Starke Worte auf der Anwendertagung

Oracle-Chef Ellison: OS/2 wird MS-DOS vorerst nicht verdrängen

04.05.1990

MADRID (qua) - Für einen Wechsel von dem zum Quasi-Standard avancierten PC-Betriebssystem MS-DOS auf das von der IBM für ihre PS/2-Systeme vorgesehene OS/2 besteht keine Notwendigkeit. Diese Ansicht äußerte Larry Ellison, Präsident der Oracle Corp., auf der diesjährigen Tagung der European Oracle User Group in Madrid.

Der in diesem Jahr ungewohnt zurückhaltend agierende Softwareunternehmer aus Belmont/Kalifornien (siehe auch CW Nr. 17 vom 27. April 1990, Seite 6) lief kurzfristig noch einmal zur Höchstform auf, als er um eine Einschätzung des neuen Microsoft-Betriebssystems gebeten wurde: "OS/2 entwickelt sich in den USA keineswegs großartig. Das ist um so bemerkenswerter, als IBM und Microsoft eine regelrechte Strategie ausgearbeitet haben, um die MS-DOS-Anwender zu zwingen, auf OS/2 zu wechseln."

Seine Behauptung untermauerte der Oracle-Chef, indem er auf die mittlerweile überwundenen Einschränkungen hinwies, die MS-DOS lange Zeit als überholt klassifiziert hatten: die Begrenzung der Speicherplatzverwaltung auf 640 KB, keine Windows-orientierte Benutzeroberfläche sowie die fehlende Multitasking-Fähigkeit.

Schimpfte der Kalifornier: "IBM und Microsoft sagten den MS-DOS-Anwendern, sie würden ihnen niemals erlauben, Programme mit mehr als 640 KB unter MS-DOS zu fahren; genauso wenig würden sie ihnen jemals eine gute grafische Benutzeroberfläche oder eine Multitasking-Unterstützung zur Verfügung stellen."

Mit Hilfe des proprietären Betriebssystems, darin stimmen viele Branchenkenner überein, wollte der Hardwaregigant die Microcomputer-Kunden, die sich unbekümmert auf dem PC-Clones-Markt umsahen, wieder auf seine eigenen Maschinen einschwören. "Wenn ihr die drei wichtigen und wertvollen Dinge (erweiterte Möglichkeit der Speicherverwaltung, grafische Benutzeroberfläche und Multitasking-Fähigkeit) haben wollt", so zitierte der Oracle-Präsident sinngemäß die IBM, "dann müßt ihr auf OS/2 wechseln."

Laut Ellison ist diese Strategie fehlgeschlagen; trotz des versprochenen Mehr an Leistungsfähigkeit verhielten sich die Anwender abwartend. Der Betriebssystem-Hersteller hatte sich jedoch bereits auf einen OS/2-Boom eingestellt. "Microsoft entwickelte daraufhin eine neue Textverarbeitung und ein neues Spreadsheet, die mehr als 640 KB sowie eine gute Window-Oberfläche und die Multitasking-Fähigkeit erforderten", spottete der Oracle-Chef und verwies darauf, daß beide Anwendungen ursprünglich für OS/2 ausgelegt gewesen seien.

Als sich OS/2 dann alles andere als großartig absetzen ließ habe Microsoft einen strategischen Rückzieher gemacht, um seine Anwendungssoftware dennoch vermarkten zu können. "Plötzlich sagten sie zu den MS-DOS-Anwendern: In Ordnung, wir erlauben euch jetzt doch, Programme mit mehr als 640 KB zu schreiben; außerdem geben wir euch eine hochwertige Windows-Schnittstelle und die Multitasking-Unterstützung." Ellisons Fazit: "Warum also sollte irgendein Anwender auf OS/2 wechseln, da doch MS-DOS so prima funktioniert?"

Halbherzige Unterstützung

Sinnvoll oder nicht sinnvoll, das ist hier nicht die Frage. Zwar ist ein proprietäres Betriebssystem wie OS/2, das seinen Platz zwischen den vom Markt bestätigten Standardsystemen MS-DOS und Unix erst noch suchen muß, nicht nur nach Ansicht des Oracle-Präsidenten Larry Ellison eigentlich überflüssig wie ein Kropf.

Doch wird sich dieses Hätschelkind von Mother Blue aller Wahrscheinlichkeit nach dennoch auf breiter Front durchsetzen - es sei denn, die IBM änderte ihren Kurs und deklarierte die Betriebssysteme PG-DOS und AIX ebenfalls zu Teilen ihres SAA-Konzepts.

Zumindest im Hinblick auf das PC-Betriebssystem ist daran jedoch überhaupt nicht zu denken. Solange aber OS/2 das designierte Workstation-Betriebssystem für das Portabilitätskonzept des blauen Riesen bleibt, wird es ohne Zweifel seinen Marktanteil langsam, aber sicher ausbauen. Das einzige, was linientreue IBM-Anwender daran hindern könnte, früher oder später auf OS/2 umzusteigen, wäre ein Mangel an verfügbarer Basissoftware. Hier hat jedoch bereits eine ganze Reihe namhafter Softwareanbieter ihre Unterstützung zugesagt Oracle ist einer von ihnen.