OOP/C++ World '95: Der Markt gewinnt an Reife Die Glaubenskaempfe um die reine Lehre sind ausgestanden

10.02.1995

MUENCHEN (gfh) - Objektorientierte Techniken haben das Experimentierstadium verlassen. Auf der diesjaehrigen OOP- Konferenzmesse wurde nicht mehr ueber die reine Lehre diskutiert. Auch die Zweifel an der Einbindung von OO-Techniken in traditionelle Systeme scheinen ausgeraeumt zu sein. Vielmehr machten sich die Anwender auf die Suche nach Produkten.

Das wichtigste Ereignis der OOP war - so paradox es klingen mag - das Fehlen bisher strittiger Themen. So hat sich die Branche offenbar ueber eine Rollenverteilung fuer die Programmiersprachen Smalltalk und C++ geeinigt. Entwickler, die system- und hardwarenah arbeiten oder das Letzte an Leistung aus einer Software holen wollen, werden auf C++ setzen. Smalltalk dagegen wird ein Boom bei der Anwendungsentwicklung vorausgesagt, vor allem dort, wo es auf Geschwindigkeit und Flexibilitaet ankommt. Diese Meinung vertritt unter anderem Helmut Bensche, Vertriebsleiter CASE bei HP, der gleichzeitig nur eine geringe Nachfrage fuer die Entwicklungsumgebung Nextstep des Partnerunternehmens Next sieht. Das an sich gute Produkt sei vielen Anwendern schlicht zu proprietaer.

Selbst im Methodenbereich ist Annaeherung angesagt. Heiss diskutiert wurde die von den Experten Booch und Rumbaugh beabsichtigte Zusammenlegung ihrer beiden Verfahren. Da die Booch-Methode zur Objektmodellierung mit der Zeit bereits eine Reihe anderer gaengiger Ansaetze integriert hat, erhofft sich die Branche durch die Verschmelzung mit der Object Modelling Technique (OMT) von Rumbaugh die Entstehung eines industrieweit anerkannten Standards. Interactive Development Environments (IDE) hat bereits reagiert und auf der OOP angekuendigt, dass sein Produkt "Software through Pictures" beide Methoden unterstuetzen wird.

Auf der Betriebssystem-Ebene beherrschte Taligent, das Joint- venture von IBM, Apple und HP, die Diskussion. Das Unternehmen machte das Fachpublikum in mehreren Veranstaltungen mit seiner noch fuer Mitte dieses Jahres angekuendigten gleichnamigen Systemumgebung vertraut. Dabei bestand Taligents Technologie- Marketier Jack Grimes darauf, dass es sich hier nicht mehr um ein Betriebs-, sondern um ein Anwendungssystem handle.

Der Clou an Taligent ist, dass es aus Objektklassen Funktionseinheiten zusammenfasst, die Frameworks genannt werden und sich beliebig in die Anwendungsumgebung "Common-Point" einklinken lassen. Ausserdem sind die Frameworks mit einer Schnittstelle versehen, ueber die man die Funktionen an die Benutzerbeduerfnisse anpassen kann.

Die Schlichtheit dieser Architektur hat laut Grimes zur Folge, dass Applikationsentwicklung kuenftig vor allem im Anwenderunternehmen stattfinden wird. Der bisherigen Software-Industrie kommt dagegen nur noch die Rolle eines Lieferanten von Komponenten zu. Das gilt insbesondere deshalb, weil viele Features heutiger Produkte wie etwa Zeichensatzeinbindung, Videosequenzen, Workflow-Prozesse oder Telefonanbindung zum Lieferumfang von Common Point gehoeren. An diesem umfassenden Anspruch mag es liegen, dass sich bisher keiner der grossen Software-Anbieter oeffentlich zu der neuen Systemumgebung bekennt. Zu schwer wiegt auch die Sorge, einen Geschaeftseinbruch mit der angestammten Produktpalette zu riskieren.

Neu ist, dass Hewlett-Packard mit seinem bisher nur an Hersteller verkauften Entwicklungs-Bus "Softbench" nun auch breitere Kundenkreise erreichen will. Auf der OOP gab das Unternehmen bekannt, dass die Muenchner IQ-Products den Vertrieb fuer den deutschsprachigen Raum uebernehmen soll.

Highlights auf der OOP

Die Objectivity Inc., Mountain View, Kalifornien, hat ihre objektorientierte Datenbank "Objectivity" auf die RM-Unix-Rechner von Siemens-Nixdorf portiert. Das Besondere an diesem fuer grosse Netze ausgelegten Produkt ist, dass es sowohl SQL- als auch C++- und Smalltalk-Anwendungen einbinden kann. Die Cadre GmbH, Hoehenkirchen, hat auf der OOP ihr erstes C- und C++-Toolset vorgestellt. "Objectteam/Prodev" dient vor allem zum Test und Debugging von Software. Eine Bruecke zwischen objektorientierter Entwicklung und der SAP-Standardsoftware R/3 schlaegt die Boeblinger Sercon GmbH mit "Sermap". Das Tool bildet kundenindividuelle R/3- Bereiche als Klassen ab, so dass Entwickler mit objektorientierten Werkzeugen fuer R/3 entwickeln koennen.

Um ein Tool fuer Business Process Re-Engineering erweitert die Intellicorp SAPs R/3-Standardsoftware. Das Produkt mit der Bezeichnung "OMW" beruht auf der vom selben Hersteller stammenden objektorientierten Entwicklungsumgebung "Kappa" und stellt auch CASE-Funktionen fuer Design und Simulation zur Verfuegung.

Microsoft praesentierte sich auf der OOP vor allem mit den Windows- und Macintosh-Versionen 2.0 der Programmiersprachen Visual C++. Die IBM hielt mit der auf Smalltalk basierenden Entwicklungsumgebung "Visual Age" dagegen.

Auf dem Novell-Stand versuchte das Personal, Entwickler fuer den "Appware"-Bus zu begeistern. Entgegen den Geruechten wurde diese Technik naemlich keineswegs abgeschrieben. Das Unternehmen habe lediglich die Produktion eigener Klassen-Bibliotheken, der sogenannten Foundation-Classes, aufgegeben. Die sollen nun von Drittanbietern kommen.

Die OOP/C++ World '95

Die OOP ist eine von der Sigs Conferences GmbH ausgerichtete Kongressmesse, die seit 1992 jaehrlich in Muenchen stattfindet. In diesem Jahr wurde zum ersten Mal die C++ World integriert, was angesichts der besonders deutlichen Praesenz von Smalltalk- Anbietern und -Vortraegen eher einen irritierenden Eindruck bei den Besuchern hinterliess.

Die Spezialmesse konnte gegenueber dem Vorjahr einen Zuwachs von 300 auf 1800 Besucher vermelden. Die Zahl der Kongressteilnehmer stieg im selben Zeitraum sogar von 400 auf 700. Dafuer machen die Veranstalter nicht zuletzt das neu eingerichtete Management- Symposium verantwortlich. Am besten besucht waren Vortraege zu Infrastruktur-Themen. Dazu gehoeren verteilte Techniken, wie sie mit Microsofts Linking and Embedding (OLE) oder mit der Corba- Architektur der Object Management Group (OMG) angestrebt werden, modulare Techniken wie das Framework-Konzept von Taligent und die Aufteilung von Anwendungen in Komponenten. Von Interesse waren fuer das Fachpublikum aber auch neue Entwicklungstrends wie "Design Patterns".