Offshoring verdeckt Management-Probleme

27.11.2003
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Bernhard Steppan arbeitet als IT-Chefarchitekt bei DB Systel GmbH (Deutsche Bahn) in Frankfurt am Main. Er hat 100+ Artikel und zahlreiche Bücher über C++ und Java verfasst. Er betreibt mehrere Blogs, unter anderem http://steppan.net, http://artouro.org und http://tourbine.com

Naturgemäß hat der interne Entwickler ein größeres Interesse an hochwertigen Lösungen, da er das Produkt selbst warten sowie sich direkt mit dem Fachbereich auseinander setzen muss. Er identifiziert sich auch stärker mit der eigenen Firma als ein externer Mitarbeiter. Die geringere Fluktuation bei internen IT-Abteilungen im Vergleich zu Offshoring-Unternehmen ist hier sicher ebenfalls ein Plus. Wenn allerdings qualifizierte Architekten und technisch versierte Qualitätssicherer im Unternehmen bleiben, kann das Offshoring auch qualitativ ein Erfolg sein.

Ein anderer Punkt darf aber nicht unerwähnt bleiben. Aufgrund der deutschen Gesetzgebung lässt sich eine interne IT-Abteilung nicht einfach zugunsten einer Offshoring-Variante auflösen. Vielmehr gibt es hier drei Modelle: entweder den Betriebsübergang zum Outsourcing-Unternehmen oder betriebsbedingte Kündigungen in Verbindung mit der Ausschüttung von Abfindungen oder auch eine Kombination aus beidem. Egal wie die gewählte "Lösung" aussieht, sie ist - je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit des IT-Personals - mit mehr oder weniger hohen Kosten verbunden.

Allzu gern unterschlagen wird der Aspekt des langfristigen Know-how-Verlusts für das Unternehmen und für die Gesellschaft. An Offshoring interessierte Manager führen häufig an, der Verlust an technischem Softwareentwicklungs-Know-how sei nicht relevant, da er nicht zu den Kernkompetenzen des jeweiligen Unternehmens zähle.

Doch bei Banken, Versicherungen und Touristikunternehmen ist dies sicher ein Pseudoargument. Diese Konzerne haben im Gegensatz zu Maschinenfabriken oder Chemiefirmen keine klassischen Produkte im Portfolio, sondern handeln genau genommen nur mit Informationen. Außerdem sind Standardsoftwarelösungen in diesen Unternehmen Mangelware, so dass der Individualentwicklung ein relativ hoher Stellenwert für die effiziente Umsetzung der Geschäftsprozesse zukommt. Insofern lässt sich der Umgang mit Informationstechnik hier sehr wohl als eine Kernkompetenz betrachten.

Zu guter Letzt wird mit der Verlagerung der Softwareentwicklung ins Ausland auch Prozess-Know-how exportiert. Softwareentwicklung ist keineswegs eine von den fachlichen Aspekten losgelöste Disziplin: Nur wenn der Entwickler ausreichend verstanden hat, wie er die Anforderungen technisch umsetzen kann, ist er im Sinne des Auftraggebers erfolgreich. Man muss wirklich kein Pessimist sein, um sich die weitreichende Wirkung des Know-how-Exports auszumalen: Offshoring schwächt unter diesem Gesichtspunkt die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Wirtschaft.

Zieht man die mit dem Offshoring einhergehende Arbeitslosigkeit ins Kalkül, wird die soziale Brisanz des Themas vollends offenkundig. So ist es kein Wunder, dass einige US-Bundesstaaten bereits überlegen, Offshoring wegen der damit verbundenen höheren Allgemeinkosten, dem Know-how-Verlust und den sozialen Spannungen zu verbieten. Das setzt wieder voraus, dass Gesetze erlassen und Kontrollinstanzen eingeführt werden - wodurch die Gemeinkosten erneut steigen.