Olivetti-Chef De Benedetti kritisiert Politiker Europas IT-Branche fordert einen "Information Highway"

01.10.1993

VENEDIG (hv) - Die europaeische DV-Industrie fuerchtet, von der amerikanischen und fernoestlichen Konkurrenz abgehaengt zu werden. Schuld an dieser Entwicklung tragen nach Ansicht von Olivetti-Chef Carlo De Benedetti nicht zuletzt die Politiker, die es bisher nicht verstanden haetten, die Rahmenbedingungen fuer eine florierende IT-Industrie herzustellen.

"Wir muessen einen absolut wettbewerbsfaehigen europaeischen Markt schaffen", forderte De Benedetti anlaesslich einer internationalen IT-Konferenz des Marktforschungsunternehmens IDC in Venedig vor rund 300 Fuehrungskraeften aus Industrie und Wirtschaft. Dazu sei die Abschaffung jeglicher Form von Subventionierung im DV- und Telekommunikationsbereich ebenso notwendig, wie die Eliminierung von Staatsmonopolen und die Herstellung einer einheitlichen europaeischen Netz-Infrastruktur.

Als positives Beispiel fuehrte De Benedetti British Telecom an. Seit der Privatisierung agiere der Telekommunikationskonzern erfolgreicher denn je. Nicht nur die Anteilseigner, auch die Kunden kaemen in den Genuss einer Reihe von Vorteilen.

Ob Europa in der Lage sein wird, die Deregulierung voranzutreiben und sich nach aussen hin als einheitliche Handelsmacht zu praesentieren, steht fuer De Benedetti wegen des gegenwaertigen "Mangels an politischer Fuehrungskraft" grundsaetzlich in Frage. "Es gibt bis heute nicht die Generation von Politikern, der es gelingen koennte, die europaeische Herausforderung wirklich anzunehmen", lautet die duestere Bilanz des Italieners. Noch 1987 sei die Idee des Binnenmarktes mit grossem Enthusiasmus begruesst worden - heute haetten wir endlich das Jahr 1993, doch de facto rede niemand mehr vom vereinigten Europa.

Diese antieuropaeische Welle ist nach Ansicht des bedeutendsten italienischen Repraesentanten der DV-Industrie um so fataler, als sich in Nordamerika und im Fernen Osten eine gegenteilige Entwicklung abspiele. Nicht nur die Dominanz von Japan und zunehmend auch Taiwan, Korea, Malaysia und China gefaehrde den Industriestandort Europa, auch die Vereinigten Staaten haetten ihre Marktposition konsequent verbessert. Ursache sei das Fallen der Handelsgrenzen im nordamerikanischen Raum: Die Unterstuetzung der Nafta-Staaten Mexiko und Kanada verhelfe der US-Wirtschaft zu einem neuen Hoehenflug.

In Mexiko gebe es ein gewaltiges Potential an Low-cost-Personal. Auf der anderen Seite trage Kanada mit seinem immensen Schatz an Naturressourcen ebenfalls zur Festigung der nordamerikanischen Wirtschaft bei. Auch im Telekommunikationsbereich seien die Amerikaner ueberlegen, sie haetten schon in den 80er Jahren die Deregulierung vorangetrieben. Zudem schaffe Praesident Clinton mit seinem multimedialen Hochgeschwindigkeitsnetz, dem "Information- Highway", eine uebergreifende IT-Infrastruktur, die auch Europa dringend benoetige, um im Wettbewerb zu bleiben.

Mit Kostensenkungsprogrammen laesst sich nach Ansicht De Benedettis kaum sicherstellen, dass Europa nicht ins zweite Glied abrutscht. Wenn in China die Produktionskosten nur ein Zwanzigstel der italienischen oder deutschen betruegen, so nutze es wenig, diese Differenz auf vielleicht ein Achtzehntel zu reduzieren. Vielmehr muesse es darum gehen, flexiblere Arbeitszeiten und Produktionsbedingungen zu schaffen. Auch hier sei die Politik gefordert.

Das eigentliche Kapital des High-tech-Standorts Europa ist nach Ansicht De Benedettis das fachkundige Personal. Kuenftig seien weniger die Skills im Bereich der Hardware-Entwicklung als vielmehr im Software-Umfeld von entscheidender Bedeutung. Hier muesse alles daran gesetzt werden, weitere Leute auszubilden und ihnen beizubringen, die verfuegbaren Technologien bestmoeglich auszuschoepfen. "Meine Antwort zur europaeischen Wirtschaftskrise: Wir muessen die neuen Technologien nutzen, um neue Jobs zu kreieren."

Dazu aber seien zunaechst die notwendigen Infrastrukturen zu schaffen. De Benedetti forderte daher die enge Zusammenarbeit zwischen IT-Industrie und der Politik sowie die Schaffung eines europaeischen Information Highway nach amerikanischem Vorbild. Ein IT-Markt lasse sich nur solange schaffen, wie die notwendige Infrastruktur bestehe. Deshalb forderte De Benedetti: "Wir sollten in Infrastruktur investieren!"

Mit seiner Forderung nach einer paneuropaeischen Breitband-Netz stand der Italiener nicht allein da. Auch Bernard Pache, Chef der franzoesischen Groupe Bull, und Siemens-Nixdorf-Geschaeftsfuehrer Hans-Dieter Wiedig machten sich in ihren Reden fuer die Einrichtung eines europaeischen Information Highway stark. Damit Europa als Industriegesellschaft bestehen koenne, muss laut Wiedig die Moeglichkeit bestehen, Daten auf internationaler Ebene auszutauschen und "transeuropaeische Anwendungen" zu schaffen.