Gelegenheitsnutzer gehen mit zu hohen Erwartungen an die Recherche - Arbeit:

Online-Datenbanken nur für Profis sinnvoll

01.07.1988

Online - Datenbanken, so wie sie heute angeboten werden, sind außerordentlich erklärungsbedürftige Produkte. Der Spruch vom "Wissen der Welt auf Knopfdruck" mag werbewirksam sein. Tatsächlich aber müssen Nutzer zunächst einmal eine ganze Menge lernen und viele Erfahrungen sammeln, bis sie mit Datenbanken richtig umgehen können.

Jeder hat schon einmal etwas von Online - Datenbanken gehört. Glaubt man den Darstellungen vieler Datenbankanbieter, aber auch manchen Presseveröffentlichungen, so erfüllen diese Datenbanken im Handumdrehen alle Informationswünsche. Sie liefern "das gesamte Wissen der Welt - auf Knopfdruck in Sekundenschnelle auf Ihren Bildschirm".

Durch solche und ähnliche werbewirksame Slogans angelockt, hat schon so mancher Anwender bei seinen ersten Online - Recherchen Schiffbruch erlitten. Und häufig bleibt es bei diesen ersten mißglückten Versuchen. Befragt man die enttäuschten Einmal-Nutzer, trifft man häufig auf heftige Ablehnung von Datenbanken. In vielen Fällen haben sich Online - Anbieter so einen wahren Bärendienst erwiesen.

Bei Gesprächen mit enttäuschten Kunden zeigt sich dann meistens, daß die Fehleinschätzung des Nutzens von Online - Recherchen häufig auf mangelnder Information beruht. Neulinge wissen einfach nicht genug darüber, wie Datenbanken funktionieren, was sie leisten können, wie man sie wirtschaftlich nutzt und wo ihre Grenzen liegen. Wann ist Datenbanknutzung sinnvoll? Welche Voraussetzungen sollten gegeben sein? Was muß ein Datenbankrechercheur wissen?

Gelegenheitsnutzer haben es meist schwer

Online - Datenbanken sind kein modischer und teurer - und eigentlich überflüssiger - Schnickschnack, wie die "Frustrierten" gerne behaupten. Sie sind aber auch keine Wunderkästen, aus denen auf Knopfdruck alle gewünschten Informationen herbeigezaubert werden können.

Diese Erfahrung wird durch die Ergebnisse einer Analyse des Marktes für Online - Datenbanken in der Bundesrepublik bestätigt, die Scientific Consulting 1987 abgeschlossen hat. Die Untersuchung basiert auf einer Befragung, an der sich rund 50 Prozent der Datenbanknutzer in der Bundesrepublik beteiligten.

Danach wurden 60 Prozent der für das Jahr 1986 ermittelten Datenbankumsätze von alten "Onlinern" (zirka 29 Prozent der Nutzer) erbracht. Über ein Drittel der Datenbanknutzer 1986 waren "Neulinge". Aus dieser Gruppe stammen jedoch nur 11 Prozent des Umsatzes (siehe Tabelle).

Hier zeigt sich, daß der Abschluß eines Nutzungsvertrages allein noch nicht als Marketing - Erfolg für die Anbieter verbucht werden kann. Offensichtlich erfordert es beträchtliche Zeit und regelmäßige Betreuung, um aus einem "Password - Inhaber" einen intensiven Nutzer zu machen.

Sinnvolle Alternative zur konventionellen Suche

Es ist eben nicht einfach, sich in den mittlerweile rund 3500 bei über 500 Anbietern weltweit online verfügbaren Datenbanken zurechtzufinden und die jeweils geeigneten Produkte und die günstigsten Anbieter zu ermitteln.

Und es ist auch nicht einfach, den Datenbanken die gewünschte Information zu entlocken. Will man ein Thema gründlich recherchieren und sich nicht nur mit Zufallstreffern zufriedengeben, so muß man über viele Detailkenntnisse verfügen - darüber, welche Datenbanken für die Fragestellung geeignet sind, wie jede einzelne Datenbank aufgebaut ist und darüber, wie man mit ihr "spricht". Denn der Teufel steckt auch hier im Detail. Von "Wissen auf Knopfdruck" kann keine Rede sein.

Online - Recherchieren ist professionelles wissenschaftliches Arbeiten - und erfordert eine entsprechende Schulung. Ein guter Rechercheur muß sich zum einen mit dem Gebiet der Fragestellung auskennen - er muß Fachmann sein. Zum anderen muß er die Datenbanken im Detail kennen und durch "trial and error" Routine im Umgang mit diesen elektronischen Informationsdiensten erwerben.

Wer sich schnell in neue Themen einarbeiten muß und auf aktuelle Ereignisse reagieren will, für den sind Datenbanken eine sinnvolle und wirtschaftliche Alternative zur zeitraubenden konventionellen Suche nach Informationen.

Besonders dann, wenn es um den Einstieg in ein neues Gebiet geht, ist eine Datenbankrecherche ein außerordentlich nützliches Hilfsmittel und ein wichtiges Element jeder Forschungsarbeit, jeder gründlichen Analyse und Planung.

Es gibt aber auch Fälle, in denen Datenbankrecherchen wenig sinnvoll sind. Immer dann, wenn jemand - sei er Wissenschaftler oder Unternehmer - auf einem Gebiet selbst die Entwicklungstrends bestimmt, wenn er alle Fachleute dieses Gebietes kennt, dann wird eine Datenbankrecherche auf seinem eigenen Arbeitsgebiet im Normalfall wenig Neues bringen. Das heißt also: Datenbankrecherchen sind ein außerordentlich hilfreiches Arbeitsinstrument - wenn die Voraussetzungen stimmen.

Wer Datenbanken nutzen will, hat zwei Möglichkeiten: Er kann einen Informationsvermittler einschalten oder direkt im eigenen Haus einen Online - Anschluß einrichten.

Wer sind die typischen "Onliner"? Zum Teil langjährige Datenbanknutzer sind zum Beispiel wissenschaftliche Bibliotheken und Forschungseinrichtungen, Bibliotheks- und Dokumentationsstellen in Großunternehmen oder FuE - Abteilungen. Aber auch im Marketing, im Einkauf und bei der Unternehmensplanung werden Datenbanken zunehmend genutzt.

Die Einführung kostet Zeit und Geld

In der Chemischen Industrie etwa ist es eine Selbstverständlichkeit, daß zu Beginn eines jeden FuE - Vorhabens umfangreiche Datenbankrecherchen zum Stand der Technik und zur Patentlage durchgeführt werden.

Für Einzelrecherchen oder zum "Kennenlernen" ist der Weg zum Informationsvermittler, zum Spezialisten in Sachen Online - Recherchen und Informationssuche, die wirtschaftlichere Lösung.

Grundsätzlich gilt: Nur dort, wo regelmäßig recherchiert werden soll, wo ein oder mehrere Mitarbeiter sich laufend mit dem Medium Datenbanken beschäftigen und so Routine sammeln können, wo vielleicht sogar mehrere Abteilungen mit Information aus Datenbanken versorgt werden sollen, wo immer wieder neue Gebiete in Angriff genommen werden, lohnt sich ein eigener Online - Anschluß. Erst wenn der personelle und finanzielle Aufwand bei der Einführung der Datenbanknutzung in vernünftiger Relation zum erwarteten Nutzen steht, sollte man an die Installation eines Online - Anschlusses und die Schulung von Mitarbeitern herangehen.

Die Einführung der Datenbanknutzung kostet Zeit und Geld. Einfach "drauflos" marschieren ist hier in der Regel nicht der beste Weg. Im folgenden soll ein Überblick über die nach unseren Erfahrungen wichtigsten Stationen dieser Einführung gegeben werden.

In der Planungs- und Auswahlphase wird ermittelt, welche Art von Information benötigt wird, für welche Fragestellungen in wieviel verschiedenen Abteilungen Datenbanken eigentlich genutzt werden sollen. Wieviel von dieser Informationsbeschaffung kann online erledigt werden, und wo müssen andere Quellen genutzt werden?

Schritt für Schritt zum Datenbank-Rechercheur

Sodann ist zu klären, welche Datenbanken es für diese Zwecke gibt und bei welchen Anbietern sie zugänglich sind. In dieser Phase wird der "Ausbildungs - Fahrplan" entwickelt. Es wird festgelegt, mit welchen Online - Systemen begonnen wird, und welche später folgen.

Es empfiehlt sich, zunächst mit einem Anbieter und einem Datenbanksystem zu sammeln, um erste Erfahrungen zu erwerben. Später können weitere Anbieter hinzukommen. Wenn man erst einmal ein Retrieval - System sicher beherrscht, ist die Einarbeitung in weitere Datenbanksprachen einfacher.

Unsere Erfahrungen haben gezeigt, daß zu diesem Zeitpunkt bereits alle technischen Fragen geklärt sein sollten. Der Online -Arbeitsplatz (PC oder Terminal, Kommunikationssoftware, Datex -Anschluß) sollte spätestens am Ende dieser Phase voll einsatzfähig sein. Weiter muß geklärt werden, wie die Datenbanknutzung organisiert wird, zum Beispiel zentral an einer Stelle im Hause oder verteilt in einzelnen Abteilungen beziehungsweise an verschiedenen Standorten.

Ebenfalls entschieden sein muß die Frage, wer das neue Aufgabenfeld übernimmt. In der Regel empfehlen wir, Mitarbeiter des Hauses, die die Arbeitsgebiete genau kennen und wissen, was "läuft", in den Umgang mit Datenbanken einzuweisen. Darüber hinaus sollten Budgetfragen geklärt und der neue Aufgaben- und Verantwortungsbereich definiert worden sein.

Im Anschluß an diesen ersten Teil der Online - Einführung erfolgt die eigentliche Schulung der Online - Rechercheure in den Retrieval -Sprachen der einzelnen Anbieter und in bezug auf die Inhalte und Eigentümlichkeiten einzelner Datenbanken. Weiter muß ein Rechercheur die Techniken der Datenbankrecherche erlernen. Er muß wissen, wie Datenbanken "funktionieren", wie man eine Fragestellung so umformuliert, daß alle in der Datenbank vorhandenen Informationen zu diesem Thema erfaßt werden. Dazu gehört Training und Fingerspitzengefühl.

In dieser Schulungsphase können zum Beispiel Retrieval - Kurse derjenigen Datenbankanbieter besucht werden, mit denen Nutzungsverträge abgeschlossen wurden. Sie bieten theoretische und praktische Unterweisungen. Diese Kurse können auch im eigenen Haus stattfinden. Die Anbieter unterhalten in der Regel auch einen telefonischen "Help-desk" der Hilfestellung gibt.

Parallel zu den Schulungen beginnt die abschließende Phase der Ausbildung, die Anwendungsphase. Das in den Schulungen Gelernte muß nun verfestigt und umgesetzt, das heißt angewendet werden auf konkrete Fragestellungen aus der Betriebspraxis.

Die oben skizzierte Einteilung in Phasen darf nicht als scharfe Abgrenzung verstanden werden. So wird es häufig geschehen, daß eine Erweiterung des einmal ausgewählten Online - Angebotes eine neue Schulungsphase notwendig macht auch Auffrischungskurse werden von Zeit zu Zeit als Lernphase den Routinebetrieb unterbrechen. Auch nach der Kernausbildung muß der Online - Rechercheur durch intensive Weiterbildung sein Wissen erweitern; die Online - Szene ist beileibe

kein statisches Wissensfeld.

Und noch ein Punkt ist wichtig: Online - Rechercheure müssen im eigenen Hause Marketing für ihre Dienstleistung machen. Auch die Mitarbeiter, die selber nicht mit Datenbanken umgehen, müssen wissen, welches Angebot es gibt, wie sie eine Frage "datenbankgerecht" formulieren müssen und welche Ergebnisse sie erwarten können.

Unabhängiger Spezialist sollte herangezogen werden

In jeder Phase der Ausbildung sollte sehr sorgfältig geprüft werden welche der bestehenden Angebote für die individuellen Zwecke optimal zu nutzen ist. Bis zu einem gewissen Grad können die verschiedenen Online - Anbieter helfen. Auch Gespräche mit anderen Datenbanknutzern, zum Beispiel in den regionalen Online -Nutzergruppen, sind nützlich. Darüber hinaus sollte man sich jedoch der Unterstützung eines Anbieter - unabhängigen Spezialisten versichern.

Insgesamt unproblematisch, wenn auch zeitaufwendig, ist das Erlernen der unterschiedlichen Retrieval - Sprachen bei den Anbietern. Schwierig jedoch wird es, wenn ein und dieselbe Datenbank bei verschiedenen Anbietern angeboten wird, die Vor- oder Nachteile der jeweiligen Versionen jedoch nicht offensichtlich sind. Und schwierig wird es auch wenn verschiedene Datenbanken mit - jedenfalls den Beschreibungen nach - nahezu gleichen Inhalten auf Relevanz für eine Fragestellung "abgeklopft" werden sollen.

Um unvollständige und zu teure Datenbank - Recherchen zu vermeiden, sollte auch hier der Rat eines erfahrenen Spezialisten eingeholt werden. Denn die Erfahrungen haben gezeigt, daß gerade in der Anfangsphase des Online - Recherchierens nichts unzuträglicher ist, als unbefriedigendes und unwirtschaftliches Arbeiten mit dem neuen Medium.

Datenbanken bescheren also nicht so ohne weiteres den Informationshimmel auf Erden. Nichts ist schlimmer, als aus überzogenen Vorstellungen genährte und damit zwangsläufig enttäuschende Erwartungen.

*Hartmut Koch ist Mitarbeiter im Geschäftsbereich Datenbanken/Informationsdienste der Scientific Consulting Dr. Schulte Hillen, Köln.