E-Business/Wie Channel Conflicts vermieden werden

Online- und Händlervertrieb schließen sich nicht aus

28.04.2000
Skeptiker gegenüber E-Commerce und Online-Handel befürchten die Verdrängung des klassischen Zwischenhandels durch den Direktverkauf im Internet. Joachim Moser* beschreibt, wie sich das Verhältnis der zwei Vertriebskanäle zueinander gestalten lässt.Von Joachim Moser*

Für die Anbieter von Waren und Dienstleistungen verspricht der direkte Vertrieb über das Internet Einsparungspotenziale bei Zeit und Kosten. Bestellroutinen lassen sich vereinfachen, die Mitarbeiter im Vertrieb haben dadurch die Chance, ihre Ressourcen für anspruchsvollere Tätigkeiten einzusetzen. Außerdem ermöglicht der direkte, elektronische Kontakt zum Kunden ein schnelleres Reagieren auf Veränderungen im Markt. Durch das Internet fallen ferner die beim herkömmlichen Einzelhandel bestehenden lokalen oder regionalen Beschränkungen weg: Im Netz ist der Adressatenkreis zumindest national, bei mehrsprachigen Angeboten tendenziell sogar global. Dadurch öffnen sich auf virtuellem Wege auf einfache Weise neue Märkte, für deren Erschließung noch vor wenigen Jahren aufwendige reale Vertriebsstrukturen hätten installiert werden müssen.

Allerdings ist der Einstieg in den direkten Internet-Vertrieb nicht frei von Risiken. Gerade für kleinere Hersteller, deren Angebot sich an Verbraucher richtet, dürften die Rechnungsstellung und das Inkasso eine Herausforderung darstellen. Dabei gelten private Konsumenten im Vergleich zu Geschäftskunden als das größere Risiko, vor allem, wenn sie nicht mit Kreditkarte zahlen. Große Betreiber von virtuellen Marktplätzen wie die Deutsche Post AG bieten den bei ihnen versammelten kleineren Anbietern deshalb eine Bonitätsprüfung an. Auch die Lagerhaltung und die Versandlogistik müssen an die neue Vertriebsschiene angepasst werden. Ansonsten verfallen Zeit- und Kostenvorteile auf der Bestellseite leicht wieder. Die oft befürchteten Sicherheitslücken beim Internet-Vertrieb sind dagegen weniger ein technisches denn ein mentales Problem.

Erfolgt der Vertrieb hingegen weiterhin indirekt über die bestehende Händlerorganisation, so bietet dies ebenfalls Vor- und Nachteile. Die selbständigen Groß- und Einzelhändler beziehungsweise Absatzmittler wie Handelsvertreter und Kommissionäre verfügen über ein teilweise bis auf die lokale Ebene hinunterreichendes Verteilernetz. Mit der Übernahme der Lagerhaltung, des Kundendienstes und vor allem der Beratung entlasten die Händler den Hersteller und kommen einem weitverbreiteten Kundenbedürfnis nach persönlicher Betreuung und kurzen Wegen entgegen.

Aus der Sicht der Anbieter von Waren und Dienstleistungen bedeutet dies natürlich, dass nur die zwischengeschalteten Händler den direkten Kontakt zu den Kunden haben und sie selbst einen geringeren Einfluss auf den Verkaufsprozess besitzen als beim direkten Internet-Vertrieb. Hinzu kommt der nicht zu unterschätzende Kostenanteil des Umsatzes, der auf den verschiedenen Stufen des Händlernetzes abgeschöpft wird.

Aus diesem Grund verwundert es nicht, dass Anbieter mit dem Gedanken spielen, die Zwischenhändler durch den direkten Internet-Vertrieb zu überspringen oder parallel zum Händlernetz eine zweite Marke für den E-Commerce zu etablieren. Dies erschreckt den traditionellen Handel, der seinerseits die Möglichkeiten des Internets zu nutzen beginnt.

Wenn vom "Channel Conflict" im Zusammenhang mit neuen E-Commerce-Aktivitäten über das Internet gesprochen wird, entsteht leicht der Eindruck, es habe in der Zeit vor dem Internet-Vertrieb keine Reibungspunkte zwischen Herstellern und Händlern darüber gegeben, wie der Kunde am besten zu erreichen sei. Dies war natürlich auch früher schon der Fall und das Verhältnis der beteiligten Vertriebsakteure sowie der genutzten Vertriebskanäle musste immer wieder neu ausbalanciert werden.

Die Unternehmensberatungsfirma McKinsey hat verschiedene Punkte herausgearbeitet, anhand derer man im Einzelfall feststellen kann, ob durch den Internet-Vertrieb ein Channel Conflict entsteht. Zunächst sollten die Verantwortlichen prüfen, ob es in den genutzten Absatzkanälen wirklich um die gleichen Kundengruppen geht. Hierbei zeigt sich oft, dass das Internet neue Kundengruppen erschließt, beispielsweise Personen, die selten in die Großstadt kommen, in der das nächste Ladengeschäft oder Büro eines Anbieters liegt.

Ferner stellt sich die Frage, ob es Wettbewerb zwischen den verschiedenen Absatzkanälen gibt oder ob sie nicht vielmehr voneinander profitieren. Das Internet wird oft zum Kaufen, noch häufiger aber zur Informationsbeschaffung genutzt. Die potenziellen Kunden kaufen dann weiterhin über die herkömmlichen Vertriebskanäle.

Außerdem gilt es zu klären, ob sinkende Umsätze in einem Absatzkanal ursächlich auf die wachsenden Anteile anderer Vertriebsmöglichkeiten zurückzuführen sind. Dies ist nämlich nicht unbedingt der Fall. Es kann zum Beispiel auch schlicht und einfach an der zu geringen Leistung des Vertriebspartners liegen.

Zuletzt bleibt noch offen, ob schlechtere Umsatzzahlen in einem Absatzkanal nachhaltig dem Profit des Herstellers schaden. Die Gefahr besteht nicht, solange dies durch einen neuen Absatzkanal wie etwa den Internet-Vertrieb ausgeglichen werden kann.

Insgesamt scheint hinter einem realen oder herbeigeredeten Channel Conflict immer auch ein Kommunikationsdefizit auf der Seite der ursprünglichen Anbieter von Waren und Dienstleistungen zu stecken. Nach einer aktuellen Untersuchung von IDC fühlen sich beispielsweise IT-Händler nicht genug über die Internet-Strategien der Hersteller informiert. Die Anbieter sind daher gut beraten, hier zu einer transparenteren Kommunikation überzugehen - oder besser noch die vorhandenen Händler und deren Fachkenntnisse in die Internet-Aktivitäten einzubinden. Dies sollte auch in Hinblick darauf geschehen, dass im Internet-Zeitalter auf der Verbraucherseite neue Nachfragemodelle entstehen, welche die Vergleichsmöglichkeiten nutzen, die das Web bietet - seien es nun Online-Auktionen, virtuelle Einkaufsgemeinschaften von Privatpersonen oder Lösungen für das elektronische Bestellwesen (E-Procurement) bei den Geschäftskunden.

Online- und Offline-Business getrenntEs zeichnen sich heute verschiedene Ansätze ab, wie Anbieter den Channel Conflict zwischen dem Vertrieb über Händler und dem Internet-Verkauf individuell lösen. Um den Umsatz der Einzelhändler vor Ort nicht negativ zu beeinflussen, hat die amerikanische Modefirma GAP zum Beispiel zwei Kollektionen: eine, die sie ausschließlich über Läden vertreibt, und eine zweite, die nur online über das Internet bestellt werden kann.

Einen anderen Weg geht Hugo Boss. Der Modehersteller verzichtet auf den Direktvertrieb der bestehenden Kollektion über das Internet. Stattdessen nutzt die Firma intern die Möglichkeiten des Web, um seine Partner am Point of Sales durch ein eigenes Extranet in sein Kommunikationsnetz einzubinden. Die Inhalte des Extranets lassen sich kostengünstig aktualisieren, vor allem aber erreichen die Informationen den Handel wesentlich schneller als etwa mit CDs, die per Post verschickt werden.

Am einfachsten dürfte die Etablierung eines Vertriebs über das Internet sein, wenn zuvor nur ein dünn oder gar nicht ausgebautes Händlernetz existierte. Dies trifft vor allem für große Versandhäuser zu, die in ihrem Angebot die Waren zahlreicher Hersteller bündeln und sich damit an die Verbraucher richten. Die Kunden sind es bei diesem Vertriebsweg bereits gewohnt, über Telefon, Fax oder Postkarte zu bestellen, und haben dadurch eine niedrigere Hemmschwelle gegenüber einem rein elektronischen Einkauf. Der Elektronikversand Völkner betreibt beispielsweise keine eigenen Ladengeschäfte. Dieser Anbieter ergänzt sein traditionelles Kataloggeschäft mit einem Online-Shop. Die Kunden können über das Internet nicht nur unter 15000 Artikeln auswählen, sondern erhalten einen zusätzlichen Service durch Verknüpfungsmöglichkeiten innerhalb der Datenbank. So enthalten Produktblätter zu den einzelnen Angeboten wissenswerte Informationen, die sich auch zum direkten Vergleich nebeneinander auf dem Bildschirm einblenden lassen. Darüber hinaus ist es möglich, Preisgruppen festzulegen und Expertenratschläge, Tipps sowie Installationshinweise einzuholen, die der gedruckte Katalog nicht bietet.

Schnellere Informationen für den Händler am Point of Sales, deutlicher Mehrwert für den Kunden oder klare Abstimmung sich ergänzender Online- und Offline-Angebote - die Beispiele zeigen, wie sich die Möglichkeiten des Internet sinnvoll im Vertrieb einsetzen lassen. Da letztlich der Verkaufserfolg immer schon von Marktorientierung und Kundenservice bestimmt wurde, werden sich die unterschiedlichen Absatzkanäle Händlernetz und Internet-Vertrieb auch mittelfristig ergänzen und nicht in einem unüberbrückbaren Channel Conflict zueinander verharren. Jeder gute Kaufmann wird nämlich darauf achten, vor Ort und im Netz zufriedene Kunden zu haben.

* Joachim Moser ist Mitglied der Geschäftsleitung der GFT Technologies AG in St. Georgen.