Gartner Group: DV-Kosten steigen schneller als der Umsatz.

Ohne Technologie-Totengräber hat die Kostenspirale kein Ende

12.06.1992

FRANKFURT (ciw) - Trotz sinkender Preise für Hardware, Software und Services verschlingen die DV-Abteilungen der Unternehmen von Jahr zu Jahr mehr Geld.

Analysten der Gartner Group führen diesen Widerspruch auf folgende Ursache zurück: Die Hersteller drücken in immer schnellerer Folge neue Technologien in die Betriebe, ohne daß die versprochenen Produktivitätszuwächse eintreten, die die Mehraufwendungen kompensieren würden. Nur mit einem stärker nutzungsorientierten Ansatz der Produzenten und einem dezidierten IT-Controlling bei den Anwendern könne man die Kostenexplosion in den Griff bekommen.

Das unkontrollierte Wachstum der DV-Kosten kann, so die Einschätzung der Gartner-Experten, im Extremfall dazu führen, daß das Management der Unternehmen eine Ausgabensperre nach dem Motto verhängt: "Never change a running system", schon gar, wenn das Geld ohnehin knapp ist. Die bisherigen Versuche, die Höhe der DV-Ausgaben zu reduzieren, sind trotz vielversprechender Ansätze wie Auslagerung der unternehmenseigenen Datenverarbeitung oder der Einführung einer Einkaufspolitik, die sich streng an Preis-Leistungs-Kriterien orientiert, nicht sehr erfolgreich verlaufen. Gerhard Sundt, einer der Analysten der Gartner Group, erklärt, warum Outsourcing-Aktivitäten nicht immer den gewünschten Erfolg bringen: "Wegen des hohen Datenschutzbewußtseins hierzulande halten die Outsourcinggeber selbst zuviel Personal vor, so daß es nicht selten zu Spiegelorganisationen bei Auftraggeber und -nehmer kommt." Darüber hinaus würden Unternehmen zumeist strategische Funktionen nicht auslagern, und das bedeute, daß sie in ihre Kern-DV auch weiter investieren müßten.

DV-Anbieter gehen zur Kostenkosmetik über

Der zweite Ansatz, über die Einkaufspolitik Kosten zu sparen, führe ebenfalls nur bedingt zum Ziel. Zum einen kämen die Vorteile neu installierter Produkte wegen Integrationsschwierigkeiten und mangelnder Schulung der Endanwender selten voll zum Tragen, zum anderen seien die DV-Anbieter mitunter zur Kostenkosmetik übergegangen. Frank Sempert, Geschäftsführer der Gartner Group GmbH: "Beträge, die bisher unter DV-Betriebskosten gebucht wurden, verlagert man durch technologische Winkelzüge in die Rubrik Netzwerke. Damit fallen sie aus den eigentlichen DV-Kosten heraus. Während die Ausgaben für Rechnerbetrieb und -auslastung quantifiziert werden können, verschwinden sie auf Netzwerkebene im methodischen Niemandsland. Praktikable Berechnungsverfahren über Aufwand, und Ertrag gibt es hier kaum." Deshalb nimmt Gartner an, daß die "strategisch wichtigen Ausgaben" auch in Zukunft steiler ansteigen als der Unternehmensumsatz.

Konkret gehen die Analysten für die nächsten fünf Jahre von einem jährlichen Ausgabenwachstum von durchschnittlich 18 Prozent bei Software und rund 30 Prozent bei Netzwerken aus.

Eine Chance, die Mehrausgaben für Datenverarbeitung im vernünftigen Verhältnis zum Umsatz zu halten, sehen die Berater unter anderem in der Einführung von "Technologie-Totengräbern". Frank Sempert erklärt den Begriff: "Den Unternehmen fehlt es an Menschen, die die Rentabilitätsgrenze einer Technologie feststellen und sie entsprechend ausrangieren." Dieses Fehlen führe dazu, daß die technologischen Zöpfe in den Betrieben immer länger und der Anwendungsstau beispielsweise im Softwarebereich immer mehr zunehmen würden. Er weist auf amerikanische Unternehmen hin, die teilweise heute schon mit Hilfe von "IT-Controllern" zu einer stärker rational gesteuerten Produktauswahl kommen wollen. Aufgrund der Controlling-Kenntnisse und ihres dezidierten Know-hows könnten diese Manager Entscheidungen über die IT-Ausrichtung des Unternehmens treffen, die sowohl ökonomisch als auch technisch vernünftig sind.

Den Herstellern legen die Gartner-Analysten ans Herz, "ihre Produkte von vornherein so zu konzipieren, daß sie in die gewachsenen DV-Umgebungen im Sinne der Unternehmensforderungen integrierbar sind". Im Gartner-Jargon wird das so ausgedrückt: "Die Information-Architecture muß der Business-Architecture entsprechen." Heute sei das trotz gegenteiliger Beteuerungen der Produzenten nicht der Fall, vielmehr brächten sie immer neue Technologien auf den Markt, an die sich die Anwender mit ihren Arbeitsgewohnheiten und Geschäftsabläufen anpassen müssen. Es ist daher nicht nur eine Synchronisation von alten und neuen Technologien gefordert, sondern auch deren Übereinstimmung mit den Anwenderbedürfnissen. Allerdings gebe es bis auf "die allzu technologiebewußten Pflichtenhefte" heute noch keine Modelle, die die Anwenderbedürfnisse genau genug fassen, um sie in Produkte überführen zu können.

Im sogenannten User Modelling sieht Sempert auch eine Möglichkeit für die deutsche und europäische DV-Industrie. Weil diese Unternehmen im Technologiewettlauf ohnehin nicht mehr mithalten könnten, läge in der größeren Kundennähe eine Chance, sich positiv von amerikanischen oder japanischen Unternehmen abzugrenzen. "Doch gerade die deutsche DV-Industrie befindet sich hier derart im Winterschlaf, daß sie gar nicht merkt, welche Chance für ihre Umsatzentwicklung ihr entgehen könnte", resümiert Sempert.