug, mit dem auch Endanwender einfache, datenbankgestützte Web-Anwendungen zusammenklicken können.

Mit diesen Maßnahmen will Oracle gerade im Mittelstand den Ruf loswerden, eine komplizierte und schwierig zu wartende Datenbank zu verkaufen. Zusätzlich soll ein Einführungsangebot das vorherrschende Image der Company widerlegen, teuer zu sein. Beim geplanten Erscheinen der Software Ende des Jahres soll eine Fünf-Benutzer-Version für eine Ein-Prozessor-Maschine um 167 Euro pro Lizenz angeboten werden.

Das Grid-Versprechen

Einige große Hersteller wie Sun, IBM und Oracle schüren seit einiger Zeit den Grid-Hype und versprechen den Anwendern eine Reihe von Vorteilen:

- Die Auslastung der vorhandenen Hardware werde verbessert. Grid-Funktionen sollen in der Lage sein, CPU-Leistung und Speicherkapazitäten eines Rechenzentrums zwischen Anwendungen zu verschieben.

- Statt für jede Applikation separate Hardware anzuschaffen, deren Kapazität sich an den vermuteten Spitzenlasten der Software bemisst, sollen alle aus einem gemeinsamen Vorrat schöpfen ("Resource Pooling").

- Auch wenn Hardwareleistung zwischen mehreren Programmen verteilt wird, soll sichergestellt sein, dass jede Anwendung mit einem garantierten Service-Level bedient wird.

- Oracle wirbt damit, dass seine Grid-Software viele preiswerte Intel-Maschinen zu einem virtuellen Großrechner verbinden könne. Dieser sei nicht nur billiger, sondern auch noch verlässlicher als Mainframes oder große Unix-Server.