Open-Source-Software/Eine starke Alternative für unzufriedene Anwender

Open Source ist kein Tabu mehr für professionelle DV-Umgebungen

21.08.1998

Software-Entwicklung aus eigenem Antrieb, weil sie gerade Spaß macht? Keine Ankündigungen von Updates und künftigen Features? Und vor allem: Nicht nur Programme, sondern auch gleich der Quellcode für alle, zum Verwenden oder Verändern - und zudem kostenlos? Solche Naivität kann etablierten Industriegiganten wie Microsoft nur ein müdes Lächeln abringen. Wer würde so leichtfertig seine Goldminen verschleudern?

Aber gerade daß diese verrückten Open-Source-Entwickler nicht mit Marktmacht oder Stamm- kunden auftrumpfen können, macht sie stark. Sie wollen Kollegen und Anwender nicht durch Marketing, nur durch immer bessere Software beeindrucken. Was diese von Jahr zu Jahr atemberaubend wachsende Randgruppe inzwischen zuwege gebracht hat, kann sich nicht nur sehen lassen, sondern stellt vieles andere bereits in den Schatten.

Über das Internet erobern Freeware-Startups wie Red Hat, Cal- dera, Apache Group und die in Fürth ansässige SuSE in Windeseile das internationale Parkett. Sendmail, die geistige Schöpfung der gleichnamigen Company, über die inzwischen 80 Prozent der Internet-E-Mails laufen, ist genauso "open source" wie die Programmiersprache Perl, die gern zum Scannen von Datenbanken und Dokumenten nach bestimmten Wörtern oder Zahlen verwendet wird und bereits 500000 Anwender gefunden hat.

Star der Entwickler ist eindeutig das alternative Unix, das Server-Betriebssystem Linux. Weltweit 7,5 Millionen Nutzer verwenden bereits Linux in der Version 2.1. Rund 10000 Programmierer, die sich in Newsgroups über Testfragen und Codeverbesserungen verständigen, haben das Konvolut innerhalb des letzten Jahres von 800000 auf 1,5 Millionen Programmierzeilen ausgebaut. Inzwischen gibt es - mit 110 Updates - Linux in Version 2.1.

Linux-Erfinder Linus Torvalds, der 1991 als 21jähriger Student an der Universität Helsinki mit einer Alternative zu Unix anfing, ziert nicht nur das Cover der letzten "Forbes"-Ausgabe. Mittlerweile verweist er Namen wie Scott McNealy, Larry Elison und sogar Tom Cruise auf die Plätze - zumindest was die Trefferquote einzelner Suchmaschinen anbelangt.

Das Establishment nimmt das Freeware-Lager ernst

Für Freeware-Apologeten wie Torvalds, Perl-Erfinder Larry Wall oder Red-Hat-CEO Robert Young ist der "Hacker" kein Beelzebub, sondern eine geschätzte Persönlichkeit: vom Drang beseelt, das Unmögliche möglich zu machen und vor allem der etablierten Industrie zu zeigen, wo es langgeht. Das zeichnet den Hacker aus und ist zugleich Erkennungsmerkmal des modernen Programmierers.

Selbst einer noch so teuer bezahlten Entwicklertruppe werde es kaum gelingen, einer Massenbewegung für Open-Source-Software Paroli zu bieten, lautet das Credo einer Marktgesetzen zuwider handelnden Gruppe von Außenseitern. Allerdings gebe man sich keinen Illusionen hin. Die Microsoft-Pressestelle antwortet auf eine Anfrage nach einer Stellungnahme zu Freeware mit fassungslosem Schweigen.

Doch auch das Establishment beginnt, das andere Lager ernstzunehmen, seine Strategien und Produkte zu übernehmen. Net- scape veröffentlichte seinen Browser-Sourcecode im Web, IBM übernimmt den Web-Server "Apache", Datenbankhersteller wie Informix, Oracle und die deutsche Software AG portieren ihre Systeme auf Linux. Hardwarehersteller beeilen sich plötzlich, entsprechende Treiber zur Verfügung zu stellen.

Vor allem Anwender empfinden das wie eine frische Brise. "Wenn sich Oracle und Co. für Linux engagieren, haben wir viel gewonnen", freut sich Wolfgang Krause. Der Projektleiter und Software-Entwickler der Condat GmbH in Berlin berät Kunden bei der Einführung individueller IT-Lösungen. Im eigenen Unternehmen ist er zugleich verantwortlich für eine Vielzahl interner Server-Dienste für 120 Mitarbeiter, wofür neben Novell und NT auch Linux eingesetzt wird.

Trotz des bislang zurückhaltenden Supports der Datenbankhersteller hat sich Linux eine feste Position erobert: als Mail-, Domain-Name-Service (DNS)-, Web- oder News-Server, ferner als ISDN-Server für das Remote Access Dial-in oder für das Firewall Routing mit IP-Masquerading. An der Eignung von Linux gibt es für Krause keinen Zweifel: "Es frißt keinen Speicherplatz, läuft sehr stabil und erfordert kaum laufenden Aufwand."

Unter Linux feiern sogar ausgemusterte 386er als ISDN-Router fröhliche Urständ. Das laut Krause "professionelle" Server-Betriebssystem reaktiviert für wichtige Intranet-Dienste die mit Windows überforderten Maschinen. "Hier hat Microsoft eindeutig den Anschluß verloren. NT-Rechner beanspruchen zu viele Ressourcen, verlieren Speicher und müssen über Gebühr aufgerüstet werden."

Dem kann sich Stefan Weiß, DV-Leiter des Mediendienstleisters Gürtler GmbH in München, nur anschließen. "Stabilität heißt der offizielle Microsoft-Bug." So sei das Handling von Grafik-Files via NT eine Katastrophe. Ebenso unzufrieden ist Weiß darüber, daß er Windows-Rechner immer wieder neu booten muß, wenn er die Netzwerkeinstellung geändert hat. Mit Linux sei das "on the fly" möglich.

Überhaupt würde Weiß am liebsten alle Windows-PCs herauswerfen und gegen Linux-Clients austauschen. Doch die überwiegende Mehrheit der Kunden, mit denen Gürtler eng kooperiert, lebt nun einmal in der Microsoft-Welt. Der begeisterte Linux-Anhänger wünscht sich einen qualifizierten Support, der rund um die Uhr zur Verfügung steht. Eine zweite Einschränkung bei Linux sind laut Weiß "Mission-critical"-Applikationen - in diesen Fällen sollte man Unix oder Novell favorisieren.

Die Firmen, die sich auf Linux spezialisieren, verdienen ihr Geld mit der Dienstleistung. Wer hier keinen Fehler macht und glaubwürdig auftritt, dem laufen die Kunden nicht davon. "Unser Partner war die erste Firma, die ein verständliches Angebot unterbreiten konnte", blickt Doris Schmitt, Geschäftsführerin der Dr. Schmitt GmbH in Dieburg, zurück.

Der Hersteller von Chemikalien für Offset und Tiefdruck hat die alte Novell-Konfiguration durch Linux auf dem File-and-Print- und Datenbank-Server für Windows-Clients ersetzt. Den bevorstehenden Firmenumzug will man nutzen, "vieles andere auf Linux umzustellen". Weil die Systeme fehlerfrei laufen, beschränkt sich Linux-Partner IOS aus Pulheim auf die Fernwartung via Modem.

Der eigentliche Erfolg von Linux spielt sich im Internet ab. Davon ist Matthias Zehe überzeugt, der die Weiterbildung im Internet untersucht. "Viele Unternehmen investieren in Internet-Technologie und sind oft an der falschen Adresse", kritisiert der Marktbeobachter.

Wer auf Windows NT vertraut, handele sich nicht nur große Störanfälligkeit ein, sondern gerate auch mit seinen Web-Sites ins Hintertreffen. "Im Unterschied zu Linux-Sites sind NT-Seiten sehr groß und benötigen zuviel Zeit für den Ladevorgang."

Web-Sites, die überdurchschnittlich viele Besuchsquoten erzielen und auch funktionieren, basieren in der Regel auf Linux. Internet-Surfer ziehen sie dem Multimedia-Schnickschnack der Windows-Welt vor. Auch mit Java entwickelte Sites haben noch um die Gunst der User zu kämpfen: Laut Zehe stürzen die Browser zu oft ab.

In Deutschland setzt Linux seinen Siegeszug unvermindert fort. "Wie nach einem Ritterschlag" dürfen sich nun auch die Entwickler der SuSE AG fühlen. Die einstige Garagenfirma, die sich vor wenigen Jahren noch die Hacken ablief, um Venture Capital aufzutreiben, hat sich mit einem Informix-Deal in die Phalanx der in den USA dominierenden Player Caldera und Red Hat vorgewagt.

Mit nunmehr rund 120000 Kunden, davon vielen aus dem erlauchten DAX-Kreis, ist SuSE die unbestrittene Nummer eins auf dem Markt. Für Roland Dyroff, einen der vier Geschäftsführer, gibt es aber noch viel zu tun. "Unsere Klientel ist zwar wichtig für den Einstieg ins Corporate Business, sie hat allerdings zuwenig Einfluß auf strategische Entscheidungen."

In großen DV-Strategien noch nicht vorgesehen

Hier verbirgt sich der Knackpunkt der Linux-Begeisterung. Die meisten Anwender sind Privatpersonen, technisch Interessierte und Studenten, die ihre Philosophie von der Uni in die ersten Jobs mitnehmen. Viele DV-Verantwortliche setzen zwar Linux ein und finden keinen Anlaß zu klagen. Doch der Weg in die Etage hehrer DV-Strategie bleibt Linux verschlossen.

Auch Bernd Driesen, DV-Leiter der Babcock BSH GmbH in Krefeld, kann sich nur in Grenzen für Linux aussprechen. Während im eigenen Umfeld die DV in erster Linie nichts kosten soll, hat der Konzern schon längst seine strategischen Entscheidungen gefällt. Die offizielle Strategie basiert auf SAP, NT und Co.

Aber dieses Manko scheint nur eine Episode der Erfolgsstory zu sein. Es herrscht schon heute ein Mangel an Systemadministratoren und Netzwerkspezialisten, die sich auf Linux verstehen. Viele Anwender sind von Windows NT enttäuscht, eine teure Alternative auf Unix mit Hewlett-Packard oder Sun kommt für sie aber nicht in Frage.

Eines ist klar: Je mehr das Internet die Unternehmenslandschaft umkrempelt, desto größer die Chancen für Linux. "Es hat großes Potential", sagt Condat-Mann Krause stellvertretend für viele andere. "Ob es sich jedoch auch bei großen Aufgaben im Unternehmensumfeld bewähren kann, bleibt abzuwarten.

Angeklickt

Es sind längst nicht mehr nur ein paar Informatikstudenten, die ihre Entwicklungsideen in frei zugängliche Open-Source-Software umsetzen. Längst haben Unternehmen erkannt, daß Linux und Dutzende Anwendungen in dessen Gefolge exzellente Programme sind, ressourcenschonend - und unschlagbar preisgünstig. Die Erfahrungen verschiedener DV-Spezialisten sind positiv, aber mit Einschränkungen: Für die ganz großen - und teuren - DV-Investitionen bringen sie Open-Source-Software aber noch nicht genug Vertrauen entgegen.

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.