Offshoring verdeckt Management-Probleme

27.11.2003
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Bernhard Steppan arbeitet als IT-Chefarchitekt bei DB Systel GmbH (Deutsche Bahn) in Frankfurt am Main. Er hat 100+ Artikel und zahlreiche Bücher über C++ und Java verfasst. Er betreibt mehrere Blogs, unter anderem http://steppan.net, http://artouro.org und http://tourbine.com

Nun wird gern behauptet, diese Services seien besonders preisgünstig, weil sie in Ländern mit niedrigen Lohnkosten erbracht werden. Doch selbst wenn man IT-Leistungen nur aus dem Kostengesichtspunkt vergleichen möchte (was völlig praxisfern ist), sollte man die finanziellen Aufwände über die gesamte Lebensdauer der Lösung einbeziehen. Dazu zählen bei einem kompletten Softwareentwicklungsprojekt die Kosten von der Anforderungsaufnahme über Analyse und Design, Implementierung, Test und Verteilung bis zur Wartung.

Ein günstiges Lohnniveau nützt wenig, wenn weder der Termin erreicht wird noch die Qualität und der Umfang stimmen. Um dem Rechnung zu tragen, hat Harry Sneed sein "Teufelsquadrat" entwickelt. Es setzt Qualität, Quantität, Entwicklungsdauer und Kosten in Relation. Wenn Offshoring wirklich günstiger wäre, dann müsste es im Vergleich mit internen Projekten nicht nur geringere Kosten aufweisen, sondern auch in Bezug auf die anderen Kennzahlen mindestens dieselben Werte erreichen. Bleibt beispielsweise die Qualität hinter den Vorgaben zurück, so stimmt die ganze Rechnung nicht mehr.

Der Stundenlohn ist nur die halbe Wahrheit

Indische Unternehmen bieten IT-Dienstleistungen zu Stundenlöhnen zwischen 35 und 40 Dollar an (Computerwoche berichtete). Ist Indien damit wirklich ein Billiglohnland? Und setzt sich der finanzielle Aufwand eines Softwareentwicklungsprojekts nur aus Personalkosten zusammen, wie Offshoring-Unternehmen immer wieder suggerieren? Beides stimmt selbstverständlich nicht. Zum einen ist der genannte Stundenlohn mit dem vieler interner IT-Fachkräfte durchaus vergleichbar. Zum anderen ist das nur die eine Seite der Medaille; die andere ist die Produktivität eines Entwicklers im Verhältnis zu seinem Kostensatz.

Dieser Quotient hängt von vielen Einflussfaktoren ab, zum Beispiel vom Aufbau der IT-Landschaft, für die eine Software entwickelt werden soll, sowie von der IT-Strategie und der Qualität der Projektleitung. Wichtig sind auch die Wahl der Methoden und Werkzeuge sowie das Unternehmensklima. Will man die Kosten der Softwareentwicklung wirklich senken, muss man vor allem die Produktivität der Entwickler erhöhen. Es liegt auf der Hand, dass dies bei internen Entwicklern prinzipiell einfacher wäre als bei einem weit entfernten externen Dienstleister.

Um die fachlichen Anforderungen der Endanwender vollständig zu erfassen, ist eine sorgfältige Analyse notwendig. Eine interne IT-Abteilung kann diese Leistung weit besser erbringen als ein Offshoring-Unternehmen. Denn der externe Dienstleister hat in der Regel mit einer Sprachbarriere zu kämpfen. Außerdem kennt er das fachliche Umfeld nicht annähernd so gut wie firmeninterne Spezialisten.