IT in Versicherungen/Assekuranz geht Konflikten im Vertriebskanal aus dem Weg

Online-Verträge sind noch selten

16.02.2001
Bei vielen Versicherungsgesellschaften blinkt auf der Homepage ein Button, der schnellen und günstigen Versicherungsschutz verspricht. Doch häufig erschöpft sich das Angebot in der unverbindlichen Berechnung von Tarifen. Einen Online-Vertrag kann der Surfer in der Regel noch nicht abschließen. Von Johannes Kelch*

Zu den Avantgardisten unter den Versicherungen zählt ein Unternehmen der Old Economy: die Mannheimer Versicherungsgruppe. Mit der Mamax Lebensversicherung AG ging am 1. September 2000 eine Tochterfirma ans Netz, die konsequent alle technischen Möglichkeiten des Internet nutzt, um die Kunden online zufrieden zu stellen.

Die Mamax bietet Konditionen, die nach eigener Einschätzung um zehn Prozent unter den bislang üblichen Sätzen liegen. Nicht nur die Vermittlungsprovision entfällt, sondern auch die Verwaltungskosten wurden bei der Ausgestaltung der Tarife niedriger angesetzt, denn bei Mamax soll der Kunde seine Lebensversicherung online selbst verwalten.

Vorstandsvorsitzender Klaus Bohn argumentiert ganz aus der Perspektive der neuen Zielgruppe des Konzerns: "Der Internet-Kunde ersetzt den sonst üblichen Service durch Eigenleistung. Für diesen Verzicht will er selbstverständlich Prämienvorteile erzielen." Ganz auf persönliche Beratung muss man jedoch auch bei Mamax nicht verzichten: Wer online nicht mehr weiterkommt, kann ein Call-Center anrufen.

Vorteilhaft für den Online-Kunden ist die hohe Transparenz seines Kontos. So kann er ständig nachvollziehen, wie sich das für ihn angesparte Kapital entwickelt, wie er an den Überschüssen beteiligt wird und wie hoch der aktuelle Rückkaufwert der Police ist.

Ein erheblicher Vorteil liegt in der Flexiblität, in deren Genuss die Mamax-Kunden kommen. Es ist möglich, die Versicherung aus einzelnen Leistungsbausteinen nach persönlichem Gusto zusammenzustellen und später online immer wieder an eine neue Lebenssituation anzupassen.

Klaus Bohn glaubt allerdings, dass nur jeder fünfte Privatkunde in der Lage ist, dieses Angebot zu nutzen: "Maximal 20 Prozent der Privatkunden haben das Potenzial, Internet-Kunden zu werden." Das Gros der Leute wird nach Einschätzung des Konzerns auch künftig über den traditionellen Vertriebsweg gewonnen, das heißt, über einen Makler oder Versicherungsvertreter.

Trotz günstiger Tarife und individueller Vertragsgestaltung, trotz der Aufmerksamkeit in den Medien für die "Riester-Rente" - fand Mamax in den ersten Wochen nicht die erhoffte Resonanz. Eine Werbekampagne im Oktober animierte täglich rund 2000 Internet-Surfer zu einem Besuch. Doch bis zum 24. Oktober waren erst vier Verträge online abgeschlossen. Im Dezember zählten die Manager pro Tag nur noch 1000 Besucher auf der Website. Am 13. Dezember waren seit dem Start erst neun Verträge unter Dach und Fach.

Weitaus weniger revolutionär als bei Mamax geht es auf der Website der Konzernmutter zu. Auch hier kann der Surfer Versorgungslücken im Alter berechnen und die Tarife einer Zusatzrente ermitteln. Doch er muss beim Online-Abschluss die gleichen Tarife bezahlen wie beim Abschluss über einen Versicherungsvertreter. Die Vermittler nutzen die gleiche Technik wie der Surfer am heimischen Bildschirm. Somit führt die Eigenleistung des Internet-Users zu keinem Vorteil.

Zu den Trendsettern der Branche zählt auch die an Tradition reiche HUK Coburg. Das Unternehmen hat seine Website mit moderner Technik aufgewertet und bietet seit wenigen Wochen den Online-Abschluss. Unter huk.de kann der Kunde bereits mehrere Versicherungen (Kfz-, Rechtsschutz-, Krankenversicherung) online berechnen und abschließen. Der Surfer macht in Dialogfeldern Angaben zu seiner Person und dem gewünschten Versicherungsschutz, dann kann er die Berechnung der Beiträge starten und am Ende, sofern er Gefallen an den Konditionen findet, den Antrag senden.

Zauderern und Zweiflern macht die HUK in einem Vermerk Mut: "Den Versicherungsschutz direkt zu beantragen ist völlig risikofrei. Sie können dem Vertragsabschluss bis zum Ablauf von 14 Tagen nach Zugang Ihrer Versicherungsunterlagen (Versicherungsschein und -bedingungen) widersprechen."

Ganz anders als bei den mutigen Vorreitern im Internet ist die Lage beim Branchenriesen Allianz. Hier spielt der Vertriebsweg Internet noch keine besondere Rolle. Zwar sieht der Versicherungskonzern laut Sprecherin Gesa Walter im Internet "einen weiteren Kanal neben dem sehr gut ausgebauten Vertriebsnetz mit 13000 Vertretern". Doch auf der Website finden sich keine Buttons, die zu Verträgen oder gar dem Online-Abschluss führen.

Lediglich mit Tarifrechnern zur Auto-, Lebens- und Krankenversicherung schmückt sich die Homepage. Die Berechnungen führen jedoch zu nichts. So heißt das letzte Wort: "Für ein verbindliches Angebot wenden Sie sich bitte an Ihren Allianz- Fachmann."

Gesa Walter begründet die Abstinenz der Allianz mit "Verbraucherschutz". Versicherungsbedingungen mussten dem Kunden nach derzeit gültigen Bestimmungen in gedruckter Form vorliegen, beim Online-Abschluss werde diese Regelung nicht beachtet. Ein weiteres Motiv für die Zurückhaltung liege darin, dass in die erprobte und erfolgreiche Vertriebsmannschaft durch neuartige Online-Angebote keine Unruhe hineingetragen werden soll.

Statt E-Commerce ist bei der Allianz "E-Business" die Devise. So hat das Unternehmen investiert, um die Kommunikation mit den Vertretern und den Banken als Vertriebspartnern auf eine elektronische Basis zu stellen. Über ein Virtual Private Network mit 40000 Anschlüssen und ein Agentur-Management-System tauscht der Konzern mit seinen Vertretern jetzt wichtige Informationen aus.

Befürchtet die Allianz Einbußen durch pfiffige Konkurrenten aus dem Cyberspace? Nein, antwortet Gesa Walter, es sei ja "nichts Neues, dass es billigere Versicherungen als die Allianz gibt". Die Kunden schätzten jedoch den schnellen Service der Allianz im Schadensfall und nähmen die höheren Kosten in Kauf.

Kaum mehr als die Allianz bietet die AXA-Colonia den Besuchern auf der Website. Zwar sind hier bereits sechs Rechner online geschaltet, so dass der Kunde von der Risiko-Rente bis zur Krankenversicherung die Tarife und Leistungen ermitteln kann. Doch der Online-Abschluss ist lediglich bei der eher bedeutungslosen Auslandsreise-Krankenversicherung möglich.

Nicht viel besser sieht es bei der Versicherungskammer Bayern aus. Auch sie eröffnet auf ihrer Website nur zu einem verschwindend kleinen Ausschnitt aus ihrem Portfolio - Auslandsreise-Kranken-, Kraftfahrzeug- und Unfallversicherung - den Zugang zum Online-Abschluss.

Insgesamt hinkt die gesamte Versicherungsbranche noch weit hinter ihren Avantgardisten und anderen Trendsettern her. Die Hamburger Unternehmensberatung Mummert + Partner formuliert diese Diagnose in einer Anfang 2000 veröffentlichten Studie so: "90 Prozent der Finanzdienstleister nutzen bei ihrem Internet-Auftritt die Möglichkeiten des Mediums kaum aus."

Noch schlechter als die Banken schneiden die Assekuranzen in der Untersuchung der 50 größten Finanzdienstleister im deutschsprachigen Raum ab. Die meisten Unternehmen verfügten nur über ein "beschränktes Angebot" und konzentrierten sich auf "Produktbeschreibungen", monieren die Experten. Mummert + Partner verweisen auf das Beispiel Privat-Kfz-Haftpflichtversicherung: "Einen Tarifrechner bietet nur jede zehnte Gesellschaft an, den Online-Abschluss eine Minderheit von fünf Prozent." Diese "unbefriedigende Servicesituation" gelte auch für andere Sparten.

Eine besonders schlechte Note verdienen laut Mummert + Partner die Versicherungen aufgrund eines schwachen Verbraucherschutzes auf der Website. Lediglich jedes dritte untersuchte Unternehmen macht die Kundschaft auf datenschutzrechtliche Risiken aufmerksam, nur jedes fünfte weist auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen hin. Herbe Kritik der Unternehmensberater trifft ferner all jene Versicherungsunternehmen, die keine Preisnachlässe bei Antragstellung via Internet gewähren.

Mummert + Partner fassten zusammen: "Diese Angebots- und Serviceschwächen sind die Achillesfersen der Finanzdienstleister im Kampf um die Online-Hoheit über die rund zehn Millionen Kunden in der virtuellen Welt". Der Anteil des Direktvertriebs am Versicherungsgeschäft wird sich nach Schätzungen von Andreas Conrady, einem der Berater von Mummert + Partner, stark erhöhen. Conrady spricht von einer "Verschiebung im Vertriebswegemix". Der Online-Abschluss werde anderen Vertriebswegen auf jeden Fall Anteile abnehmen. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis jedes Haus im Rahmen einer Multikanalstrategie Produkte sowohl online wie offline anbiete, so Conrady.

Noch ist die rein elektronische Form beim Abschluss einer Versicherung im Internet für das Versicherungsunternehmen mit erheblichen Risiken verbunden. Nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz muss der Versicherer dem Kunden seine Verbraucherinformationen mit Angaben zu Versicherer, Laufzeit, Prämienhöhe und allgemeinen Versicherungsbedingungen "schriftlich" geben.

Versicherer nicht auf der sicheren SeiteSchriftlich bedeutet nach der Auslegung des Bundesaufsichtsamts für das Versicherungswesen "in Papierform". Hat der Kunde die Verbraucherinformationen nicht in Papierform bekommen, so kann er - so das Amt - auch zwei Wochen nach Aushändigung der Unterlagen dem Zustandekommen des Vertrags widersprechen. Das heißt, ein Versicherer ist nicht auf der sicheren Seite, wenn es zu einem Streit über die Frage kommt, ob denn überhaupt ein gültiger Vertrag abgeschlossen wurde.

Die meisten Unternehmen der Branche vermeiden derzeit solche Hängepartien mit einem eleganten Weg, der aber von der elektronischen zur Papierform führt. Der Kunde stellt elektronisch seinen Antrag, erhält den Vertrag mit den Verbraucherinformationen jedoch auf Papier und per Post. Er kann dann 14 Tage lang widersprechen - und dann ist alles für beide Seiten paletti.

Dieser Umweg wird schon bald nicht mehr erforderlich sein. Damit rechnet jedenfalls der Bundesverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (BDV). Ulrich Strack, Jurist und E-Commerce-Experte des Verbandes, verweist auf mündlich von der EU-Kommission geäußerte Bestrebungen, künftig als "schriftlich" ("in writing") dargebotene Information alles anzuerkennen, was in lesbarer Form verfügbar sei - damit auch lesbare Informationen aus dem Internet. Strack rechnet damit, dass bis Mitte 2001 die Maßgabe aus Brüssel in deutsches Recht umgesetzt sein wird.

Kommt dann der Boom beim Online-Abschluss von Versicherungen? Ulrich Strack glaubt nicht daran. Vor rund zehn Jahren erstellte Prognosen zur Zukunft der Direktversicherungen - Marktanteil von zehn, 15, ja sogar 20 Prozent - hätten sich als falsch erwiesen. Heute liegt der Marktanteil der Direktversicherungen, so Strack, lediglich bei drei Prozent.

Der E-Commerce-Fachmann gibt zu bedenken: "Der Personenkreis, der im Internet Versicherungen abschließt, ist der Gleiche wie der, den die Direktversicherer als Kunden gewinnen können. So ganz groß wird dieser Personenkreis in den nächsten Jahren nicht sein, vor allem nicht bei beratungsintensiven Versicherungsprodukten."

*Johannes Kelch ist freier Fachjournalist in München.

FehlermeldungEine große Zahl von Versicherern mutet den interessierten Online-Kunden einigen Ärger mit der Technik zu. Wer grundsätzlich keine "Cookies" akzeptiert oder einen inkompatiblen oder veralteten Browser nutzt, hat schlechte Karten.

Auf der Website des Gerling-Konzerns wird der Surfer mit dem Netscape Navigator 4.7 aufgefordert, doch die Version 6.0 des Browsers zu laden. Der neue Browser funktioniert aber genauso wenig.

Bei der Versicherungskammer Bayern scheiterten Versuche, Tarife zu berechnen, immer wieder ohne jegliche Begründung: "Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde, Ihre Sitzung ist abgelaufen. Bitte melden Sie sich erneut an. Versicherungskammer Bayern".

Ähnlich die Erfahrung bei der Postbank-Versicherung. "Hier können Sie Ihre Zusatzrente selbst aufstocken", verspricht das im April 1999 gegründete Unternehmen, das seit Frühjahr 2000 mit einem Tarifrechner im Netz vertreten ist. Online waren alle Versuche erfolglos. (Stand: Dezember 2000)

Abb.1: Rechtsschutzversicherungen

Ähnlich wie bei Kfz-Versicherungen (siehe oben) verhält es sich beim Thema Rechtsschutz: Online-Abschlüsse sind selten. Quelle: Mummert + Partner

Abb.2: Kfz-Versicherungen

Ein Internet-Einstieg in Sachen Kfz-Versicherungen ist geschafft. Doch überwiegen Abfragen von Produktbeschreibungen und Tarifen bei weitem die Online-Abschlüsse. Quelle: Mummert + Partner

Abb.3: Haftpflichtversicherungen

Die Zielgruppe derer, die Haftpflichtversicherungen online abschließen, ist verschwindend klein. Produktbeschreibungen indes sind gefragt. Quelle: Mummert + Partner