Wissen anstelle von Drucksachen

Online-Technik erschließt neue Chancen für Logistiker

16.07.1999
MÜNCHEN (uo) - Der Verwalter von Drucksachen mausert sich zur Wissenszentrale; mit "Dibs", dem Datenpool für Information, Bestellung und Service, fing es an: Das Bahn-Unternehmen Druck- und Informationslogistik hat sich ein Intranet-basiertes Bestell- und Rechnungswesen aufgebaut. Jetzt stellen die Logistiker Regel- und Tarifwerke sowie Telefonbücher der Bahn ins Netz.

Gabelstapler, Verpackungen und Hochregale kennzeichnen nur noch partiell die Zuständigkeiten des Logistikcenters in Karlsruhe. Schlagworte wie medienneutrale Produktion, Intranet und Wissensbroker stehen für die neue Ausrichtung des Bahn-Unternehmens. Seit dem 1. April 1998 gehört das Zentrum organisatorisch zum Geschäftsbereich Anlagen und Haus Service, Druck und Informationslogistik, der Deutschen Bahn Gruppe.

Schon immer liefen hier die Informationen der Bahn zusammen. Das Zentrum nahm Druckaufträge für Broschüren, Richtlinien, Fahrpläne, Dokumentationen, Leaflets und Fachinformationen an, gab sie zum Drucken und lagerte die Drucksachen bis zur Auslieferung. Zum Kundenkreis zählen Bahn-Partner wie Reisebüros sowie Bahn-Unternehmen und -Abteilungen.

Typischerweise kamen die Aufträge per Fax und Telefon, die Texte auch schon mal als "Word"-Datei. Mitarbeiter des Logistikcenters erstellten die Druckvorlagen, stimmten das Layout mit den Kunden ab und gaben die Vorlagen in eine Druckerei.

Doch heute ist alles anders. Die Logistikkette hat sich verändert, das Unternehmen gewann zusätzliche Geschäftsfelder und positionierte sich neu. "Wir kommen nun an Aufträge heran, die vorher schlichtweg an uns vorbeigelaufen sind", sagt Wolfgang Heiser, Leiter Druck und Informationslogistik.

Dabei war der Anfang bescheiden. Die Logistiker wollten die Auftragsbearbeitung transparenter gestalten, die Kunden sollten sich über den Stand der Dinge informieren können. Mit Hilfe der Lang Industrie Dienst GmbH, Leimen, die für die technische Umsetzung zuständig ist, entstand das Intranet-Bestellsystem Dibs, das einem AS/400-Warenwirtschaftssystem vorgeschaltet ist. Die Lösung verwaltet rund 11000 Artikel und verfügt über eine Schnittstelle zur R/2-Buchhaltung von der SAP AG, die die Aufträge verrechnet.

Die Anwender melden sich über ihren Browser unter ihrem Benutzernamen an und geben ein Kennwort ein. Sodann müssen sie sich einer Zielgruppe oder Bahnstelle zuordnen, die in der Organisationsdatenbank "Anwendungsgebiet 850" definiert ist. Rahmenkosten- und Bahnstellen geben Auskunft über die Hierarchieebene, in der die Benutzer angesiedelt sind. Aus der Kombination der beiden wird ein Schlüssel generiert, der sich beispielsweise in der Auftragsrechnungs-Kundennummer wiederfindet. Außerdem benötigt das System diese Information, um nur die Artikel und Preise zu präsentieren, die für die Benutzer relevant sind. Dibs läuft seit September 1998 produktiv.

Doch bereits im Februar 1998 hatte das Logistikhaus mit dem nächsten Projekt "Fontis" begonnen. Da die Anwender elektronisch bestellen können, erschien es folgerichtig, die Produkte selbst in digitaler Form verfügbar zu machen. Dabei trafen sich zwei Bedürfnisse. Das Logistikcenter wollte seine Lagerkosten senken, die Kunden wollten die Informationen online suchen und per Internet oder CD-ROM verteilen können.

Seit zwei Jahren etwa nutzen die Logistiker zwar ein Print-on-demand-Archiv, doch das konnte den Ansprüchen nicht gerecht werden: Dibs erfaßt den Auftrag und leitet ihn an eine digitale Druckmaschine weiter, die das Werk in der aktuellen Fassung ausdruckt. Das Archiv enthält hauptsächlich eingescannte Richtlinien, die in Schwarzweiß erstellt werden. Jürgen Burger, Leiter Informationslogistik, spricht dabei von "toten Daten".

Fontis dagegen erlaubt den Anwendern, selbst in den Produktionsprozeß einzugreifen, die Texte bei Bedarf zu aktualisieren. Das beschleunigt die Produktion und reduziert Fehlerquellen. Die gesamte Druckvorstufe entfällt.

Möglich wird ein solches Verfahren durch eine medienneutrale Produktion - dank der Trennung von Layout und Inhalt. Mit Hilfe der Beschreibungssprache Extensible Markup Language (XML) beziehungsweise deren erweitertem Befehlssatz Standard Generalized Markup Language (SGML) läßt sich eine Document Typ Definition (DTD) erstellen, die die formale Struktur eines Dokuments beschreibt.

Das Karlsruher Zentrum nahm sich als erstes die 3200 Regelwerke der Bahn vor. Passend zu der Struktur dieser Richtlinien entstand eine DTD, die sich als Dokumentvorlage "Regelwerk" in den Word-Anwendungen der Benutzer wiederfindet.

Zum Anwenderkreis zählen rund 1000 Fachautoren und Chefanwender. Erstere schreiben die Regelwerk-Module - acht bis 15 Seiten über einen betrieblichen Vorgang. Diese Tätigkeit geschieht aus der täglichen Arbeit heraus. Ein Chefanwender faßt diese Module zielgruppengemäß zu einem Handbuch zusammen. Die Autoren sind verantwortlich für den Inhalt ihrer Texte, und sie bestimmen das Medium, auf dem diese verbreitet werden: Papier, Intranet, Internet und CD-ROM sind möglich. Dank der Dokumentvorlage verwenden sie ausschließlich die vorgesehenen SGML-Formate. Trotzdem findet in Fontis mit Hilfe des Parsers von Omnimark noch einmal eine Konsistenzprüfung der Dokumente statt. Das System kontrolliert zudem die Versionierung der Module.

Die Regelwerke, die zur Zeit in Fontis erfaßt werden, stellen zwar nur den Beginn der medienneutralen Produktion dar, doch um die Zukunft vorzubereiten, denkt das Zentrum an eine Vernetzung mit digitalen Vierfarb-Druckmaschinen. Die Regeln eigneten sich für den Einstieg in das SGML-Produktionsverfahren und zum Eingewöhnen, weil sie ohnehin stark strukturiert sind. Doch soll nach und nach alles, was standardisiert publiziert werden kann, folgen. Dafür muß man die Partnerunternehmen, Agenturen und Druckhäuser noch von dem Produktionsverfahren überzeugen.

Derzeit sind die Logistiker mit der Etablierung Intranet-basierter Telefonverzeichnisse beschäftigt. Die Bahn verfügt über rund 140000 Anschlüsse vom Telefon über Faxgeräte bis zu ISDN-Karten. Eines der bisherigen Probleme bestand darin, daß ständig Umzüge innerhalb des Unternehmens stattfanden, infolge personeller und technischer Veränderungen aktuelle und zuverlässige Informationen kaum möglich waren. Nun stellen die Karlsruher Informationsbroker ein elektronisches Formular bereit, mit dem sich, durch einen Assistenten geführt, An-, Um- und Abmeldungen in elf Schritten bewerkstelligen lassen.

Medienneutral erfaßt, entsteht ein aktuelles Bahn-weites Telefonbuch, das sowohl personen- als auch funktionsbezogen gepflegt wird. So lassen sich die Daten etwa für regionale Telefonlisten als auch für öffentliche Verzeichnisse, im Internet oder gedruckt nutzen. In den öffentlichen Verzeichnissen finden sich hauptsächlich funktionsbezogene Angaben wie die Fahrkartenausgabe und Reisezentren. Außerdem gibt es eine Schnittstelle zum Netzanbieter Arcor. So gehen die Auftragsdaten für einen Neuanschluß an Arcor. Der Netzbetreiber sendet die neue Nummer und informiert über die Auftragsstati. Die Authentifizierung des Antragstellers erfolgt wie gehabt über Dibs.

Außerdem berechnet das System auch Fachinformationsrecherchen. Diese erledigt eine Gruppe von Fachautoren, die seit dem 1. Juni dieses Jahres zu den Karlsruher Logistikern zählen. Die Organisationseinheit Information und Dokumentation Bahn besteht zur Zeit aus vier Personen, die Monografien und Fachzeitschriften auf Bahn-relevante Themen untersuchen. Sie verfassen dazu Abstracts, die in der Datenbank des Logistikhauses verwahrt werden. Diese Informationen lassen sich via Intranet abrufen, werden aber auch zu Broschüren zusammengestellt und über den Buchhandel verkauft. Wollen oder können die Benutzer die Informationen nicht selbst suchen, können sie die Dokumentationsabteilung damit beauftragen, müssen diese Dienstleistung allerdings bezahlen.

Die Technik des Wissensbrokers

Die Deutsche Bahn beschäftigt zur Zeit etwa 220000 Mitarbeiter. Rund 60000 Arbeitsplätze sind mit einem vernetzten Rechner ausgestattet, auf dem ab August standardmäßig der Browser "Internet Explorer 5.0" läuft. Dieser unterstützt zu etwa 80 Prozent den Sprachstandard XML beziehungsweise SGML, den das Logistikzentrum für seine medienneutrale Produktion von Dokumenten nutzt.

Die Anwendungen Dibs und Fontis, das Telefonverzeichnis sowie das Fachinformationssystem basieren im wesentlichen auf einem Datenbank-Management-System von Progress Software. Die zentrale Betriebsführung der Bahn sieht dagegen Oracle-Systeme vor. Für die Logistiker war jedoch entscheidend, daß das Progress-RDBMS die Volltext-Indizierung von Dokumenten erlaubt. Oracle konnte zum Entscheidungszeitpunkt dieses Feature nicht anbieten. Mittlerweile ermöglicht jedoch auch der Marktführer das Indizieren mit Hilfe eines Erweiterungs-Tools.

Außerdem ist die gewählte Datenbank angeblich um ein vielfaches einfacher zu warten: "Man installiert das Produkt, und dann läuft es so vor sich hin", schwärmt Michael Lang, dessen Firma die technische Umsetzung der Anwendungen übernahm. Der Aufbau der Datenbank dauerte zirka eineinhalb Monate. Letztlich sei das Produkt auch preisgünstiger als die Hausmarke Oracle.

Die Datenbank liegt auf einem "Xeon"-Computer von Dell, der unter Windows NT 4.0 läuft. Die Anwendungen befinden sich auf zwei Pentium-II-Dell-Maschinen. Die Verbindung zwischen Microsofts "Internet-Informations Server" und dem Progress-DBMS stellt ein Transaktions-Server her. Dieses Produkt mit der Bezeichnung "Web Speed" stammt ebenfalls von Progress. Es ermöglicht, ein und denselben Quellcode für das Windows- und Web-basierte Bestellverfahren zu benutzen.

Für die Herstellung von Dibs benötigten die Logistiker und Lang rund ein Jahr. Die Windows-Variante war in drei Wochen fertig.

Logistik in Zahlen

Das Logistikcenter gehört zur Druck- und Informationslogistik GmbH, Karlsruhe, und dort in den Geschäftsbereich Anlagen und Haus Service der Deutschen Bahn Gruppe. Zu dem Bereich zählen außerdem sieben Bahn-eigene Druckereien.

Das Logistikcenter ist in der klassischen Distributions- und Lagerlogistik für Printmedien, Werbeartikel und Verbrauchsmaterialien tätig. Außerdem bietet es Lettershop-Tätigkeiten und Konfektionierungsdienstleistungen für Bahn-interne und -externe Kunden an. Das Zentrum beschäftigt derzeit rund 62 Mitarbeiter, die insgesamt rund 11000 Artikel verwalten.

Ausgestattet ist das Zentrum mit zirka 3000 Quadratmetern Lagerfläche, 3000 Lagerplätzen im Paletten- und 27000 im Fachbodenlager. Jährlich bewältigen die Karlsruher rund 180000 Kommissionen, 200000 Pakete und über 300000 Briefsendungen.