Offshoring: Wo die Inder schwächeln

10.10.2005
Das enorme Wachstum von Anbietern wie TCS, Infosys und Wipro könnte bald an seine Grenzen stoßen.
Infosys hat in den vergangenen Jahren bei den Einnahmen enorm zugelegt.
Infosys hat in den vergangenen Jahren bei den Einnahmen enorm zugelegt.

Die indischen Offshore-Dienstleister wachsen rasant. Umsatzsteigerungen von mehr als 30 Prozent und Gewinnmargen von deutlich über 20 Prozent sind bei Anbietern wie Tata Consultancy Services (TCS), Infosys oder Wipro an der Tagesordnung. Trotz steigender Löhne sind Arbeitskräfte in Indien nach wie vor deutlich billiger zu haben als in Europa oder den USA. Zudem verfügt der Subkontinent über gute IT- und Kommunikationsstrukturen sowie Englisch sprechende IT-Experten.

Hier lesen Sie …

• worauf sich das Wachstum der indischen Offshore-Anbieter gründet;

• vor welchen Herausforderungen die Firmen stehen;

• und warum Infosys-Chef Nilekani sein Geschäftsmodell für überlegen hält.

Steckbrief

Infosys Technologies beschäftigt fast 40000 Mitarbeiter in mehr als 30 Niederlassungen weltweit. Mit den insgesamt 443 Kunden setzte Infosys im vergangenen Geschäftsjahr knapp 1,6 Milliarden Dollar um und erwirtschaftete einen Nettogewinn von 419 Millionen Dollar. Fast die Hälfte der Einnahmen stammen aus dem Geschäft mit der Anwendungsentwicklung und -betreuung. Rund 15 Prozent entfallen auf die Implementierung von Business-Lösungen, fünf Prozent auf Reengineering, sechs Prozent auf Testing/Validation und jeweils vier Prozent auf Consulting und BPO-Services.

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www.computerwoche.de/go/

*81625: Fluktuation bei indischen Offshorern;

*81726: Personalprobleme;

*81584: Infosys geht nach Tschechien;

*80866: Infoys hofft auf Wachstum in Europa;

*79199: Infosys will in die erste Liga.

Am stärksten konnte in den letzten Jahren der Branchenzweite Infosys Technologies zulegen: 1999 lag sein Umsatz noch bei 121 Millionen Dollar. Für das laufende Geschäftsjahr (Ende: März 2006) sind Einnahmen in Höhe von 2,06 bis 2,08 Milliarden Dollar angepeilt. Damit dürfte Infosys dem Marktführer TCS gefährlich nahe kommen.

Dürftiges Europageschäft

Wie die anderen indischen Offshorer macht Infosys sein Hauptgeschäft - derzeit sind es 63 Prozent des Gesamtumsatzes - in Nordamerika. Der IT-Dienstleister ist zwar mittlerweile in acht europäischen Ländern mit Niederlassungen vertreten und betreut insgesamt rund 80 Kunden in der Emea-Region (Europa, Mittlerer Osten und Afrika). Abgesehen von dem kürzlich unterzeichneten Großauftrag der niederländischen Bank ABN Amro handelt es sich dabei aber vorwiegend um kleinere Deals.

Auch inhaltlich herrscht Nachholbedarf. Um den globalen Anbietern das obere Ende der Wertschöpfungskette streitig zu machen, setzen die indischen IT-Dienstleister auf höherwertige Dienstleistungen. So will Wipro seine Aktivitäten im ruinösen Call-Center-Geschäft zurückfahren und das BPO-Geschäft stärker auf Transaktionsprozesse fokussieren. Infosys konzentriert sich auf Infrastruktur-Management, Business Process Outsourcing (BPO) sowie auf strategisches IT-Consulting.

Große Erfolge sind hier allerdings noch nicht zu vermelden. Nach wie vor entfällt fast die Hälfte des Umsatzes von Infosys auf Anwendungsentwicklung und -betreuung. Auch bei dem auf mehrere Anbieter aufgeteilten ABN-Amro-Deal mussten sich Infosys und sein Rivale TCS mit diesem Bereich begnügen.

Vor allem im IT-Consulting-Markt konnten die indischen Offshorer bislang nicht richtig Fuß fassen. Infosys erzielt in diesem Geschäft gerade einmal vier Prozent des Gesamtumsatzes. Da sein Unternehmen die Consulting-Leistungen mit dem jeweiligen Projekt - etwa der Implementierung von SAP- und Oracle-Lösungen - kombiniere, ließen sich diese Einnahmen schwer separat ausweisen, versucht Firmenmitgründer und CEO Nandan Nilekani den geringen Beratungsumsatz zu erklären: "Zurzeit beschäftigen wir weltweit rund 2000 IT-Consultants, das zeigt wie stark unser Beratungsgeschäft gewachsen ist." Auch das BPO-Geschäft steuert bislang nur knapp vier Prozent zu den Gesamteinnahmen bei. Schuld daran sind die Sprachbarrieren in Europa, meint BG Srinivas, Vice President Emea von Infosys: "Bei höherwertigen IT- und BPO-Services ist die Kommunikation entscheidend - speziell in der Finanzbranche, in der wir die meisten Kunden haben." Infosys habe sich beim Thema BPO daher bislang auf den nordamerikanischen und den britischen Markt konzentriert.

Abhilfe soll die Niederlassung im tschechischen Brno schaffen, die Kunden mit Dienstleistungen im Finanz- und Rechnungswesen sowie der Auftragsbearbeitung in ihrer Landessprache beliefert. Firmenangaben zufolge sprechen die rund 80 Mitarbeiter in Brno insgesamt 16 verschiedene Sprachen. "Damit werden wir künftig auch auf dem europäischen Kontinent zahlreiche BPO-Deals hinzugewinnen", hofft Srinivas.

Auch insgesamt wird Infosys das Tempo halten können, glaubt Firmenchef Nilekani. Das Infosys-Geschäftsmodell sei denen der globalen IT-Dienstleister überlegen, weil es organisch gewachsen und nicht nachträglich um Offshore-Komponenten erweitert worden sei. "Wir verfügen über skalierbare Systeme und fundiertes Technik- und Business-Know-how, das wir kontinuierlich weiterentwickeln", erklärt der CEO. Nach dem Vorbild der Unterhaltungselektronik, die ihre Komponenten und Produktionsprozesse so billig wie möglich aus allen Teilen der Welt bezieht, würden IT-Services, aber auch Geschäftsprozesse künftig modular aufgebaut und an die jeweiligen Anforderungen angepasst werden. Ian Marriott, Analyst bei Gartner, sieht das ähnlich: "Kundenspezifische Systeme verlieren an Bedeutung, heute sind modulare Umgebungen gefragt, um für jeden Bereich - Infrastruktur, Anwendungen, Geschäftsprozesse - den jeweils besten Anbieter unter Vertrag nehmen zu können", so der Experte. Ob Onshore-, Nearshore- oder Offshore-Outsourcing - der Erfolg liege in der jeweils optimalen Kombination.

Ob Infosys und Co. auch künftig so stark wachsen wie bisher, wird sich zeigen. Denn inzwischen haben auch die globalen Service-Provider Dependancen in Indien eröffnet und können damit in Bezug auf Arbeitskosten ähnlich kalkulieren. Zudem steigen die Löhne in Indien weiter - vor allem angesichts der hohen Fluktuation. Das aber führt nach Ansicht von Analyst Marriott nicht nur zu Kostensteigerungen, sondern auch zu Qualitätseinbußen: "Die Spitzenkräfte hat die Industrie längst abgeschöpft."