DOS, OSF1 und BSD-Unix teilen sich einen PC

Open Software Foundation stellt Mikrokernel-Betriebssystem vor

31.01.1992

SAN FRANZISKO (gfh) - Messethema Nummer eins auf der Uniforum in San Franzisko war das von der OSF entwickelte Mikrokernel-Betriebssystem "OSF/1 MK". Damit gewinnt die Open-Systems-Organisation gegenüber den Unix System Laboratories an Boden, die bereits - gemeinsam mit Chorus Systemes - ein Mikrokernel-Unix anbieten.

Mit der Referenzimplementierung von OSF/1 MK realisiert die Foundation ihre seit zwei Jahren verkündete Vision eines frei konfigurierbaren Betriebssystems auf Basis eines neutralen Kernels, der in diesem Fall auf der Version 3.0. des Mach-Betriebssystems beruht. Das bedeutet, so die OSF-Vorstellungen, daß die Anwender durch Anfügen von Funktionsmodulen an den Kernel ein für die jeweiligen Aufgaben optimiertes Betriebssystem zusammenstellen können. Auf diese Weise ließe sich ein MVS-Mainframe-Betriebssystem ebenso nachbilden wie MS-DOS, VMS oder Unix. Auch ganz neue Kombinationen wären denkbar.

Im Gegensatz zu den Unix System Laboratories, die ihre Mikrokernel-Architektur ausschließlich für massiv-parallele Rechnerarchitekturen und Echtzeitsysteme anbieten wollen, zielt die OSF auf den Massenmarkt. Die Referenzimplementierung wurde von der OSF und dem Softwarepartner Mt. Xinu Inc., Berkeley, Kalifornien, auf einem handelsüblichen PC mit 386er-Intel-Chip vorgeführt. Darauf liefen gleichzeitig die Betriebssysteme MS-DOS, OSF/1 und das BSD-Unix 4.3 unter dem Mikrokernel.

Unterschiedliche Reaktionen auf das OSF-Produkt

Jetzt ist Mt. Xinu damit beauftragt, "möglichst rasch" eine kommerziell verwertbare Multiprozessor-Version von OSF/1 MK herzustellen, denn der erste Kunde wartet bereits. Laut Deborah Scherrer, Mt.-Xinu-Präsidentin, will Intel das Produkt als Basisbetriebssystem für den kürzlich angekündigten massivparallelen Supercomputer einsetzen. Scherrer verspricht aber auch eine preisgünstige PC-Version für "die nahe Zukunft".

OSF-Präsident David Tory gibt sich von diesen Erfolgsmeldungen seiner Organisation wenig beeindruckt. "Der Mikrokernel ist als Produkt eigentlich nur für Entwickler interessante spielt der Herstellervertreter die Bedeutung des Produkts herunter. Für ihn bedeutet OSF/1 MK vielmehr einen Schritt weg von der lästigen Lizenzpflicht gegenüber den Unix System Laboratories. Sein Argument: "Die Mikrokernel-Entwicklung führt uns von den Betriebssystemen im klassischen Sinne weg. Mach 3.0 ist bereits lizenzfrei, und die darauf aufsetzenden Funktionsmodule brauchen wir ja nicht von der USL zu kaufen."

Die Reaktionen auf das OSF-Produkt fielen unterschiedlich aus. Die Zuschauer bei der Vorführung auf dein Stand von Mt. Xinu begeisterten sich spontan für die Möglichkeit, mehrere Betriebssysteme auf einem Rechner laufen zu lassen. In einer Diskussionsrunde zum Thema Down- oder Upsizing entwarfen die Referenten verteilte DV-Umgebungen für die Zukunft. Neben offenen Netz-Schnittstellen spielten dort spezialisierte und gleichwohl herstellerunabhängige Betriebssysteme die zentrale Rolle, wie sie das OSF-Konzept der Funktionskomponenten vorsieht.

Der deutsche Unix-Guru Hans Strack-Zimmermann hält solche Visionen dagegen für baren Unsinn. Seiner Ansicht nach würden damit alle Bemühungen torpediert, die Datenverarbeitung übersichtlicher zu gestalten. Niemand, so Strack-Zimmermann, könne ein Interesse daran haben, daß auf jedem Rechner im Unternehmen verschieden konfigurierte Betriebssysteme laufen. Gefragt sei vielmehr eine möglichst einheitliche Umgebung, wie sie in den letzten Jahren mit Unix geschaffen worden sei.

Zurückhaltend äußerte sich auch Michael Zadig, Director Product Marketing bei Sunsoft: "Wir brauchen keine Mikrokernel-Architektur. Unser Unix läßt sich dynamisch konfigurieren, so daß jeder Rechner vom Laptop bis zum Superrechner genau die Funktion hat, die er braucht."

Richard P. Straub, Strategic Marketing Manager Europe bei DEC für Unix und speziell für die OSF-Produkte, sieht dagegen keinen Grund, den Sinn des Mikrokernel-Betriebssystem in Frage zu stellen. Er gibt sich überzeugt, daß sein Unternehmen ein solches Produkt ebenso übernehmen und vermerkten wird wie jetzt das OSF/1-Betriebssystem. Eine kommerziell verwertbare Version von OSF/1 MK erwartet er jedoch nicht vor 1994. Bis dahin seien ohnehin die Digital-Produktlinien Ultrix, SCO-Unix und VMS im OSF-Betriebssystem aufgegangen.