Open Systems: Der Zug ist abgefahren

21.12.1990

Computervermaktung ist kein Stichtagsgeschäft - von persönlichen Pörsonell Systemen auf dem Gabentisch und Budget-Kosmetik wollen wir hier nicht reden. Auch daß es einige bedeutsame Ultimo-Anwendungen gibt, kann eigentlich kein Grund für ein feierliches Fazit sein. Und doch war- wem sagen wir das - 1990 kein gewöhnliches Jahr. Was die Einheit des Landes angeht: Das neue Deutschland ist nur bedingt ein Fall für's Fachblatt. Zur DV-Thematik wurde bereits alles gesagt: Die Defizite bei der Hard- und Software werden sich relativ einfach und schnell ausgleichen lassen - weitaus gravierender ist das Knowhow-Defizit. Das heißt, unabdingbare Voraussetzung für eine positive Entwicklung der Informatik in Ostdeutschland ist die Bereitschaft, etwas für die Ausbildung zu tun. Über die Argumente einiger DV-Hersteller (wie: Wir fördern die Forschung, indem wir unsere Rechner zur Verfügung stellen) kann man nur weinen oder Tränen lachen.

Nun doch das unvermeidliche Jahresfazit aus der Sicht des Computer-Journalisten. Proprietär ist wieder groß in Mode", so könnte man den gegenwärtigen Branchentrend beschreiben. An der Frage: "Warum wächst IBM - und was können wir daraus ableiten?" machten DEC & Co. ihre Wachstumsträume fest. Die Frage ist falsch gestellt. Daß sich die AS/400 im abgelaufenen Jahr noch gut verkaufen ließ, ist gut für IBM - es wäre jedoch töricht, daraus etwas Verbindliches für die gesamte Computerindustrie abzuleiten. Nein, der Zug in Richtung offene Systeme ist abgefahren - nicht, weil die Anbieter ihn angeschoben hätten: Die Anwender haben die hinter Unix steckende Idee der Hardware-unabhängigen Software angenommen und schätzen gelernt. Es wäre zweimal töricht, die mit offenen Systeme wie Unix gewonnene Hersteller-Unabhängigkeit durch nutzlose Diskussionen über den "richtigen" Standard (OSF contra AT&T & Co.) zu gefährden. Doch diesen Gefallen werden die Anwender den Herstellern nicht tun.

Sich selbst keinen Gefallen tun sich die Nicht-IBM-Anbieter, wenn sie ihr Unix-Engagement für schlechte Geschäftsergebnisse verantwortlich machen. Hier wird Ursache mit Wirkung verwechselt. Schlecht geht es einigen Herstellern, weil sie zu spät und überdies halbherzig auf die Unix-Entwicklung reagiert haben - dafür werden sie jetzt bestraft. Der IBM, die weiter auf Hinhalten setzt, was offene Systeme betrifft, und im übrigen ihre proprietären Pfründe schützt, passen die Meldungen über Verluste anderer im Unix-Geschäft natürlich ins Konzept - zu Schadenfreude besteht indes kein Anlaß. Gerade die großen Anwender-Unternehmen, eine Domäne der IBM, unterstützen mittlerweile vehement die Open-Systems-Bemühungen - für den Mainframe Monopolisten sind sie eine große Herausforderung.