Accounting: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Ohne Billing sind IP-Dienste keinen Pfifferling wert

18.08.2000
MÜNCHEN - Wer seine Rechnungen nicht überprüft, ist selbst schuld. Der Erfolg der IP-Technologie beschert den Carriern nämlich erhebliche Probleme beim Billing. Ein besserer Überblick über die eigenen Kommunikationskosten zeigt zudem, wo sich noch Geld sparen lässt. Bei Sprachdiensten bereiten die schnellen Änderungen der Tarife dem Controlling Kopfzerbrechen, in Datennetzen vor allem die verursachergerechte Zuordnung. CW-Bericht, Sabine Ranft

Es gibt viele Gründe, warum sich Anwender einen guten Überblick über ihre Ausgaben für Sprach- und Datenkommunikation verschaffen sollten. Einer davon betrifft nur das Unternehmen selbst: Wer weiß, wo welche Kosten anfallen, kann leichter weiteres Sparpotenzial ausschöpfen. Ein anderer Grund betrifft die Zusammenarbeit mit Carriern und Service-Providern. Der Siegeszug von IP-Technologien und -Diensten stellt diese vor neue Herausforderungen, von denen heute noch nicht klar ist, wie sie bewältigt werden. Umso wichtiger wird die Kontrolle der Rechnungen durch den Anwender - im Fachjargon Accounting genannt (siehe Glossar).

Bisher gehen Carrier beim Billing folgendermaßen vor: Sie sammeln die millionenfach vorhandenen Call Detail Records (CDRs, siehe Glossar). Diese enthalten Verbindungsdaten wie Zielrufnummer, Uhrzeit und Dauer jedes einzelnen Gesprächs. Ein so genanntes Mediation Device bringt die Daten ins richtige Format. In der Rating Engine werden sie dann mit den aktuellen Tarifen verknüpft. Anschließend lassen sich die Rechnungen erstellen.

Das ist weit schwieriger, als es klingt. Nach Angaben von Nigel Deighton, einem Analysten der Gartner Group, sind die Billing-Systeme bei den Ex-Monopolisten schon recht alt und müssen teils manuell bedient werden - das führt zu Verzögerungen. Dieses Prozedere ist auch aus einem anderen Grund nicht mehr zeitgemäß: Heute ändern sich die Tarife durch den Wettbewerb so schnell, dass das Rating sofort reagieren muss, sonst geht Geld verloren. Oft erschweren verschiedene CDR-Formate die Berechnungen, weil durch Zukäufe anderer Firmen vier bis fünf unterschiedliche Systeme parallel im Einsatz sind.

Durch eigene Abrechnungsfehler gehen Carriern nach Schätzungen des Beratungshauses Pricewaterhouse-Coopers mindestens fünf Prozent des Gegenwerts für die erbrachten Dienstleistungen verloren. Hierbei spielen Probleme mit der Netzinfrastruktur, bei der Zusammenschaltung von Netzen verschiedener Betreiber oder bei der Verrechnung von Spezialrabatten eine Rolle. Fehlerpotenzial birgt auch die verspätete Deaktivierung von Netzservices, zum Beispiel nach Ablauf eines Prepaid-Vertrages. Noch prekärer als bei den Ex-Monopolisten gestaltet sich die Lage von Neulingen: "Neue Carrier sind anfangs selten fähig, überhaupt eine Rechnung zu schicken", warnt Dieter Muernseer, Managing Director bei Muernseer Associates.

Mit zunehmendem Preisverfall im Sprachsektor richten die Carrier ihre Hoffnungen vermehrt auf Datendienste. Damit wächst der Bedarf an IP-Billing. Die Schwierigkeit bei der Weiterverrechnung von Internet-Diensten liegt darin, zwischen verschiedenen Inhalten und Applikationen zu unterscheiden. Zum Beispiel muss das Billing-System zwischen Sprache und Daten, wertvollen Applikationen oder bloßem Surfen und von Application-Service-Providern (ASPs) zur Verfügung gestellten Anwendungen differenzieren.

"Solche Möglichkeiten erfordern völlig neue Billing-Systeme", erklärt Ian Williams, zuständig für Technology Services bei Datamonitor. Solange es die nicht gibt, behelfen sich Internet-Service-Provider (ISPs) und Telcos mit einfachen Tarifstrukturen wie Flat Rates oder den normalen Telefongebühren. "Die IP-Technologie mag uns interessante Anwendungen und Dienste beschert haben, aber ohne Abrechnungsmöglichkeit sind sie keinen Pfifferling wert", urteilt Iain Gillott, Group Vice President für Telecommunications Research bei IDC.

Doch selbst wenn der Kunde nun überzeugt ist, er sollte Rechnungen der Carrier lieber selbst unter die Lupe nehmen, muss er noch einige Hürden überwinden. "Auf jeden Fall sollten die Verbrauchsdaten im Haus gemessen werden", fordert Holger Schramm, Marketing-Leiter bei der MSI GmbH in München, die Accounting-Lösungen anbietet. Da die Nebenstelle die Verbindungsdaten registriert, lassen sie sich dort abgreifen.

Schwieriger gestaltet es sich seiner Meinung nach, an die zugehörigen Preise heranzukommen. Den Taktimpuls der Deutschen Telekom zu nutzen, hält er für einen Holzweg. Vor der Liberalisierung hingen die Tarife linear von der Zeit ab (Preis = Gebühr je Takt x Anzahl Takte), die flexibleren neuen Tarife lassen sich so jedoch nicht abbilden. "Die Abweichungen summieren sich auf bis zu 40 Prozent", schätzt Schramm. Deshalb sei der Taktimpuls allenfalls als vager Anhaltspunkt zu gebrauchen.

Stattdessen hält Schramm es für unumgänglich, sich eine eigene Software mit Tariftabellen anzuschaffen, die das berechnet. "Die Bereitstellung der Tariftabellen ist ein Minenfeld", berichtet er. Schließlich müssten alle Tabellen so angeboten werden, dass sie von ein und derselben Software verarbeitet werden können. Zudem ist der Aktualisierungsaufwand immens. "Bei uns ist eine Abteilung von vier Personen in Vollzeit damit beschäftigt, die deutschen Tariftabellen aktuell zu halten", schildert der Marketing-Leiter. Rabatte und Sondertarife sind ebenfalls zu berücksichtigen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Firmen Least Cost Routing mit mehreren Carriern machen. Anhand von Rechnungen allein sei das nicht zu überblicken. Die Nebenstellenanlage erkenne jedoch den Carrier an der Vorwahl und könne das entsprechend aufschlüsseln.

Am hoffnungslosesten sieht die Lage aber beim Mobilfunk aus. Hier hat der Endkunde keine Möglichkeit, die Rechnung des Mobilfunkbetreibers zu prüfen. Schließlich befinden sich die Switches, an denen man die Gesprächsdaten abgreifen kann, allein im Besitz des Anbieters. Teilweise stellt dieser dem Kunden eine Datei mit den Verbindungsdaten zur Verfügung, so dass der wenigstens die Auswertung nachvollziehen kann. Selbst wenn der Kunde Einzelverbindungsnachweis beantragt hat, ist höchstens eine stichprobenartige Kontrolle möglich, indem man einzelne Mitarbeiter dazu verdonnert, minutiös über ihre Gespräche Buch zu führen. Die TK-Anlage registriert lediglich die Gespräche mobiler Nutzer mit dem Büro oder von einem Festnetztelefon an eine mobile Rufnummer. Dieses Manko wiegt umso schwerer, als der Anteil der mobilen Kommunikation am gesamten Kommunikationsaufkommen wächst.

Verursachergerechte KontierungAuch der IP-Verkehr gewinnt an Bedeutung. Laut Schramm beträgt sein Anteil an den Kommunikationskosten heute bereits 60 Prozent. Beim IP-Accounting liegt das Problem weniger in der Tarifierung als in der verursachergerechten Kontierung.

"Die verursachergerechte Umlage von Kosten auf Abteilungen ist überhaupt noch nicht verbreitet", weiß Heiko Rössel, Mitinhaber des Ingenieurbüros Röwaplan in Abtsgmünd. "Die Verteilung erfolgt bei allen Firmen, die ich kenne, pauschal und somit ungerecht." Er hält eine Abrechnung nach Verbrauch in Kbit/s, aber auch nach Kriterien wie Verfügbarkeit, Priorisierung und Multimedia-Daten für sinnvoll. "Eine Umlage führt dazu, dass keine technikverliebten Netze aufgebaut werden", begründet er seine Meinung. Die passive Infrastruktur (wie etwa Anschlussdosen) sollte allerdings nicht nach Verbrauch berechnet werden.

Technisch gibt es zwei Möglichkeiten, wie man IP-Accounting betreiben kann: Zum einen lassen sich Schnüffler (Probes, siehe Glossar) im Netz platzieren, die die Pakete untersuchen. Der genaue Ort der Probes hängt von der Netzstruktur ab. "Diese Technologie steckt noch in den Kinderschuhen und ist teilweise recht teuer", bewertet Schramm. Die Kosten hierfür liegen bei 150000 bis 200000 Mark und kommen nur für Firmen in Frage, die auch entsprechende Kommunikationskosten haben.

Bei dem zweiten Ansatz werden die Logfiles an Servern und Netzgeräten ausgewertet. Da ein Logfile üblicherweise Einträge für jedes übertragene Paket enthält, kann es leicht gigantische Ausmaße annehmen. Oft werden daher schon bei der Erfassung Filter gesetzt (Vorverdichtung, siehe Glossar). Zwischen den Verfechtern der beiden Verfahren herrscht ein regelrechter Glaubenskrieg. Trotzdem bestehen keine unversöhnlichen Gegensätze: Viele Lösungen unterstützen beides, um auf Wünsche der Anwender eingehen zu können.

"Die Technik ist momentan das größte Problem", berichtet Rössel von Röwaplan. Der Planer stecke in einem Dilemma: Entweder man misst (dezentral) am Client und wird von der Informationsflut schier erschlagen. Oder man wählt eine zentrale Lösung (Messung am zentralen Switch) und nimmt in Kauf, dass der Peer-to-Peer-Verkehr (zwischen den Etagenverteilern, zum Beispiel Voice over IP) verloren geht.

Nahtstellen berücksichtigenSolche Projekte können zwischen zwei Monaten (für ein Gebäude) und fünf Jahren in Anspruch nehmen. Vor allem Banken, Versicherungen und TK-Unternehmen gehören zu den Vorreitern beim IP-Accounting. Aufgrund der Komplexität der Projekte sind zahlreiche Arten von Fehlern möglich. "Von Softwarefehlern über sich während des Projekts ändernde Pflichtenhefte und wie auch immer kreierte falsche Erwartungshaltungen bis hin zu politischen Problemen kommt alles vor. Auch wenn in einem Unternehmen fünf Promotoren für eine Lösung existieren, gibt es genauso Leute, die das schlecht finden und einem Steine in den Weg legen", zählt Roland Elster, Vorstand Vertrieb und Marketing bei Uni-X Software in Osnabrück, auf. "Kein Fettnapf ist so klein, dass man ihn nicht treffen könnte."

Er rät Interessenten, am Anfang möglichst präzise festzulegen, was für Ergebnisse gewünscht sind. Zudem verfügt ein Billing- und Accounting-System über viele Nahtstellen. Beispielsweise wird die Auswertung oft in ERP-Systemen etwa von SAP gemacht. Dann müssen die Experten für diese Systeme ebenfalls in die Planung einbezogen werden.

Technische Schwierigkeiten beim IP-Accounting1 Einfach zu bestimmen sind Ziel- und Quelladresse, Größe und Richtung des IP-Pakets. Um Aussagen über den Content machen zu können, muss man teilweise das Paket öffnen, was die Performance herabsetzt. Außerdem lässt sich in IP nicht erkennen, ob eine Anwendung privat oder dienstlich genutzt wird oder welchem Projekt sie zugeordnet werden soll. Um diese Schwäche zu beheben, wird am Client des Benutzers gemessen und die Ergebnisse mit den IP-Daten zusammengeführt.

2 Um den zusätzlichen Verkehr im Netz durch die Messung gering zu halten, empfiehlt es sich, eine Teilauswertung bereits im Netz vorzunehmen.

3 Weitere technische Probleme entstehen durch die dynamische Zuordnung von IP-Adressen. Sie lassen sich aber lösen, wenn man sich an den Prozess anhängt, der die Adressen verteilt.

4 Probes müssen so gesetzt werden, dass keine Pakete verloren gehen und keine doppelt gezählt werden, weil sie an zwei Probes vorbeikamen. Geschieht dies doch, müssen die Daten hinterher konsolidiert werden.

5 Wenn neue Mitarbeiter oder Techniken dazukommen, ist eine hohe Flexibilität für die Konfiguration der Messpunkte nötig.

6 Weil die Übertragung paketorientiert erfolgt, ist ihre Dauer nur schwer festzustellen. Wenn ein Fehler aufgetreten ist, wird das Paket eventuell noch einmal geschickt.

7 Als noch kaum gelöst gilt das Problem der Verdichtung: Wie filtere ich aus der Vielzahl der Einzeldaten die relevanten aus?

Quelle: Dietrich (MSI)

Abb:Manche Accounting-Systeme versprechen sogar die Integration der TK- und IP-Welt. Quelle: MSI