Datenbankrecherche erweist sich nicht immer als Allheilmittel

Online-Datenbanken: Der Informationshimmel auf Erden?

11.05.1990

Jeder hat schon einmal etwas von Online-Datenbanken gehört. Glaubt man den Darstellungen vieler Anbieter, aber auch manchen Veröffentlichungen, so erfüllen diese Datenbanken im Handumdrehen alle Informationswünsche. Sie liefern "das gesamte Wissen der Welt - auf Knopfdruck in Sekundenschnelle auf Ihren Bildschirm".

Durch solche und ähnliche werbewirksame Slogans angelockt, hat schon so mancher Anwender bei seinen ersten Online-Recherchen Schiffbruch erlitten. Und häufig bleibt es bei diesen ersten mißglückten Versuchen. Befragt man die enttäuschten Einmal-Nutzer, so wird man häufig auf heftige Ablehnung von Datenbanken treffen. In vielen Fällen haben sich Online-Anbieter so einen wahren "Bärendienst" erwiesen. Bei Gesprächen mit derart enttäuschten Nutzern zeigt sich dann meistens, daß die Fehleinschätzung des Nutzens von Online-Recherchen häufig auf mangelnder Information beruht. "Neulinge" wissen einfach nicht genug darüber, wie Datenbanken "funktionieren", was sie leisten können, wie man sie wirtschaftlich nutzt und wo ihre Grenzen liegen.

Wann ist Datenbanknutzung sinnvoll? Welche Voraussetzungen sollten gegeben sein? Was muß ein Datenbankrechercheur wissen? Zu diesen Fragen im folgenden einige Überlegungen.

Online-Datenbanken sind kein modischer und teurer - und eigentlich überflüssiger - Schnickschnack, wie die "Frustrierten" gerne behaupten. Sie sind aber auch keine Wunderkästen, aus denen "auf Knopfdruck" alle gewünschten Informationen herbeigezaubert werden können.

Datenbanken, so wie sie heute angeboten werden, sind außerordentlich erklärungsbedürftige Produkte. Der Spruch vom "Wissen der Welt auf Knopfdruck" mag werbewirksam sein. Tatsächlich aber müssen Nutzer zunächst einmal eine ganze Menge lernen und Erfahrungen sammeln, bis sie mit Datenbanken richtig umgehen können.

Diese Erfahrung wird durch die Ergebnisse einer Analyse des Marktes für Online-Datenbanken in der Bundesrepublik bestätigt, die Scientific Consulting 1987 abgeschlossen hat. Die Untersuchung basiert auf einer Befragung, an der sich zirka 50 Prozent der Datenbanknutzer in der Bundesrepublik beteiligten.

Danach wurden 60 Prozent der für das Jahr 1986 ermittelten Datenbankumsätze von alten "Onlinern" (zirka 29 Prozent der Nutzer) erbracht. Mehr als ein Drittel der Datenbanknutzer 1986 waren "Neulinge". Aus dieser Gruppe stammen jedoch nur elf Prozent des Umsatzes.

Hier zeigt sich, daß der Abschluß eines Nutzungsvertrages allein noch nicht als Marketing-Erfolg für die Anbieter verbucht werden kann. Offensichtlich erfordert es beträchtliche Zeit und regelmäßige Betreuung, um aus einem "Password-Inhaber" einen intensiven Nutzer zu machen.

Es ist nicht einfach, sich in den mittlerweile rund 3500 - bei über 500 Anbietern - weltweit online verfügbaren Datenbanken zurechtzufinden und die für die eigenen Zwecke jeweils geeigneten Produkte und die günstigsten Anbieter zu ermitteln.

Und es ist auch nicht einfach, den Datenbanken die gewünschte Information zu "entlocken". Will man ein Thema gründlich recherchieren und sich nicht nur mit "Zufallstreffern" zufrieden geben, so muß man über viele Detailkenntnisse verfügen - darüber, welche Datenbanken für die Fragestellung geeignet sind, wie jede einzelne Datenbank aufgebaut ist, und darüber, wie man mit ihr "spricht".

Denn der Teufel steckt auch hier im Detail. Vom Wissen auf Knopfdruck kann keine Rede sein.

Online-Recherchieren ist professionelles wissenschaftliches Arbeiten - und erfordert eine entsprechende Schulung. Ein guter Rechercheur muß sich zum einen mit dem Gebiet der Fragestellung auskennen - er muß Fachmann sein. Zum anderen muß er die Datenbanken im Detail kennen und durch "trial and error" Routine im Umgang mit diesen elektronischen Informationsdiensten erwerben.

Modeströmung oder sinnvolle Alternative?

Wer sich schnell in neue Themen einarbeiten muß und auf aktuelle Ereignisse reagieren will, für den sind Datenbanken eine sinnvolle und wirtschaftliche Alternative zur zeitraubenden konventionellen Suche nach Informationen.

Besonders dann, wenn es um den Einstieg in ein neues Gebiet geht, ist eine Datenbankrecherche ein außerordentlich nützliches Hilfsmittel und ein wichtiges Element jeder Forschungsarbeit, jeder gründlichen Analyse und Planung.

Dies zeigt sich immer wieder auch bei den Recherchen von Unternehmensberatungsfirmen,

die es mit den verschiedensten Themen und Problemen zu tun haben. Außerdem haben sie es immer eilig.

Eine Datenbankrecherche ist der erste "informatorische Rundumschlag", mit dem man sich sowohl an die Information selbst als auch oft an denjenigen "heranpirschen" kann, der auf einem Sachgebiet besonders fachkundig ist und den man unbedingt einmal anrufen muß. Es gibt aber auch Fälle, in denen Datenbankrecherchen wenig sinnvoll sind. Immer dann, wenn jemand - sei er Wissenschaftler oder Unternehmer - auf einem Gebiet selbst die Entwicklungstrends bestimmt, wenn er alle Fachleute dieses Gebietes kennt, dann wird eine Datenbankrecherche auf seinem eigenen Arbeitsgebiet in der Regel wenig Neues bringen.

Das heißt also: Datenbankrecherchen sind ein außerordentlich hilfreiches Arbeitsinstrument - wenn die Voraussetzungen stimmen.

Online-Axt im Hause erspart den Rechercheur

Wer Datenbanken nutzen will, hat zwei Möglichkeiten. Er kann einen Informationsvermittler einschalten oder direkt im eigenen Haus einen Online-Anschluß einrichten.

Wer sind die typischen "Onliner"? Langjährige Datenbanknutzer sind zum Beispiel wissen- schaftliche Bibliotheken und Forschungseinrichtungen, Bibliotheks- und Dokumentationsstellen in Großunternehmen oder FuE-Abteilungen. Auch im Marketing, im Einkauf und bei der Unternehmens- planung werden Datenbanken zunehmend genutzt.

In der Chemischen Industrie zum Beispiel ist es eine Selbstverständlichkeit, daß zu Beginn eines jeden FuE-Vorhabens umfangreiche Datenbankrecherchen zum Stand der Technik und zur Patentlage durchgeführt werden.

Für Einzelrecherchen oder zum "Kennenlernen" ist der Weg zum Informationsvermittler, zum Spezialisten in Sachen Online-Recherchen und Informationssuche, die wirtschaftlichere Lösung.

Grundsätzlich - so die tägliche Beratungspraxis - gilt: Nur dort, wo regelmäßig recherchiert werden soll, wo ein oder mehrere Mitarbeiter sich laufend mit dem Medium Datenbanken beschäftigen und so Routine sammeln können, wo vielleicht sogar mehrere Abteilungen mit Information aus Datenbanken versorgt werden sollen, wo immer wieder neue Gebiete in Angriff genommen werden, lohnt sich ein eigener Online-Anschluß.

Erst wenn der personelle und finanzielle Aufwand bei der Einführung der Datenbanknutzung in vernünftiger Relation zum erwarteten Nutzen steht, sollte man an die Installation eines Online-Anschlusses und an die Schulung von Mitarbeitern herangehen.

Leitfaden für Einführung ist immer notwendig

Die Einführung der Datenbanknutzung kostet Zeit und Geld. Einfach "drauflos" zu mar- schieren ist hier in der Regel nicht der beste Weg. Im folgenden soll ein Überblick über die nach unseren Erfahrungen wichtigsten Stationen dieser Einführung gegeben werden.

In der Planungs- und Auswahlphase wird ermittelt, welche Art von Information benötigt wird, für welche Fragestellungen in wieviel verschiedenen Abteilungen Datenbanken eigentlich genutzt werden sollen. Wieviel von dieser Informationsbeschaffung kann online erledigt und wo müssen andere Quellen genutzt werden.

Sodann ist zu klären, welche Datenbanken es für diese Zwekke gibt und bei welchen Anbietern sie zugänglich sind. In dieser Phase wird der "Ausbildungs-Fahrplan" entwickelt. Es wird festgelegt mit welchen Online-Systemen begonnen wird und welche später folgen.

Es empfiehlt sich, zunächst mit einem Anbieter und einem Datenbanksystem zu arbeiten, um erste Erfahrungen zu erwerben. Später können weitere Anbieter hinzukommen. Wenn man erst einmal ein Retrieval-System sicher beherrscht, ist die Einarbeitung in weitere Datenbanksprachen einfacher.

Neue Aufgaben und Verantwortungen definieren

Unsere Erfahrungen haben gezeigt, daß zu diesem Zeitpunkt bereits alle technischen Fragen geklärt sein sollten. Der Online-Arbeitsplatz (PC oder Terminal, Kommunikationssoftware, Datex-Anschluß) sollte spätestens am Ende dieser Phase voll einsatzfähig sein.

Weiter muß geklärt werden, wie die Datenbanknutzung organisiert wird, zum Beispiel zentral an einer Stelle im Hause oder verteilt in einzelnen Abteilungen beziehungsweise an verschiedenen Standorten.

Ebenfalls muß geregelt sein, wer das neue Aufgabenfeld übernimmt. Meist empfehlen wir, Mitarbeiter des Hauses, die die Arbeitsgebiete genau kennen und wissen, was "läuft", in den Umgang mit Datenbanken einzuweisen.

Darüber hinaus sollten Budgetfragen geklärt und der neue Aufgaben- und Verantwortungs- bereich definiert worden sein.

Im Anschluß an diesen ersten Teil der Online-Einführung erfolgt die eigentliche Schulung der Online-Rechercheure in den Retrieval-Sprachen der einzelnen Anbieter in bezug auf Inhalte und Eigentümlichkeiten einzelner Datenbanken.

Weiter muß ein Rechercheur wissen, wie Datenbanken "funktionieren" und wie man eine Fragestellung so umformuliert, daß alle in der Datenbank vorhandenen Informationen zu diesem Thema erfaßt werden. Dazu gehören Training und Fingerspitzengefühl.

In dieser Schulungsphase können zum Beispiel Retrieval-Kurse derjenigen Datenbankanbieter besucht werden, mit denen Nutzungsverträge abgeschlossen wurden. Sie bieten theoretische und praktische Unterweisungen. Diese Kurse können auch im eigenen Haus stattfinden. Die Anbieter unterhalten in der Regel auch ein telefonischs "Help-desk", das Hilfestellung gibt.

Parallel zu den Schulungen beginnt die abschließende Phase der Ausbildung, die Anwendungsphase. Das in den Schulungen Gelernte muß nun verfestigt und umgesetzt, das heißt angewendet werden auf konkrete Fragestellungen aus der Betriebspraxis.

Die oben skizzierte Einteilung in Phasen darf nicht als scharfe Abgrenzung verstanden werden. So wird es häufig geschehen, daß eine Erweiterung des einmal ausgewählten Online-Angebotes eine neue Schulungsphase notwendig macht, auch Auffrischungskurse werden von Zeit zu Zeit als Lernphase den Routinebetrieb unterbrechen.

Auch nach der Kernausbildung muß der Online-Rechercheur durch intensive Weiterbildung sein Wissen erweitern, die Online-Szene ist beileibe kein statisches Wissensfeld.

Wer hilft bei den ersten Schritten?

Und noch ein Punkt ist wichtig. Online-Rechercheure müssen im eigenen Hause Marketing für ihre Dienstleistung machen. Auch die Mitarbeiter, die selber nicht mit Datenbanken umgehen, müssen wissen, welches Angebot es gibt, wie sie eine Frage "Datenbank-gerecht" formulieren müssen und welche Ergebnisse sie letztlich erwarten können .

In jeder Phase der Ausbildung sollte sehr sorgfältig geprüft werden, welches der bestehenden Angebote für die individuellen Zwecke optimal zu nutzen ist. Bis zu einem gewissen Grade können die verschiedenen Online-Anbieter helfen. Auch Gespräche mit anderen Datenbanknutzern, zum Beispiel in den regionalen Online-Nutzergruppen, sind nützlich. Darüber hinaus sollte man sich jedoch der Unterstützung eines anbieterunabhängigen Spezialisten versichern.

Insgesamt unproblematisch, wenn auch zeitaufwendig, ist zum Beispiel das Erlernen der unterschiedlichen Retrieval-Sprachen bei den einzelnen Anbietern .

Schwierig jedoch wird es zum Beispiel, wenn ein und dieselbe Datenbank von verschiedenen Firmen angeboten wird, die Vor- oder Nachteile der jeweiligen Versionen jedoch nicht offensichtlich sind. Und schwierig wird es auch, wenn verschiedene Datenbanken mit - jedenfalls den Beschreibungen nach - nahezu gleichen Inhalten auf Relevanz für eine Fragestellung "abgeklopft" werden sollen.

Um unvollständige und zu teure Datenbankrecherchen zu vermeiden, sollte auch bei diesen Problemen der Rat eines erfahrenen Spezialisten eingeholt werden. Denn die Erfahrungen haben gezeigt, daß gerade in der Anfangsphase des Online-Recherchierens nichts unzuträglicher ist, als unbefriedigendes und unwirtschaftliches Arbeiten mit dem neuen Medium.

Datenbanken bescheren also nicht ohne weiteres den Informationshimmel auf Erden. Nichts ist schlimmer, als aus überzogenen Vorstellungen genährte und damit zwangsläufig enttäuschte Erwartungen.

Datenbanken sind aber - trotz mancher Mängel - ein in vielen Gebieten außerordentlich leistungsfähiges Informationsinstrument, das man allerdings richtig einschätzen und mit dem man richtig umgehen muß.