Kolumne

"Operative Hektik ohne Strategie"

08.11.1996

Never change a winning team. Warum hält sich der unumstrittene Marktführer im Softwaregeschäft nicht an dieses eherne Management-Gesetz? Schaut man auf die Microsoft-Konkurrenz im Applikationssektor, gibt es auf den ersten Blick keinen Grund, das Unternehmen zum zweiten Mal innerhalb von zehn Monaten zu reorganisieren (siehe Seite 1). Borland ist endgültig aus dem Applikationsgeschäft ausgestiegen, Lotus hat als IBM-Tochter genügend damit zu tun, Notes als Groupware- und Entwicklungsplattform gegen Newcomer zu verteidigen, und Corel genießt mit seiner Perfect-Office-Suite wohl noch so etwas wie Welpenschutz.

Auf der Betriebssystem-Seite ist Microsofts Bilanz ähnlich makellos: DOS, Windows, Windows 95 und das sich zum Unix-Konkurrenten mausernde Windows NT sorgen für eine erdrückende Überlegenheit.

Selbst die halbherzig begonnene Internet-Initiative der Redmonder hat inzwischen dank Explorer (in der dritten Version), dem Internet Information Server (im Bundle kostenlos) und von MSN (runderneuert) an Fahrt gewonnen.

Quasi im Vorbeigehen gründet Bill Gates Joint-ventures mit Fernsehgesellschaften (NBC), hebt Internet-Magazine aus der Taufe ("Slate") und kauft Verwertungsrechte, um die Mona Lisas dieser Welt digitalisieren zu dürfen.

Warum also diese erneute Reorganisation? Ganz einfach, Gates fürchtet, daß die beispielhafte Erfolgsserie der letzten zehn Jahre durch die Herausforderung Internet jäh abreißen könnte.

Die am Anfang dieses Jahres eingerichtete Internet-Division reichte nicht aus, um die vielen unkoordinierten Einzelaktivitäten in diesem Sektor unter einen Hut zu bringen. Letztes Indiz dafür, daß die erfolgsverwöhnten Manager des Softwarehauses noch an einer Strategie für diesen neuen Markt basteln, ist der Eiertanz um den Netz-Computer. Nachdem das Wintel-Lager dieses Konzept zunächst als absurd abgetan hatte, schart Microsoft jetzt seine Partner um sich, um selbst Standards für einen schmalen Client zu setzen. Die Karten werden neu gemischt. Gates weiß das. Doch die erneute Reorganisation allein garantiert kein gutes Blatt im Internet-Poker. Es muß in die Köpfe seiner Manager, daß das Internet mehr ist als ein Distributionskanal für Microsoft-Software.