Ohne Spielregeln läuft nichts

04.11.2002
Von 
Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.

 Spielregeln einhalten

Stefanie Ahrens, Managing Consultant bei Cap Gemini Ernst & Young, kann Lenk nur zustimmen. Sie erlebt dieses Verständnisproblem zwischen unterschiedlichen Nationen gerade hautnah in einem Projekt zwischen französischen und deutschen IT-Profis: "Die virtuellen Teammitglieder arbeiten nicht gut zusammen, weil sie ein völlig unterschiedliches Verständnis von Führung und Projekt-Management haben." Wenn die deutschen Kollegen um ein fünfseitiges Konzept bitten, würden die französischen Kollegen den Job erst erledigen, wenn ihr eigener Vorgesetzter dies anordnet.

Stefanie Ahrens: "Wenn die virtuellen Teammitglieder ein unterschiedliches Verständnis von Führung haben, ist die Zusammenarbeit schwierig."
Stefanie Ahrens: "Wenn die virtuellen Teammitglieder ein unterschiedliches Verständnis von Führung haben, ist die Zusammenarbeit schwierig."

Virtuelle Projektarbeit gehört bei Ahrens zum beruflichen Alltag. Zum einen arbeitet sie mit den eigenen Kollegen virtuell zusammen, zum anderen berät sie Kunden in Sachen Change-Management. Die Beraterin selbst lebt ein typisches elektronisches Nomadenleben. An zwei Tagen pro Woche arbeitet sie derzeit im Hamburger Office, die restlichen drei Tage bei einem Kunden in Köln. Dass den virtuellen Teams trotz aller noch auftretenden Probleme die Zukunft gehören wird, davon ist Ahrens überzeugt. Der Grund: Die zumeist schwerfälligen Organisationsstrukturen in den Unternehmen würden für schwierige und schnelle Anforderungen keinesfalls ausreichen. Als Beispiel nennt sie die Einführung einer neuen Vertriebsstrategie: "Um ein solches Projekt umsetzen zu können, müssen sich Mitarbeiter aus unterschiedlichen Abteilungen, womöglich sogar aus verschiedenen Ländern, zusammensetzen."

Nach der Bewilligung der Ressourcen, dem wichtigen Face-to-Face-Treffen und den Terminabsprachen taucht, so die Beraterin, die erste große Schwierigkeit auf: "Die Aufträge sind nicht eindeutig geklärt, und damit fehlt den Teammitgliedern das gemeinsame Verständnis für das Ziel." Um aus diesem Dilemma herauszukommen, müssten eindeutige Spielregeln vereinbart werden. Wichtig sei zudem, dass sich jedes Teammitglied fragt, was seine eigene Zielsetzung und was sein Anteil am Projekt ist, wie seine Erwartungen aussehen und was es persönlich für sich erreichen will. Ahrens: "Für die Akzeptanz ist entscheidend, dass diese persönlichen Definitionen später gemeinsam im Team besprochen werden."

Damit die Spielregeln eingehalten und virtuelle Projekte nicht aus dem Ruder laufen, sollten die Unternehmen ihrer Meinung nach für besonders wichtige Vorhaben einen internen Prozessbegleiter einsetzen. Ob Mentalitäts-, Organisations- oder Kommunikationsprobleme - gelöst werden müssen sie von den Projektleitern oder Führungskräften. Aufgrund der Erfahrungen, welche die Cyber-Expertin in bereits erfolgreich agierenden Unternehmen gemacht hat, rät sie, nicht nur die in Frage kommenden Vorgesetzten, sondern auch die Mitarbeiter für die virtuelle Arbeitswelt zu schulen. Unternehmen, bei denen virtuelle Projekte seit längerem gang und gäbe sind, verfügen über ein Open-Ressourcing-Programm, in denen Führungskräfte und Mitarbeiter gefördert werden, die für virtuelle Teams in Frage kommen.

Vorgabe für die Beteiligten sei es, alle vier Jahre ihren Platz im Unternehmen zu wechseln und nur jeweils ein Jahr in einem Projekt mitzuarbeiten. Ahrens weiter: "Diese Experten sind relativ flexibel und fit, wenn es darum geht, in andere Projekte oder auch andere Länder zu wechseln - kurzum, sie sind die perfekten virtuellen Mitarbeiter.

Wider die Besserwisserei

Professor Michael Müßig von der FH Würzburg-Schweinfurt begrüßt zwar so viel Flexibilität, hält aber eine andere Eigenschaft für entscheidend: "Letztlich werden nur Mannschaftsspieler mit Beziehungen das Spiel machen. Voraussetzung dafür ist allerdings die Abkehr von der "Wissen-ist-Macht-Philosophie". Nach seiner Erfahrung sind das Zurückhalten von Informationen oder hierarchische Besserwisserei für den Erfolg des Teams und des Projekts tödlich. Leider sei diese falsche Denkweise bei den Führungsriegen und Einsteigern sehr beliebt. Hier müssten die Projektleiter Hilfestellung geben. Der Würzburger Hochschuldozent: "Die speziellen Motivations- und Teambildungsmaßnahmen müssen nicht nur gelernt, sondern auch getestet und ständig verbessert werden."

Aus den bereits seit längerem funktionierenden interdisziplinären müssten multidisziplinäre Teams werden. Müßig räumt ein, dass es für die Projekt-Manager keine leichte Aufgabe ist, nicht anwesende Teammitglieder auf den gemeinsamen Erfolg einzuschwören. Deshalb werden seiner Meinung nach diejenigen Projektleiter, denen es gelingt, die im Netz vorhandenen Perlen problemorientiert lose zu koppeln, die eigentlichen Topmanager der virtuellen Unternehmenszukunft sein. "Bis dahin aber", fürchtet Müßig, "ist es noch ein weiter Weg."