"Oracle hat keine Freunde mehr"

17.10.2007
Der geplante Kauf von Bea Systems bringt der Ellison-Company jede Menge Integrationsarbeit.

Was will Oracle-Chef Lawrence Ellison mit dem Java-Spezialisten und Konkurrenten Bea Systems? Ginge es nur um die Marktausweitung und die rund 15 000 Firmenkunden Beas, wäre die Offerte von 6,7 Milliarden Dollar lediglich ein weiteres Beispiel für die aggressive Wachstumsstrategie, die Oracle seit Jahren verfolgt. Mit Blick auf die Produktpaletten erschließt sich der Sinn hingegen schwer: "Das Motiv für die Übernahme ist schlicht Größenwahn", findet Andreas Zilch von der Experton Group. Logisch lasse sich der geplante Deal nicht rechtfertigen, denn Oracle verfüge mit der Integrationstechnik "Fusion" bereits über eine komplette Middleware: "Welche Systeme sollen denn nun weitergepflegt werden?" Fusion-Kunden würden mit der Ankündigung völlig verunsichert. Bei Redaktionsschluss war der Deal zwar noch nicht in trockenen Tüchern, denn Bea hatte das Angebot vorerst als zu niedrig abgelehnt. Doch für Zilch ist klar, dass die Bea-Anleger zugreifen werden: "Bea ist nicht groß genug, um eigenständig zu überleben." Seit längerem gilt es als ausgemacht, dass der Middleware-Spezialist eines Tages aufgekauft wird.

Großer Appetit auf Technik und Kunden

Im Jahr 2005 erwarb Oracle 13 Unternehmen, darunter Peoplesoft (ERP-, CRM-Software), Retek (Software für den Handel) und Oblix (Identity-Management). Das Jahr darauf wechselten nochmals 13 Unternehmen zum weltweit zweitgrößten Softwarehaus. Zu ihnen zählten Siebel Systems (CRM und Business Intelligence), Sunopsis (Datenintegration) und Sleepycat (Open Source, eingebettete Datenbank). Für das laufende Jahr zählt Oracle bis dato neun Zukäufe. Bea Systems wäre die Nummer zehn. Viele der Übernahmen haben im weiteren Sinn mit dem Aufbau von IT-Infrastruktur zu tun:

1. März 2007: Hyperion Solutions (Business Intelligence und Stammdaten-Management);

23. März 2007: Tangosol (Middleware für den Grid-basierenden Datenzugriff);

18. April 2007: Appforge (Oracle kauft nur die Urheberrechte, Entwicklungsumgebung für mobile Anwendungen);

24. April 2007: Lodestar Corporation (Repository für die Metadatenverwaltung, Software für die Versorgungsindustrie);

15. Mai 2007: Agile Software (Product-Lifcycle-Management);

18. Juli 2007: Bharosa (Sicherheitssoftware zur Bekämpfung von Online-Identitäten-Diebstahl und -Betrug);

2. September 2007: Netsure Telecom Limited (Software zur Netzanalyse);

5. September 2007: Bridgestream (Software für die Verwaltung von Benutzerrollen);

9. Oktober 2007: Logicalapps (Software für Governance, Risiko- und Compliance-Management);

12. Oktober 2007: Angebot an Bea Systems.

Auch IDC-Analyst Rüdiger Spies vermutet, Oracle wolle um jeden Preis wachsen, auch wenn dies unternehmerisch und technisch keinen Sinn gebe. Der Zukauf und eine mögliche Einbindung der Integrationsprodukte von Bea würden den Fahrplan für Oracles Fusion-Anwendungen gehörig durcheinanderwirbeln: "Oracle muss jetzt ganz schnell erklären, wie es mit Fusion weitergeht." Immerhin kaufe sich die Ellison-Company mit Bea aber interessante Kunden. Dies stärke ihre Marktposition gegenüber dem Erzrivalen SAP, bringe Oracle aber auch immer mehr in Konkurrenz zu IBM, die ebenfalls auf den Integrationsmarkt setzt. "Oracle hat keine Freunde mehr", so Spieß.

Viele Überschneidungen

Wie die weitere Produktstrategie von Oracle aussehen könnte, ist noch völlig offen. Oracle-President Charles Phillips sprach lediglich von einem freundlichen Übernahmeangebot, das das Ergebnis zahlreicher Gespräche mit Beas Management in den vergangenen Jahren sei: "Wir wollen die Investitionen schützen, die Beas Kunden getätigt haben." Die Übernahme stärke die technischen Ressourcen Oracles und beschleunige die Entwicklung der eigenen Middleware-Produkte und die einer Service-orientierten Architektur (SOA).

Sollte eine Integration der Produkte beider Unternehmen geplant sein, müsste Oracle indes starke Überlappungen zwischen den Angeboten beseitigen: In einem fusionierten Unternehmen würde etwa Beas Java-Applikations-Server "Weblogic" mit dem "Oracle Application Server" konkurrieren; bei der Portaltechnik wären es sogar vier Produkte: "Oracle Portal", "Oracle Webcenter", "Bea Weblogic Portal" und "Bea Aqualogic User Interaction" (vormals Plumtree). Beide Unternehmen offerieren zudem einen Enterprise Service Bus (ESB), der in einer SOA als zentrale Integrationsschicht dienen kann. Last, but not least müssten die Oracle-Strategen entscheiden, was aus den Java-Entwicklungsumgebungen "Bea Weblogic Workshop" und "Oracle Jdeveloper" werden soll.

Bea schließt Lücken

Allerdings bieten sich auf technischem Gebiet für Oracle auch Chancen aus der Übernahme, wie Christopher Haddad, Senior Berater der Burton Group, erläutert. So seien einige Bea-Produkte komplementär zu den Oracle-Produktlinien und könnten dem Datenbankhersteller helfen, seine Strategie einer Service-basierenden Entwicklung von Unternehmensanwendungen voranzubringen. Ein Beispiel sei das Verwaltungswerkzeug "Bea Aqualogic Registry Repository", das unter anderem Governance-Funktionen zur Registrierung und Freigabe von Services zur Verfügung stellt. Bisher hatte Oracle hierfür kein starkes Angebot, so Haddad. Synergien sehe er auch durch die Kombination der Oracle-Datenbank mit der "Aqualogic Data Services Platform". Diese ermöglicht einen konsistenten Zugriff und eine einheitliche Darstellung von Unternehmensdaten mit Hilfe von Daten-Services in einer SOA. Vorteile sieht Haddad auch beim Java-Applikations-Server. Oracle sei es bis heute trotz mehrerer Anläufe und Zukäufe nicht gelungen, eine starke technische Basis zu schaffen. Mit Weblogic stünde Oracle die wohl leistungsfähigste Java-Implementierung im Markt zur Verfügung. Viel Arbeit dürfte Oracle hingegen mit der Integration der Aqualogic-Produkte in die "Fusion"-Middleware haben. Völlig neu für Oracle sei auch das Geschäft mit Transaktionsmonitoren, das Bea seit langem mit dem Produkt "Tuxedo" im Großkundenumfeld betreibt: "Oracle hat sich bisher vor allem um eine datenzentrierte Anwendungsintegration gekümmert, aber nicht auf Transaktionsebene." Organisatorisch werde es die größte Herausforderung sein, die Vertriebskanäle beider Unternehmen zu bündeln und Implementierungspartner bei der Stange zu halten.

Keine Angst vor Oracle!

Bea-Kunden sollten sich keine allzu großen Sorgen machen, meint Laurent Lachal, Senior Analyst beim britischen Marktforschungsunternehmen Ovum. Das Versprechen von Oracles President Charles Phillips, beim Zustandekommen der Übernahme die Investitionen von Bea-Kunden zu schützen, sei glaubwürdig: "Es liegt nicht in Oracles Interesse, dass Kunden abtrünnig werden." Vielmehr habe Oracle in der Vergangenheit einiges Geschick bewiesen, aufgebrachte Anwender zu besänftigen. So sei es beispielsweise trotz des langen Gezerres bei der feindlichen Übernahme des ERP-Konkurrenten Peoplesoft gelungen, die Kunden nicht nur zu halten, sondern einige hinzuzugewinnen.

Für die noch verbliebenen unabhängigen Anbieter von Integrationssoftware ist hingegen die sich anbahnende Elefantenhochzeit eine Hiobsbotschaft. Die seit einigen Jahren zu beobachtende Entwicklung von "Super-Plattformen", wie sie IBM, Oracle, Microsoft und SAP anstrebten, gehe unaufhaltsam weiter, so Burton-Analyst Haddad. Für Spezialisten blieben nur noch Nischenmärkte. Experton-Analyst Zilch erwartet zudem weitere Übernahmen. Seine Prognose: "Tibco wird der nächste sein." Als Käufer könnte ein bislang nur wenig beachteter Herausforderer der "Big Four" auftreten: Hewlett-Packard.