ITSM-Projekte mit OTRS realisieren

Open-Source-Lösungen in der Praxis

03.02.2013
Von Rico Barth

Die Phase der Umsetzung

Aufgrund seiner Marktbedeutung beschränken wir uns bei den weiteren Betrachtungen auf OTRS. Das System, das kostenfrei heruntergeladen und ausprobiert werden kann, ist zügig installiert. Nutzern wird es leicht fallen, die ersten Warteschlangen für Tickets (so genannte Queues) einzurichten. So lassen sich recht einfach ITSM-Praxiserfahrungen sammeln. Ein funktionales System wird daraus aber noch nicht.

Die meisten größeren ITSM-Projekte kommen ohne das Know-how eines spezialisierten Dienstleisters nicht aus. Je nach Ausprägung des Anfrage-Managements kann er dabei helfen, weitere Prozesse zu integrieren, so dass Event-, Konfigurations- und Change- oder Release-Management reibungslos funktionieren.

Kommt OTRS zum Einsatz, lassen sich Event-Meldungen aus Monitoring-Tools wie "Nagios" oder dem Fork "Icinga" automatisch einbinden. Auch proprietäre Produkte wie "HP Openview" können berücksichtigt werden. Auch das Konfigurations-Management ist offen für Erweiterungen wie die automatische Software-Verteilung "opsi" von der Mainzer uib, für Thin-Client-Tools von Igel oder für die CMDB "i-doit" als Alternative oder Ergänzung zur OTRS-eigenen CMDB. Hinzu könnten "Bugzilla" oder "JIRA" für das Change- und Release-Management kommen. Ein MediaWiki und andere Erweiterungen für den Self-Service sind ebenfalls möglich.

Die weitaus größte Projektherausforderung ist die Qualität der Datenbasis, die in die CMDB einfließen soll. In den meisten Fällen sind bei den Inventardaten die Konfigurationsobjekte in verschiedenen Datenbanken, Tabellen oder Listen erfasst, Informationen über die Beziehungen zwischen den Objekten fehlen. Das Einbinden, Strukturieren und Homogenisieren der Konfigurationsdaten verschlingt meistens viel Zeit.

Ähnlich verhält es sich mit den Kundendaten. In der Regel sind alle Informationen über die Mitarbeiter in einem Verzeichnisdienst erfasst, von wo sie sich theoretisch leicht integrieren lassen sollten. Die Praxis hält allerdings regelmäßig Überraschungen bereit. Geht man Fehlermeldungen auf den Grund, stößt man auf Dubletten oder Datensätze, denen bestimmte Attribute fehlen. In OTRS-Umgebungen muss das Attribut "E-Mail-Adresse" immer gefüllt sein, es ist ein Pflichtfeld.

Wichtig ist auch das Filtern der Informationen, die in das ITSM-System einfließen. Allein die Basissysteme liefern eine erschlagende Menge an Daten, von denen der überwiegende Anteil für die Organisation der IT-Prozesse völlig unerheblich ist. Dabei braucht beispielsweise der Helpdesk die wichtigsten Informationen auf einen Blick, weil er möglichst schnell Entscheidungen treffen muss, die dem Endanwender helfen. Tausende Detaildaten verschleiern das Problem nur. Reichen die Informationen, um Anfragen auf den Grund zu gehen, nicht aus, kann er vertiefende Daten aus den Subsystemen holen. Auf diese Selektion, die Bestimmung des relevanten Inputs für den Großteil der Incident-Meldungen, sollte viel Wert gelegt werden. Sie wird bei jedem Unternehmen etwas anders ausfallen.

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Selbstverständlich wollen alle Verantwortlichen Reports. Dabei sind sie als Tätigkeitsnachweis (Wie viele Tickets pro Monat?) häufig wenig hilfreich. Sinnvoller sind Reports, die sich von konkreten Indikatoren ableiten und dazu beitragen, Incidents künftig vorzubeugen. So kann zum Beispiel eine Häufung von Router-Ausfällen anzeigen, dass ein Gerätetyp für bestimmte Umweltbedingungen wie Hitze und Staub ungeeignet ist. Auslastungsdaten von Druckern geben Hinweise darauf, ob Kauf oder Leasing der Geräte wirtschaftlicher ist. Indikatoren können auch die Qualität der angebotenen Serviceleistungen sein.

Die Basiseinrichtung eines ITSM-Systems muss dokumentiert werden. Tatsächlich geschieht das aufgrund der oft hohen Belastung des IT-Personals meistens nur lückenhaft. Unabdingbar aber ist, wenigstens die Konfigurationsänderungen gegenüber dem Standard-OTRS festzuhalten.

Die Phase der ITSM-Einführung

In der ITSM-Einführungsphase ist es wichtig, die IT-Mitarbeiter gut geschult in die Produktivphase des neuen ITSM-Systems mit gegebenenfalls neuen Prozessen starten zu lassen. "Learning by Doing" ist hier der falsche Weg. Sind die IT-Mitarbeiter im Umgang mit dem neuen system nicht kompetent, erkennen die Endanwender das sofort. Sie werden das Projekt ablehnen und in der Folge entsteht eine Investitionsruine.

Die Endanwender sind der eigentliche Knackpunkt. Sie haben sie sich an bestimmte Verfahren zur Problemlösung gewöhnt, zum Beispiel Papierformulare, auf denen sie ihr Anliegen festhalten. Diese Formulare sollten möglichst genau in elektronische Vorlagen umgesetzt werden. Finden die Anwender ihre gewohnte Umgebung wieder, werden sie auch im produktiven Betrieb mit den neuen Mitteln arbeiten - und einer der wichtigen "Quick-Wins" ist erreicht.

Sollen die Endanwender etwas anders machen, als sie es gewohnt sind, muss man es ihnen erklären. Wichtig ist, dass der Support über eine zentrale Telefonnummer und Mailadresse zu erreichen ist. Das wird die Kunden nicht davon abhalten, ihren bekannten Supporter anzurufen oder sogar persönlich aufzusuchen. Deshalb werden die IT-Mitarbeiter Geduld aufbringen müssen, den Anwendern das Ticket-System sowie Organisation und Steuerung des Helpdesk mitsamt den Vorteilen zu erklären. Allerdings sei vor der Illusion gewarnt, durch das Schreiben von Tickets seien alle Firmenangehörige gleich. Die Sekretärin vom Chef wird auch in Zukunft gleicher sein. Zu diesem Zweck gibt es Klassifizierungsmerkmale wie Ticket-Typen, Services und SLAs, um Tickets vorab zu priorisieren.

Die Betriebsphase

Die Einführungsprobleme ziehen sich weit in die eigentliche Betriebsphase hinein. Nun aber ist es Zeit, die Früchte klugen Vorgehens zu ernten. Aus der Praxis Dutzender Projekte lässt sich feststellen, dass ITSM, selbst auf der unteren Ebene des Helpdesk, ein nie endendes Projekt ist. Und das ist durchaus im Sinne der ITIL-Vordenker, denen zufolge sich die IT dynamisch an die sich wandelnden Anforderungen von Unternehmen und Verwaltungen anzupassen hat.

Das manifestiert sich vor allem darin, dass regelmäßig schon bald nach der Produkteinführung neue Wünsche hinsichtlich Funktionalität und Prozesskonfiguration auftauchen. Erstaunlicherweise haben diese meistens herzlich wenig mit den in der Vorbereitungsphase vorgebrachten Wunschanforderungen zu tun. Das unterstreicht, wie wichtig es ist, die anfängliche Anforderungsliste möglichst klein zu halten und zu priorisieren.

Ganz sicher aber wird sehr bald in der IT die Idee aufkommen, man könne die Arbeitslast durch "Customer Self Service" weiter reduzieren. An dieses Thema ist mit Vorsicht und Planung heranzugehen. Der Ansatz "Jetzt helfe ich mir selbst" richtet in der IT eher Schaden an, jedenfalls wenn es um die Behebung von Funktionsstörungen geht. Unproblematischer ist sie, wenn es um das Bereitstellen von Applikationen geht oder den Zugang zu Dateiverzeichnissen, E-Mail oder ähnlichem. Dazu bedarf es aber zum Teil neuer innerbetrieblicher Abläufe und ihrer elektronischen Nachbildung - womit das nächste Projekt auf dem ITSM-Weg starten kann. (mhr)