Open Source - Nährboden für Web-Applikationen

16.04.1999
Tim O''Reilly, Verlagschef von O''Reilly & Associates, unterstützt aktiv die Open-Source-Szene. Anfang März veranstaltete er zum zweiten Mal ein Open-Source-Gipfeltreffen - unter reger Teilnahme der Industrie. Eva-Katharina Kunst* hatte Gelegenheit zu einem Interview.

CW: Welche Assoziationen verbinden Sie mit Open Source?

O''REILLY: Die meisten Leute denken nur an Linux, in Wirklichkeit steckt hinter Open Source aber mehr. Schlüsselelement ist die Kommunikation: Mehrere Gemeinschaften von Menschen teilen über ein Netzwerk Ideen miteinander. Entwickler müssen zur Verwirklichung dieser Ideen keine großen Barrieren - zum Beispiel finanzieller Natur - überwinden. Die entstehenden Produkte, die ich als Infoware bezeichne, sind die Zukunft.

CW: Ist es wirklich nötig, Open Source - so wie Sie es tun - zu promoten?

O''REILLY: Ja und nein. Hierzu ein Beispiel. Glaubt man weiten Teilen der Presse, basieren alle Web-Server auf Microsofts Active-X-Technologie. Auf einer WWW-Verleger-Konferenz, an der ich kürzlich teilnahm, wurde gefragt, mit welcher Technologie die Anwesenden dynamische Web-Seiten generieren. Active X hat keiner eingesetzt, bei Perl hingegen gingen alle Hände hoch. Open-Source-Produkte verrichten die eigentliche Arbeit, doch Marketing- und Werbefachleute schaffen es, die Realität zu verzerren...

CW: ... weshalb die Open-Source-Initiative (OSI) gegründet wurde. Sind Sie eigentlich Mitglied?

O''REILLY: Nicht direkt, doch alle paar Wochen spreche ich mit Eric Raymond, dem Präsidenten. Die Open-Source-Initiative besteht im wesentlichen aus Eric und einigen Freunden, doch habe ich ihn gedrängt, sie repräsentativer zu machen. Ich glaube nämlich, daß einige Vertreter der Open-Source-Gemeinschaften den Wert der Initiative verkennen, obwohl sie ihnen sehr nützlich war.

CW: Die Open-Source-Initiative will hauptsächlich die klaffende Lücke im Marketing schließen - um die Beratung von Firmen kümmert sie sich nicht.

O''REILLY: Ja. Ein Teil des Problems ist, daß Eric Raymond kein wirklicher Businessman ist. Er ist ein Provokateur, und darin ist er wirklich gut. Aber irgend jemand muß eine Organisation gründen, die effektiv ist...

CW: ... und über Kapital verfügt.

O''REILLY: Ja, sie braucht Geld. Wenn Eric manchmal den Firmen sagt, "setzt auf Open Source, und alles wird gut", weiß ich nicht, ob ihm so ganz klar ist, wovon er spricht. Die Einführung und Nutzung von Open-Source-Produkten ist nicht einfacher als die von kommerziellen.

CW: Zählen Streitigkeiten um Patentrechte zu den größten Problemen?

O''REILLY: Das ist ein wesentlicher Punkt.

CW: Haben die Open-Source-Gemeinschaften in dieser Hinsicht etwas unternommen?

O''REILLY: Nein, aber das war ein wichtiges Thema auf unserem Open-Source-Gipfeltreffen Anfang März: Wir wollen versuchen, eine Organisation nach dem Vorbild der Internet Engineering Task Force (IETF) zu gründen, die für die Standardisierung der Internet-Protokolle zuständig ist. Bei der IETF kann jeder mitarbeiten, jeder hat ein Stimmrecht.

CW: Zu dem eben erwähnten Open-Source-Gipfeltreffen luden Sie auch viele Vertreter der Industrie ein. Wie war die Resonanz?

O''REILLY: Äußerst positiv. Alle kamen, sogar ein Repräsentant des Weißen Hauses. Ich glaube, viele Unternehmen haben den Zug der Zeit verstanden. Vor allem die IBM-Leute imponierten durch kluge Fragen. Im Vorfeld ihrer Open-Source-Aktivitäten hatte IBM beispielsweise Mitarbeiter abgestellt, die überall auf dem Globus Mitglieder der unterschiedlichen Open-Source-Gruppen befragten. Ähnliches Engagement zeigt Hewlett-Packard.

CW: Ihr Verlag hat Larry Wall angestellt, damit der das Open-Source-Produkt Perl weiterentwickelt. Gibt es weitere Aktivitäten, die Sie auf diese Art fördern?

O''REILLY: Wir unterstützen eine ganze Reihe von Open-Source-Aktivitäten. Larry Wall entwickelt Perl weiter, daneben finanzieren wir seit kurzem auch Brian Behlendorf, einen der Entwickler des Web-Servers Apache. Im Gegensatz zu Larry arbeitet Brian an einem ganz spezifischen Projekt, von dem wir hoffen, daß es in ein neues Unternehmen mündet. Ohne jetzt viel verraten zu können, geht es darum, das "Open-Source-Toolset" zu verbessern. Darüber hinaus veranstalten wir Konferenzen und Open-Source-Gipfeltreffen wie eben das Anfang März in San Jose.

Dort bringen wir die Schlüsselfiguren der verschiedenen Gemeinschaften zusammen, damit sie sehen, was sie gemeinsam haben. Oft kennen sie sich nicht einmal. Und last, but not least veröffentlichen wir auch eine Reihe von Büchern, die sich mit Open Source und den entsprechenden Produkten beschäftigen.

CW: Wie in der Politik gibt es auch in der Open-Source-Szene verschiedene Lager: Fundamentalisten wie Richard Stallman von der Free Software Foundation, Pragmatiker wie Eric Raymond und eher unpolitische Persönlichkeiten wie Linus Torvalds. Wo ordnen Sie sich selber ein?

O''REILLY: Am ehesten als Pragmatiker. Ich mag neugierige Leute, ich mag Entwickler. Mich stört es nicht, wenn ein proprietäres System mit einem Open-Source-System konkurriert. Allerdings ist es besser zu kooperieren, als sich zu bekämpfen. Daher würde ich auch lieber Microsoft davon überzeugen, daß Open Source keine Gefahr, sondern etwas Gutes ist.

CW: Microsoft steht im Ruf, nie wirklich neue Schlüsseltechnologien entwickelt zu haben. Wird es für die Company nicht schwer, gegen die Open-Source-Gemeinde zu konkurrieren?

O''REILLY: Trotz des Erfolges von Open Source wird es natürlich auch weiterhin proprietäre Software geben.

CW: In Ihrem Buch "Open Source - Voices of a revolution" schreiben Sie: "Der Punkt ist: Open-Source-Software muß nicht Microsoft in dessen eigenem Spiel schlagen. Statt dessen ändert Open Source das Wesen des Spiels." Wie ist das zu verstehen?

O''REILLY: Das hat mit meiner Idee von Infoware zu tun, die eine ganz neue Plattform schaffen wird. Der Anwender - und auf den kommt es an - interessiert sich in Wahrheit nicht nur für Datenbanken, Spreadsheets oder Betriebssysteme. Die Leute kaufen Computer aus verschiedensten Gründen, und sie tun ganz unterschiedliche Dinge damit. Oft haben diese nicht mehr viel mit den traditionellen Desktop-Applikationen zu tun. Ich kenne Leute, die sich nur deshalb einen Computer anschaffen, damit sie damit bei Amazon.com Bücher einkaufen oder die Dienste von Yahoo nutzen können.

CW: Hat Microsoft diese Entwicklung verstanden?

O''REILLY: Für Microsoft geht es darum, die Plattform zu besitzen, auf der die Applikationen der nächsten Generation aufsetzen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Auf Produkten wie Free BSD, Linux, Apache oder Perl werden gegenwärtig Dienste wie Yahoo oder andere Web-Datenbanken aufgebaut. Jetzt beginnen die Anbieter kommerzieller Software zurückzuschlagen.

Microsoft hat eine Menge Fortschritte mit seinen Active Server Pages gemacht, nachdem es festgestellt hatte, daß Active X das falsche Modell für Infoware-Applikationen war. Daher geht meine Botschaft eher an die Open-Source-Gemeinschaft als an Microsoft: Die Zukunft heißt Infoware, die Schlacht um den Desktop-Markt ist uninteressant geworden. Das Web ist die Plattform! Ziel muß es sein, nach dem Vorbild von "Intel Inside" ein "Open Source Inside" für die Applikationen der nächsten Generation zu etablieren.

CW: Viele kommerzielle Unternehmen portieren zur Zeit ihre Applikationen auf Linux-Plattformen. Werden sich die Anwender im großen Stil auf Open Source einlassen?

O''REILLY: Wenn jemand bei IBM ein Produkt erwirbt, dann möchte er die Sicherheit kaufen, daß IBM hinter dem Produkt steht. Auf welche Art und Weise es entwickelt wurde, spielt dabei keine Rolle.

CW: Aber IBM unterstützt Linux nicht direkt, sondern indirekt über Red Hat.

O''REILLY: Das wird sich ändern. Anbieter werden mehr und mehr die Open-Source-Produkte direkt supporten. Und was ich erstaunlich finde, ist, daß sie nicht nur versuchen, von Open Source zu profitieren, sondern wirklich Anwenderprobleme lösen wollen.

Auf einer Konferenz in New Orleans wurde die Frage gestellt, wie viele Menschen glauben, Microsoft sollte gesplittet oder durch die Justiz bestraft werden: Dort waren 90 Prozent dem Unternehmen feindlich gesonnen. Viele Anwender stehen hinter Open Source, weil sie es leid sind, von Microsoft kontrolliert zu werden. Sie wollen, daß das aufhört.

CW: Wie organisieren sich die Open-Source-Gemeinschaften in puncto Software-Entwicklung?

O''REILLY: Ganz verschieden. Linus Torvalds ist beispielsweise jemand, der bei Diskussionen über neue Linux-Features schon mal sagt: "Das ist Unsinn, laßt es sein." Die Apache-Entwickler hingegen verfügen über ein regelrechtes Wahlsystem: Jedes Mitglied der Kerngruppe hat eine Stimme. Bei der Entscheidung über wesentliche Features müssen drei Mitglieder zustimmen, dann wird es implementiert. Gleichzeitig reicht ein einziges Veto aus, um die Funktion herausfallen zu lassen. Und wenn ich vorhin von Open-Source-Toolset gesprochen habe, dann meine ich damit eben die softwaretechnische Unterstützung derartiger Organisationsformen.

CW: Können Sie sich eigentlich vorstellen, Bücher nach dem Schema "Open Books" zu verlegen?

O''REILLY: Wir haben bereits eine Anzahl solcher "Open Books". Ich bin aber Verleger und glaube, daß die Rechte an einem Buch allein dem Autor gehören. Ich habe über diese Frage auch mit Richard Stallman gesprochen und ihm erklärt, er sollte sich an die Autoren wenden, wenn er die Open-Source-Idee auf Bücher übertragen wolle. Es geht ja schließlich auch um die Frage, warum ein Buch geschrieben wird. Möchte der Autor der Gemeinschaft ein Geschenk machen? Dann verdient er kaum Geld. Das aber ist aus meiner Sicht eine wesentliche Motivation, Bücher zu schreiben.

Bei Open-Source-Software ist das anders. Richard Stallman beispielsweise glaubt, die Softwarenutzer hätten alle Rechte an der Software. Sicher hat er teilweise recht: Seine Kampagne für freie Software startete in einer Zeit, in der die Unternehmen die Anwender regelrecht übervorteilten. Also leistete er unzweifelhaft einen wertvollen Beitrag, indem er für die Rechte der Anwender kämpfte. Aber er geht zu weit, wenn er den Entwicklern sämtliche Rechte an ihrer Software absprechen möchte. Genau das will ich mit den von mir verlegten Büchern nicht tun.

CW: Sie sehen also fundamentale Unterschiede zwischen dem Schreiben von Software und Büchern.

O''REILLY: Ja. Freie Software entsteht in der Regel, weil Entwickler eigene Probleme lösen wollen. Larry Wall schrieb Perl, um einige Dinge auszuprobieren. Perl zu verschenken hat ihn nichts gekostet, sondern ihm vielmehr noch etwas eingebracht: Andere Entwickler haben mitgeholfen, Perl weiter zu verbessern.

Eric Raymond nennt in "The Cathedral and the Bazaar" zwar auch die Möglichkeit, Reputation zu erwerben, als Grund, warum Entwickler Open-Source-Projekte verwirklichen. Wenn Sie sich aber beispielsweise ein Programm wie "Sendmail" ansehen, dann hat Eric Allman es in erster Linie geschrieben, um sein Mail-Problem zu lösen. Bei Büchern ist das anders. Bücher werden von Anfang an für andere geschrieben. Ein Buch wird in den seltensten Fällen für den Eigenbedarf verfaßt.

CW: Produkte wie "KDE" oder "Gnome" werden sicher nicht für den Eigenbedarf entwickelt.

O''REILLY: Zugegeben. Daher könnte man argumentieren, daß diese Projekte nicht erfolgreich sein können. In der Tat werden manche Projekte nicht gestartet, um ein eigenes Problem zu lösen, sondern eben nur um zu hacken. Aber sobald man Dinge auch für andere macht, muß man sich die Frage stellen, woher der Antrieb kommt: Geht es um Reputation? Sicher ist: Die meisten Open-Source-Projekte werden begonnen, weil man glaubt, daß es funktioniert.

*Eva-Katharina Kunst ist freie Journalistin in München.