Virtuelle Lernwelten sind die Zukunft - aber nicht um jeden Preis

"Online-Trainings sind den meisten Kunden zu teuer"

07.04.2000
Der europaweit agierende Bildungsanbieter Integrata Training AG, Tübingen, rechnet einerseits mit hohen Zuwachsraten. Andererseits zeigte sich Vorstandssprecher Gerhard Wächter im Gespräch mit CW-Redakteur Hans Königes skeptisch, dass Online-Training sich zum großen Geschäft entwickeln wird.

CW: Mit welchen Produkten verdienen Sie am besten?

WÄCHTER: Unser Angebot an öffentlichen Seminaren hat im Augenblick die größte Dynamik. Da haben wir ein Wachstum von 27 Prozent. Das ist überraschend, weil das öffentliche Seminargeschäft bei vielen unserer Mitbewerber eher rückläufig ist. Wir verfügen im öffentlichen Seminargeschäft über einen Größenvorteil, weil wir eine umfangreiche Auswahl von 450 bis 500 Themen anbieten können. Mit elf Standorten sind wir in einem Umkreis von 80 Kilometern für unsere Hauptkunden zu erreichen.

CW: Gibt es bereits konkrete europäische Projekte?

WÄCHTER: Wir wollen innerhalb des Gesamtkonzerns Unilog ein europäisches Trainings-Business aufbauen und verfolgen in vier Ländern schon eigenständige Trainingsaktivitäten. Für BASF haben wir Mitarbeiter in zehn ost- und westeuropäischen Ländern geschult. Wir haben die Einführung von Windows NT und Lotus-Applikationen für die Vertriebsorganisation unterstützt. Für internationale Projekte kommen wegen des logistischen Aufwands nicht viele Schulungsanbieter in Frage. Sie benötigen zum Beispiel überall heimatsprachliche Trainer. In Polen haben wir über eigene Kontakte freiberufliche Trainer gefunden. In anderen Ländern haben wir Unteraufträge an Partnerunternehmen vergeben.

CW: Auch die ganz großen amerikanischen Bildungsanbieter haben versucht, in Europa Fuß zu fassen - allerdings ohne Erfolg. Warum ist es schwierig, ein europäisches Geschäft aufzubauen?

WÄCHTER: Die meisten großen Anbieter haben ein Franchise-Konzept. Das heißt, sie haben ein vorgefertigtes Produkt und suchen in dem jeweiligen Land nur einen Händler, der es verkauft. Ich bin aber davon überzeugt, dass in Europa Individualisierung gefragt ist. Das ist auch der Grund, warum CBT in Deutschland keinen Erfolg hat. Viele Unternehmen lassen die Finger von vorgefertigtem Material.

CW: Die Firmen möchten also Schulungsmaterial, das ganz auf ihre Mitarbeiter und deren Know-how abgestimmt ist?

WÄCHTER: Ja, sogar die Standardthemen werden für den deutschen Markt zugeschnitten. Unsere Windows-NT-Schulung zur Systemadministration ist ein Beispiel. Wir bieten nicht die gleichen Seminare wie Microsoft an. Es sind Elemente hinzugekommen, die der inneren Struktur deutscher Unternehmen gerecht werden. Wir versuchen jetzt, in ganz Europa diese individualisierten Dienstleistungen anzubieten.

CW: Wie entwickeln sich die Firmenseminare?

WÄCHTER: Das Inhouse-Geschäft wächst um etwa 22 Prozent. Die öffentlichen Seminare machen einen Geschäftsanteil von 55 Prozent aus, das Inhouse- und Projektgeschäft etwa 45 Prozent. Hier haben wir mit SAP-Schulungen eine Wachstumsrate von 65 Prozent erzielt. Wir finden immer mehr Kunden, die mit uns große Trainingsprojekte mit Umsatz in Millionenhöhe machen.

CW: Manche Bildungsanbieter jammern, die anderen halten ihre Wachstumsraten für überdurchschnittlich. Wie bewerten Sie die Marktlage?

WÄCHTER: Wir schätzen, dass der Markt in Deutschland 1999 um vier bis sechs Prozent gewachsen ist. Wir wissen das nicht ganz genau, versuchen aber, eine verlässlichere Zahlenbasis zu bekommen. Da können wir mit unseren 25 Prozent Wachstum zufrieden sein.

CW: Wie sieht Ihre Prognose für die Zukunft aus?

WÄCHTER: Ich bin optimistisch. Wir gehen davon aus, dass sich der Markt im Qualifizierungsbereich bis 2005 weiterhin positiv entwickeln wird.

CW: Woher dieser Optimismus?

WÄCHTER: Das hat zwei Gründe. Erstens: Je schneller der technologische Wandel, desto höher der Bedarf an Trainings. Für jeden Einzelnen wird der Schulungsbedarf zwar kleiner. Früher brauchte man vielleicht fünf Tage, um Excel zu lernen. In Zukunft geht das wesentlich schneller, weil die Systeme benutzerfreundlicher werden. Aber die große Vielfalt der Anwendungen, die Internet und E-Commerce mit sich bringen, provoziert sicher zusätzlichen Qualifizierungsbedarf.

Zweitens wird ein weiteres Feld der prozessbegleitenden Qualifikationen neu erschlossen. In Zukunft wird nicht mehr nur die Funktionalität vermittelt, sondern Fähigkeiten wie Führungsverhalten und Kommunikation, Teamorientierung und Projekt-Management.

CW: Mit welchen Angeboten reagieren Sie auf diesen Bedarf?

WÄCHTER: Zur Zeit sind unsere großen Projekte Endanwenderkurse. Hier trainiert man nicht mehr nur ein Projektteam mit zehn oder 20 Teilnehmern, sondern wir schulen 1000 bis 5000 Mitarbeiter, die mit einem SAP-Modul konfrontiert sind. Zuerst wird der Bedarf ermittelt. Im nächsten Schritt wird die Frage geklärt, ob wir einen Trainer oder CBTs einsetzen, ob es sich um einen Workshop oder eine Hotline-Organisation zur Nachbetreuung handelt.

CW: Was erwartet Profis in Ihren Trainings?

WÄCHTER: Wir machen ein Drittel des Umsatzes mit Mainframe-Softwareentwicklung, mit Java, OS/2 und Cobol. Die zweite große Gruppe ist PC-Telekommunikation. Ein weiteres Drittel entfällt auf Themen wie SAP, Führungsverhalten, Kommunikation und Personalentwicklung. Insgesamt erwirtschaften wir mit dem Training für IT-Experten etwa 66 Prozent des Gesamtumsatzes, etwa 33 Prozent kommen aus Endanwenderseminaren, wobei die Grenzen fließend sind.

CW: Wie ist die Nachfrage bei Internet-Veranstaltungen?

WÄCHTER: Bei den einzelnen Seminargruppen hatten wir 1998 eine Steigerungsquote von etwa 100 Prozent.

CW: Stellen Sie inzwischen fest, dass sich mit dem Einzug von E-Commerce ins tägliche Geschäftsleben auch das Trainingsgeschäft verändert?

WÄCHTER: Ja, die IT-Abteilungen verändern sich natürlich. Wenn sich die Unternehmen solchen Entwicklungen nicht stellen, werden sie mittelfristig Existenzprobleme bekommen. Hier ist nicht nur der Großrechnerbereich wichtig. Die Firmen müssen erst einmal ihre Internet-Applikationen an den Kunden bringen und die Erreichbarkeit sicherstellen. E-Commerce hat auch auf den Qualifizierungsbereich Auswirkungen: An unser Unternehmen werden in der Organisation und Softwareentwicklung in Zukunft ganz andere Anforderungen gestellt. Wir müssen auch unsere eigenen Leute in diesem Umfeld qualifizieren und bilden sie deshalb in den Technologien aus, die auch unsere Kunden von uns haben wollen.

CW: Ein ständiges Thema ist auch das Online-Training. Wie stark ist die Nachfrage hier wirklich?

WÄCHTER: Das Thema ist relativ problematisch. Natürlich muss man Online-Trainings in sein Portfolio aufnehmen, sonst ist man out. Aber vielen Kunden ist das zu teuer. Wir nähern uns diesem Thema mit einer E-Training-Gruppe, mit der wir herausfinden möchten, was man anbieten kann und muss.

Ich glaube, je regionaler ein Kunde agiert, desto weniger nutzt ihm Online-Training. Je dezentraler seine Struktur ist, desto mehr profitiert er davon. Nehmen Sie als Beispiel die Automobilbranche mit ihrem weiten Händlernetz. Wenn Sie sicherstellen wollen, dass alle Beteiligten gleichzeitig über Neuentwicklungen informiert werden, dann kommen Internet-basierte Qualifizierungsmöglichkeiten verstärkt zum Einsatz. Nur diese großen Unternehmen sind auch bereit, das entsprechende Geld dafür auszugeben.

CW: Wie teuer ist eine Internet-Trainingsstunde?

WÄCHTER: Je nach Aufwand schätzt man die Entwicklungskosten auf 150000 bis 250000 Mark. Das rechnet sich natürlich erst ab einer gewissen Verkaufsmenge.

CW: Haben Sie dafür konkrete Aufträge?

WÄCHTER: Nein. Wir verhandeln im Moment mit einigen Kunden über Lösungen für das Intranet. Aber es bleibt die Frage, wie viel Geld der Kunde dafür ausgeben möchte.

CW: Treten Sie mit Ihren Kunden online in Kontakt?

WÄCHTER: Ja, wir haben einerseits unseren kompletten Katalog im Internet. Dort kann sich der Kunde mit Hilfe eines Navigationssystems seine Kurse zusammenstellen. Andererseits können die Großkunden unser komplettes Seminarangebot in ihre Systeme integrieren.

CW: Sind Lern-Center heute noch ein Thema?

WÄCHTER: Seit die Technologie billiger geworden und die entsprechende Ausrüstung an jedem Arbeitsplatz vorhanden ist, sind Lernzentren überflüssig geworden. Heute heißt die Alternative: Lernen am Arbeitsplatz oder Seminare.

CW: Ist es realistisch, dass ein Mitarbeiter an seinem eigenen Arbeitsplatz wirklich in Ruhe lernen kann, oder schickt man seine Leute besser auf Seminare?

WÄCHTER: Wir haben bei uns im Haus die Erfahrung gemacht, dass die Akzeptanz von selbständigem Lernen am Arbeitsplatz nicht so groß ist. Wir haben die Einführung von Windows NT mit einem CBT unterstützt, das an jedem Arbeitsplatz zur Verfügung stand. Aber die Mitarbeiter rufen lieber die Hotline an, wenn sie nicht weiterkommen. Durch den hohen Aufwand in der Hotline-Organisation ist ein CBT auch nicht unbedingt billiger als herkömmliche Trainings.

IntegrataTraining bezeichnet sich selbst als einen der größten IT-Trainingsanbieter in Deutschland. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete der Gesamtkonzern einen Umsatzerlös von 76,848 Millionen Mark. Im ersten Halbjahr 1999 realisierte das Unternehmen ein Umsatzwachstum von 19,9 Prozent.