Offshoring erreicht den SAP-Markt

25.08.2005
Von Magdalena Schupelius
Anwender von SAP-Software handeln mit ihren Dienstleistern günstigere Konditionen aus. In den Beratungshäusern kann das auf Dauer Arbeitsplätze kosten.
Die dargestellten Einsparmöglichkeiten für Unternehmen mit mehr als 30000 Mitarbeitern variieren stark. Nicht immer sind die Kostenvorteile so groß, dass sich Offshoring lohnt. Angaben in Prozent; Quelle: Soreon
Die dargestellten Einsparmöglichkeiten für Unternehmen mit mehr als 30000 Mitarbeitern variieren stark. Nicht immer sind die Kostenvorteile so groß, dass sich Offshoring lohnt. Angaben in Prozent; Quelle: Soreon

Von Management-Problemen, Pleiten und Projektpannen im Offshoring ist fast täglich zu lesen. Trotzdem prognostizieren Studien, dass die Verlagerung von IT-Dienstleistungen in Billiglohnländer eine große Zukunft hat. Bisher lagern deutsche Unternehmen noch deutlich weniger Projekte und Prozesse ins günstigere Ausland aus als etwa amerikanische und englische, so ein Ergebnis des "Offshoring-Reports 2005" der Deutschen Bank und des Bitkom. Das gilt auch für SAP-Software. "In anderen Ländern ist man schon weiter", sagt Klaus von der Osten-Sacken, Mitglied der Geschäftsleitung von BMWs IT-Beratungs- und Servicetochter Softlab. "In Deutschland sieht man immer erst die Probleme, bevor man etwas Neues anfängt." SAP-Software bilde zwar oft zentrale Prozesse eines Unternehmens ab und sei damit ein besonders sensibles Thema, räumt von der Osten-Sacken ein. Dennoch sieht er in Deutschland Nachholbedarf, vor allem in der Überarbeitung von Organisationsstrukturen, die ein Offshoring von SAP-Dienstleistungen im Umfeld der Standardsoftware bisher oft unmöglich machen.

Hier lesen Sie …

• warum einige deutsche Unternehmen der Auslagerung von SAP-Dienstleistungen in Niedriglohnländer skeptisch gegenüberstehen;

• warum SAP-Offshoring trotzdem im Projektgeschäft angekommen ist;

• wie sich zwischen Beratung und Entwicklung die Arbeitsfelder verschieben.

Stundensätze

• In Indien liegen die Tagessätze im SAP-Umfeld bei etwa 500 Euro.

• Angestellte Entwickler und Berater russischer SAP-Dienstleister arbeiten teilweise für 1500 Euro im Monat.

• Die Kosten für den SAP-Betrieb im administrativen Bereich liegen in Osteuropa bei etwa der Hälfte des deutschen Niveaus.

• Ein SAP-Beratertag kostet in Deutschland mindestens 600 Euro.

• Experten für die Plattform Netweaver oder gefragte Softwaremodule wie APO oder CRM können bis zu 1500 Euro pro Tag berechnen.

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*75242: Trends im SAP-Arbeitsmarkt;

*59890: SAP-Beratung: Chancen für Erfahrene;

*70319: Entwicklungen im Offshoring-Geschäft.

So waren denn auch nicht alle Offshoring-Projekte von Erfolg gekrönt. Mit Blick auf in Billiglohnländer verlagerte SAP-Teilprojekte sagt Christina Polacek, Director Consulting bei der auf IT-Benchmarking spezialisierten Maturity Consulting GmbH: "Wir haben in Deutschland inzwischen einen grauen Markt für Berater und Entwickler, die in die Projekte nur einsteigen, um Fehler, die durch Offshoring entstanden sind, zu beheben." Das gelte im Besonderen für SAP, da für den Umgang mit dieser Software nicht nur IT oder Programmierkenntnisse, sondern auch Geschäftsprozesswissen und landestypische Gepflogenheiten von Bedeutung sind.

Vorbehalte gegenüber Externen

Noch ist es Anwenderunternehmen lieber, wenn deutsche Teams aus SAP-Spezialisten vor Ort agieren. Die Berater müssen schnell erreichbar sein und den Kunden kennen. "Wir wollen unsere SAP-Projekte gerne selbst in der Hand behalten", sagt etwa Thorsten Buller, Leiter IT-Governance bei Springer Science and Business Media. "Im SAP-Team muss zuerst die Chemie stimmen, dann erst kommt der Preis ins Rennen." Darum habe Springer laut Buller eher Vorbehalte, wenn externe SAP-Dienstleister Offshoring-Leistungen einbeziehen.

Umstritten ist, ob und wie viele Arbeitsplätze in Deutschland durch den Offshoring-Trend verloren gehen. In einer Studie aus dem letzten Jahr von SAP in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Kaiserslautern und der Deutschen Bank hieß es, 50000 Arbeitsplätze seien bedroht. Das ist heute heftig umstritten. Die Urheber wollen dazu nicht mehr stehen. Der Offshoring-Report 2005 spricht nun sogar von einem Personalaufbau von fünf Prozent.

"Es ist Wunschdenken, zu glauben, dass diese Entwicklung SAP-Partner nicht betrifft", kommentiert Thomas Heyn, Partner bei der IT-Personalberatung Jack Russell Consulting in München. Schon jetzt kommen die Veränderungen langsam, aber spürbar auf dem Markt an. Anbieter aus Indien und China, Ungarn, Tschechien und der Slowakei spielen schon mit auf dem deutschen SAP-Feld. Nicht zuletzt der Hersteller selbst baut seine Entwicklungszentren in Indien und Ungarn kontinuierlich aus.

Die großen deutschen SAP-Beratungsfirmen haben reagiert. Die Itelligence AG baute in den vergangenen Jahren eigene Standorte in Osteuropa auf. Freudenberg IT eröffnete vor wenigen Wochen in Budapest eine Niederlassung, die die gesamte Softwareentwicklung im SAP-Umfeld übernehmen wird. Und nun entdecken auch noch die indischen Firmen Osteuropa als Nearshore-Standort für den deutschen Markt. Der indische IT-Dienstleister Tata Consultancy Services (TCS) beispielsweise betreibt in Ungarn eine eigene Niederlassung. Suresh Raman, Regional Director Central Europe bei TCS: "Unser ungarischer Standort ist wesentlicher Ankerpunkt für den europäischen Markt. Wir haben hier große Pläne."

In Billiglohnländer abgegeben werden im SAP-Umfeld vor allem reine Entwicklungsleistungen sowie Second- und Third-Level-Support. Aktuell wartet die Branche auf die Auslagerung der administrativen Bereiche, die auch SAP-Systemleistungen betreffen wird. "Etwa 30 bis 40 Prozent der deutschen Großunternehmen evaluieren zurzeit die Auslagerung der Lohnbuchhaltung und anderer Human-Resource-Prozesse", so Polacek. "Diese Services werden aus dem In- und Ausland gleichermaßen erbracht." Rein aus dem Inland bedient wurde lange Zeit das SAP-Projektgeschäft.

"Der Einkauf hat das Einsparpotenzial, das Offshoring im SAP-Umfeld bietet, gerade erst richtig entdeckt", berichtet etwa der SAP-Projektleiter eines großen deutschen Automobilherstellers. Wichtige Kunden machen zunehmend Druck auf externe SAP-Dienstleister. Auch Uwe Herold, Leiter Zentrale Organisation und Informationssysteme beim Autozulieferer Brose GmbH, betont: "Bei notwendigen SAP-Anpassungsprogrammierungen werden wir verstärkt darauf achten, dass unsere Lieferanten Offshoring nutzen und die Kostenvorteile an uns weiterreichen." International agierende Unternehmen können darauf nicht verzichten, wenn sie konkurrenzfähig bleiben wollen.

"Externe SAP-Dienstleister werden inzwischen im Preis so gedrückt, dass sie Leistungen aus dem Ausland hinzukaufen müssen", so Softlab-Manager von der Osten-Sacken. Während die größeren SAP-Beratungshäuser Mischkalkulationen über eigene Standorte in Billiglohnländern bereits anbieten können, müssen die kleinen nun nachziehen. Von der Osten-Sacken: "Mit rein deutscher Besetzung können auch kleine Häuser nur noch spezielle Bestandteile eines SAP-Projekts abdecken."

Diese Erfahrung kann Ronald Wermann, Vorstand der SAP-Beratung Abat AG aus Bremen, bestätigen. "Wir haben SAP-Projekte an Anbieter aus Billiglohnländern verloren - und das bei Unternehmen, deren Haus- und Hoflieferant wir einmal waren." Anderen Beratungshäusern geht es ähnlich.

Abat reagierte schnell. Seit März 2004 hat das mit 70 Mitarbeitern relativ kleine Beratungshaus eine Niederlassung in Minsk. Supportanfragen für die SAP-Application-Helpline und den Second-Level-Support gehen nach entsprechender Mitarbeiterschulung direkt nach Weißrussland. Im Projektgeschäft dagegen pflegt Abat den Kontakt zum Kunden über deutsche Berater mit dem notwendigen Prozess- und Branchenwissen. Nur die reine Realisierung findet in Minsk statt. "Auf diese Weise kommt der Kunde mit dem Offshore-Anteil seines Projekts gar nicht in Berührung", so Wermann.

Für kleine SAP-Häuser ist der mit der Auslagerung von Teilleistungen in Billiglohnländer verbundene Aufwand sehr groß. 20 bis 25 Prozent mehr Zeit brauchen die Berater von Abat für die Kommunikation und Steuerung der weißrussischen Kollegen, schätzt Wermann. Es rechne sich trotzdem.

Gefahr für Kleine

"Die ganz kleinen Beratungshäuser, die mit zehn, 15 Mann als Subkontraktoren in die Projekte gehen, werden zunehmend von ausländischen Anbietern verdrängt werden, wenn sie sich nicht stark spezialisieren", sagt Personalberater Heyn. "Wer aber schon eine Nische besetzt hat, ist unter Umständen vor Preisdiskussionen geschützt."

Arbeitsplätze sind - über eine leichte Marktbereinigung hinaus - in deutschen SAP-Beratungen durch Offshoring bislang nicht verloren gegangen. "Das wird aber noch kommen, wenn die Trends nicht erkannt werden", warnt Heyn. Im Moment verschöben sich in Deutschland die Arbeitsfelder. Dabei verlagert sich der Trend weg von der reinen Entwicklung hin zur Beratung. "Die Grenzen zwischen Berater und Entwickler verwischen sich in den Projekten zusehends", sagt Birgit Bohnhorst, Mitglied der Itelligence-Geschäftsleitung, den "reinen Entwickler" werde es in Zukunft immer seltener geben.

"Die deutschen SAP-Dienstleister müssen diese Entwicklung schnell mitvollziehen und Offshoring als Chance begreifen", so Heyn. Ganz ohne Verluste werden die Veränderungen allerdings nicht vor sich gehen. Noch liege der Hauptgrund, Softwareprojekte nach Indien, China oder Osteuropa auszulagern, in der Kostenersparnis.

Von der Osten-Sacken dagegen erwartet vom SAP-Offshoring eine Belebung für den deutschen SAP-Markt. Nicht zuletzt durch ausländische Konkurrenten könnten sich neue Synergien ergeben. So suchen etwa TCS, Wipro und andere indische Unternehmen Partner für die SAP-Beratung auf dem deutschen Markt. (hk)