Open-Systems-Evolution frißt ihre Kinder

24.02.1989

Daß Oracle das Image des Nur-Unix-Datenbank-Anbieters loswerden will, drückt die Schlagzeile auf Seite 1 aus. Die Oracler meinen das auch so. Der Spezialist für relationale Datenbanken brauche das, was im IBM-Markt im Übermaß vorhanden sei: eine Hardware-Plattform, die auf der unfreiwilligen Loyalität der Kunden (Stichwort: customer lock-in) gründet. Im Unix-Bereich, so die Selbstanalyse, habe die Oracle-DB-Technik zwar einen guten Ruf, aber am DB2-De-facto-Standard in der IBM-Welt komme man nun mal nicht vorbei.

Unix-Gegner, präziser: die Befürworter "proprietärer", herstellerspezifischer Systeme, werden diese Aussage noch zu diplomatisch finden. Man hat eh schon immer gewußt, daß der Unix-Spuk schnell vorbei sein würde. Mit solchen Wunschvorstellungen, mögen sie auch weitverbreitet sein, müssen wir uns nicht auseinandersetzen. Aber auch wer Oracle jetzt des Verrats an der Unix-Idee bezichtigt, hat von den Mechanismen, die hier wirksam werden, nichts verstanden.

Zunächst dies: Proprietäre Systeme werden nicht von heute auf morgen, gleichsam mit einem Bums, vom RZ-Boden verschwinden. Daß sich die Oracle-Marketiers mit ihrem DB2-Schwenk also auf ein langsames IMS-Sterben einstellen wollen, ist weder eine neue Idee, noch ist sie sonderlich originell ("Was von IBM kommt, ist erst einmal gut"). Eine Customerlock-in-Architektur wie die der /370 wird noch für lange Zeit der Mainfame-Datenverarbeitung in großen Organisationen ihren IBM-Stempel aufdrücken. Aber was heißt das schon ?Anders gefragt: Können mit Mainframes heutiger Prägung die Probleme integrierter Informationsverarbeitung in den neunziger Jahren gelöst werden? Es geht, und darauf kommen wir noch, um die Beherrschbarkeit, um die "Manageabilität" komplexer, vernetzter Systeme in einer heterogenen DV-Welt, die durch interbetriebliche Kommunikation gezeichnet ist.

Zweitens: Oracle herrscht auf dem Unix-Datenbankfeld nicht mehr allein. Es ist ja gerade das Charakteristikum "offener" Konzepte, daß sie die Wende vom Verkäufermarkt zum Käufermarkt einleiten. So müssen die Anbieter erst damit umzugehen lernen, daß die Margen zusammenschmelzen, der Wettbewerb insgesamt härter wird, weil offene Systeme prinzipiell wettbewerbsneutral sind: Die Open-Systems-Evolution frißt ihre Kinder.

Wann diese Entwicklung abgeschlossen sein wird , weiß niemand. Prognosen, etwa derart, daß Unix bestenfalls auf 22 Prozent Marktanteil kommen kann, sind deshalb im doppelten Sinne verräterisch: Sie weisen den Guru als phantasiebegabten Regenmacher aus. Die Kernfrage muß deshalb lauten: Wie schätzen die Anbieter (wie schätzt Oracle) den Erfahrungs- und Erwartungshorizont der Anwender ein, ihren Kenntnisstand und die möglichen Konsequenzen, die von diesem Wissen ausgehen können?

Eindeutige Antworten gibt es nicht. Noch ist von einem Druck auf die Hersteller nicht viel zu spüren, kann Oracle - durchaus legitim - eifrig Proprietätsplane machen. Nur eines ist sicher: Proprietäre Systeme bedeuten Marktstillstand. Ja, die meisten Hersteller (Ausnahme: IBM) leiden bereits unter der Dürre. Und wer kann schon sagen, daß es bei der passiven Haltung der Anwender bleibt.