Online-Broker stecken ihre Claims ab

27.05.2002
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Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Trotz Millionenverlusten und sinkenden Transaktionszahlen befinden sich die meisten Online-Broker nach wie vor auf Wachstumskurs - zumindest was die Vertragsabschlüsse mit Neukunden anbelangt: Obwohl die Gewinnaussichten an der Börse derzeit fast gegen Null tendieren, nimmt die Anzahl der online verwalteten Depots weiter zu. Nach Ansicht von Experten reicht es für die Marktteilnehmer aber nicht aus, auf ein baldiges Anziehen der Aktienmärkte zu warten. Die Konsolidierung der Branche geht in die entscheidende Phase.

Die Situation im Bereich Online-Brokerage ist nicht gerade berauschend: Nachdem sich aufgrund der schwachen Börsen und der hohen Kursverluste in der Vergangenheit zahlreiche Anleger Abstinenz verordnet haben, verzeichnen alle Unternehmen der Branche einem starken Rückgang der Trades, also der Aktienankäufe und -verkäufe. Als Resultat auf die drastischen Umsatzrückgänge und entsprechend hohen Verluste sind die Online-Broker gezwungen, ihre Kosten in den Griff zu bekommen. Um die Strukturen an die veränderten Marktbedingungen anzupassen, wurden Auslandsaktivitäten gestoppt und im großen Maße Mitarbeiter entlassen. Der Berliner Broker Systracom musste sogar Insolvenz beantragen, der finnische Mitbewerber EQ Online brach seine Zelte in Deutschland ab.

Trotz Börsen-Baisse konnten allein die fünf größten Online-Broker im vergangenen Jahr die Zahl der verwalteten Depots um mehr als eine halbe Million steigern.

Es ist daher wenig überraschend, dass die meisten hierzulande agierenden Online-Broker in den letzten Quartalen vor allem durch tiefrote Zahlen aufgefallen sind: Die vor kurzem von BNP Paribas mehrheitlich übernommene Consors AG verbuchte im ersten Quartal 2002 ein Nettodefizit von 13,5 Millionen Euro, die DAB Bank schrieb ein Minus von 18,2 Millionen Euro. Der Commerzbank-Tochter Comdirect gelang es zwar, einen leichten Vorsteuergewinn auszuweisen. Infolge hoher Abschreibungen verbuchte das Unternehmen unter dem Strich jedoch immer noch ein Nettominus von 1,8 Millionen Euro.

Trotz der aktuell geringen Motivation, Geld in Aktien anzulegen, verzeichnen die Wertpapierspezialisten im Internet aber noch immer einen Zuwachs an Neukunden: Allein bei den fünf größten Online-Brokern in Deutschland wurden im vergangenen Jahr über ein halbe Million neue Depots eröffnet. Allen voran steigerte sich die Deutsche-Bank-Tochter Maxblue mit 238 000 neuen Konten, das entspricht rund 44 Prozent des deutschen Marktwachstums. Branchenprimus ist nach wie vor Comdirect mit rund 615 000 verwalteten Depots. Das Unternehmen liegt im Vergleich aber mit 76 000 neuen Konten nur an dritter Stelle hinter der DAB Bank mit 127 000 hinzugekommenen Depots. Consors rangiert mit 40 000 Neukunden auf Platz vier vor Easytrade.

Angesichts der Zahlen im ersten Quartal wird klar, dass die Unternehmen in diesem Jahr aber eher kleinere Brötchen backen werden: Consors meldete für das erste Vierteljahr nur 6000, Comdirect konnte lediglich 2000 neue Depotinhaber für sich gewinnen. Die DAB verbuchte zwar netto einen Zuwachs von 12 2000 Depotkunden, fast 70 Prozent davon wurden jedoch außerhalb Deutschlands gewonnen. Grund für die sinkenden Wachstumszahlen sind neben der bereits erwähnten Börsenschwäche unter anderem Kürzungen bei den Werbemaßnahmen. Lediglich Easytrade wird im diesem Jahr in der Disziplin Neukunden besser abschneiden, da rund 180 000 Depot-Kunden aus der Privat-Investment-Sparte der Postbank hinzu kommen sollen.

Die Generierung von Neukunden und der reine Durchhaltewillen werden aber vermutlich nicht ausreichen, um die prophezeite Marktkonsolidierung zu überstehen. Forrester Research geht etwa davon aus, dass sich von den derzeit rund 20 reinen Internet-Brokern auf dem deutschen Markt nur zwei bis drei Anbieter behaupten können. Welche Firmen das Rennen machen, hängt unter neben den Marktanteilen von der eingeschlagenen Geschäftsstrategie ab: Dazu zählt etwa eine Erweiterung des Angebots bis hin zum Online-Banking oder der Aufbau von Filialen mit stationärer Beratung. Obwohl die Unternehmen damit noch stärker mit Filialbanken, Finanzdienstleistern und E-Banking-Anbietern konkurrieren müssen, könnte sich ein Gang in diese Richtung dennoch lohnen: Nach Ansicht der Marktforscher soll sich Zahl der deutschen Online-Banker bis 2005 von derzeit 16 Millionen auf 32 Millionen verdoppeln.

Branchenkenner wie die Unternehmensberatung Mummert & Partner oder Pass Consulting sind zudem der Auffassung, dass viele Online-Broker ohne die Eingliederung in eine Mutterbank kaum überlebensfähig sind. Grund sind die hohen Kosten für das rechtlich vorgeschriebene Vorhalten von Spitzenkapazitäten für eine relativ kleine Zielgruppe und die aufwendige Infrastruktur. So rechnet etwa auch Forrester-Analystin Nastasja Senn damit, dass die finanzkräftigen Muttergesellschaften ihre Direktbanken wieder integrieren oder verkaufen werden.

Welche Strategie eingeschlagen wird, ist nach Meinung der Berater von Pass Consulting von der individuellen Wettbewerbssituation und anderen Parametern abhängig. Reine Internet-Broker wird es aber laut einer Studie des Aschaffenburger Beratungsunternehmens bald nicht mehr geben. Das Geschäftsmodell Online-Brokerage ist damit aber nicht am Ende, meint Pass; je nach Anbieter sind allerdings Anpassungen nötig, um die Lebensfähigkeit auch mittelfristig sichern zu können.