Steht dem "Tiger" der letzte Kampf bevor?

Olivetti: Mit Rekordverlust zu einem Telecom-Unternehmen

24.05.1996

Der Ende April veröffentlichte Bericht De Benedettis an die Aktionäre enthält drei Kernaussagen: 1995 war ein Jahr der Wende für Olivetti, die Restrukturierung wurde abgeschlossen und mit dem Mobilfunk-Betreiber Omnitel beziehungsweise dem Joint-venture Infostrada gelang der Einstieg in das Telekommunikationsgeschäft. Die wichtigsten Eckdaten lauten: 1995 erfolgte eine Kapitalerhöhung um 2,25 Milliarden Lire, der Umsatz stieg um zehn Prozent auf 9,84 Billionen Lire, und mit 114 Milliarden Lire (umgerechnet rund 110 Millionen Mark) wurde erstmals seit vier Jahren wieder ein operativer Gewinn erwirtschaftet. Außerordentliche Aufwendungen und Rückstellungen für die derzeitige Restrukturierung von 1,12 Billionen Lire hätten jedoch dazu beigetragen, daß Olivetti einen neuen Rekordververlust von 1,6 Billionen Lire netto (1,6 Milliarden Mark) ausweisen muß.

Abgefedert wird das negative Ergebnis jedoch mit den Mitteln aus einer Kapitalerhöhung von 2,26 Billionen Lire im Herbst 1995. Diese haben, wie es bei Olivetti heißt, im vergangenen Jahr dazu beigetragen, die Nettoverschuldung auf 775 Milliarden Lire und damit ein Drittel des Eigenkapitals zu verringern. Schon bei dieser Kapitalerhöhung hatte De Benedetti den Aktionären für das laufende Geschäftsjahr versprochen, daß das Unternehmen nach mehreren Verlustjahren wieder die Gewinnschwelle überschreiten werde und andernfalls seinen Rücktritt angekündigt (siehe auch CW Nr. 20 vom 17. Mai 1996, Seiten 2 und 6).

Nicht zum ersten Mal steht daher der wegen seiner hemdsärmeligen, teilweise auch aggressiven Management-Methoden oft als "Der Tiger" bezeichnete Olivetti-Chef mit dem Rücken zur Wand. Dies um so mehr, als sich die Aktionärsstruktur des Unternehmens durch die jüngste Kapitalerhöhung völlig gewandelt hat. Die Rolle De Benedettis beschränkt sich nunmehr auf die Führung und nur noch 15,2 Prozent indirekten Aktienbesitzes (durch die vorgeschaltete Holding Cir SpA), während sich inzwischen rund 70 Prozent des Kapitals in den Händen ausländischer Anlagefonds befinden. Italiens (Noch-)Vorzeigeunternehmen ist also, wie es vor Wochenfrist in einer Kurzanalyse der COMPUTERWOCHE hieß, eine "Public Company" Führung und Management sind damit Experten zufolge stärker denn je von den Finanzmärkten abhängig - und von den Gläubigerbanken.

Heftiger denn je wird deshalb in Börsenkreisen über einen Rücktritt De Benedettis spekuliert. Erst recht, seitdem dieser Anfang Mai in einem Pressegespräch nach der jüngsten Aktionärs-Hauptversammlung Pläne bestätigt hatte, wonach die von ihm kontrollierte Familien-Holding Cir Beteiligungen verkaufen will. Die vier aufeinanderfolgenden Verlustjahre von Olivetti sowie zwei Kapitalerhöhungen hätten die Ressourcen von Cir (immer noch der größte Olivetti-Einzelaktionär) aufgezehrt, hieß es. De Benedetti übernahm auf besagter Veranstaltung die Verantwortung für die ungünstige Entwicklung des Unternehmens sowie den neuen Rekordverlust und sprach davon, daß einige der tiefgreifenden Sanierungsschritte möglicherweise zu spät eingeleitet worden seien. Prompt stimmten denn auch zwei der ausländischen Anlagefonds, darunter der US-Rentenfonds der United Methodist Church mit 5,7 Millionen Aktien, gegen eine Wiederwahl des Verwaltungsrates mit De Benedetti an der Spitze.

Als letzte Strohhalme, nach denen das Olivetti-Management nun greift, gelten das seit dem ersten Quartal 1996 plötzlich wieder erfolgreiche PC-Geschäft sowie die Sparte Telekommunikation. Ausgerechnet der größte Verlustbringer der vergangenen Jahre, nämlich die Olivetti Personal Computers SpA, konnte den Absatz gegenüber dem Vorjahr um 28 Prozent und den Umsatz sogar um knapp 40 Prozent steigern. Selbst von kleinen Gewinnen ist unter der Hand die Rede. Allerdings wurde in den vergangenen Monaten dort auch die Belegschaft auf 1750 Mitarbeiter halbiert weitere Entlassungen sind vorgesehen. Gerüchte, wonach die in diese Tochter eingebrachte gesamte Hardwareproduktion trotzdem in einem Gemeinschaftsunternehmen mit Bull enden könnte, wurden am Rande der Hauptversammlung energisch dementiert. Um den Franzosen dieses Projekt attraktiv erscheinen zu lassen und um selbst Kasse zu machen, könnte De Benedetti, wie spekuliert wird, gleichzeitig auch seine Beteiligung am profitablen Automobilzulieferer Valeo veräußern.

Olivetti in ein führendes Telecom-Unternehmen umzuwandeln ist derzeit ein anderes, wenn nicht das strategische Ziel De Benedettis. So war es nicht verwunderlich, daß sich der Firmenchef in seinem Vortrag vor den Aktionären ausführlich mit dem von Olivetti kontrollierten Mobilfunkbetreiber Omnitel sowie dem Corporate-Network- und Mehrwertdienste-Anbieter Olivetti Telemedia befaßte. Beide Unternehmen stehen nach Ansicht von Experten jedoch erst am Beginn ihrer Aktivitäten - verbunden mit entsprechenden Anlaufschwierigkeiten in dem noch sehr regulierten italienischen Telecom-Markt.

Omnitel wurde quasi erst im Zuge des vergangenen Weihnachtsgeschäfts im Markt aktiv und hat derzeit nach Olivetti-Angaben immerhin schon 130000 Kunden. Allerdings hat die Mobilfunk-Company auch hart gegen den staatlich kontrollierten ehemaligen Monopolisten Telecom Italia Mobile (Tim) zu kämpfen, der fast vier Millionen Kunden betreut und seine marktbeherrschende Position offensichtlich mit allen Mitteln verteidigt. Im Olivetti-Aktionärsbrief heißt es zwar, daß die operativen Kosten von Omnitel um 25 Milliarden Lire und der Finanzbedarf um 318 Milliarden Lire niedriger als geplant lägen zu den Anlaufverlusten enthält das Schreiben jedoch keine Angaben. Nach Spekulationen italienischer Zeitungen soll, wie der Korrespondent der "FAZ" berichtet, Omnitel das Geschäftsjahr 1995 mit einem Minus von 140 Milliarden Lire abgeschlossen haben.

Noch weit von tatsächlicher Marktreife und Erträgen entfernt sind Analysten zufolge auch die Olivetti-Pläne im "allgemeinen" Telecom-Geschäft. Die 1994 gegründete Netztochter Olivetti Telemedia stieg mittlerweile zwar mit einigen italienischen Großbanken als Kunden zum zweitgrößten Carrier neben Telecom Italia auf, was allerdings nichts am nach wie vor verschwindend geringen Marktanteil ändert. Auch in Sachen Internationalisierung geht es nicht so recht voran: Das im April 1995 zusammen mit Bell Atlantic gegründete Joint-venture Infostrada wartet auf den Durchbruch und damit zunächst vor allem auf die für 1998 vorgeschriebene vollständige Öffnung des italienischen Telecom-Marktes. Verhandelt wird zudem derzeit noch über die, wie es heißt, praktische Ausgestaltung einer Absichtserklärung zur Zusammenarbeit mit Global One, dem Joint-venture von Deutsche Telekom, France Télécom und Sprint.