Offshoring: Die großen Konzerne tun es

12.09.2008
Kostensenkung gilt nach wie vor als zentrales Motiv, wenn deutsche Anwender IT-Dienste im nahen oder fernen Ausland erbringen lassen. Doch auch strategische Aspekte gewinnen an Bedeutung.

Eigentlich könnte die Ausgangssituation für die Anbieter von Offshore- und Nearshore-Services kaum besser sein: Der anhaltende Fachkräftemangel macht den IT-Abteilungen das Leben schwer, und der Kostendruck dürfte angesichts der bevorstehenden Rezession eher noch zunehmen. Doch trotz nach wie vor handfester Kostenvorteile - einer aktuellen Analyse von Berlecon zufolge betragen die Tagessätze für im Ausland erbrachte Services ein Viertel bis ein Drittel des deutschen Preisniveaus - halten sich hierzulande viele Anwender beim Thema Offshoring zurück. Hintergrund ist die Angst vor Projektverzögerungen und Zusatzkosten - verursacht durch Sprachbarrieren und kulturell bedingte Kommunikationsprobleme sowie durch die unterschiedlichen Zeitzonen und hohen Fluktuationsraten in vielen Billiglohnregionen. Aber auch arbeitsrechtliche Hindernisse und das schlechte Image, das dem Offshoring hierzulande anhaftet, bremsen die Entwicklung. Vor allem im Mittelstand sind solche Projekte selten anzutreffen. Bislang sind hier vorrangig große Konzerne aktiv.

Erfahrungen und Pläne der Outsourcing-Anwender

Die Berater von Lünendonk haben im Auftrag des IT-Dienstleisters GFT Technologies 32 große und im Umgang mit externen IT-Dienstleistern erfahrene Anwenderunternehmen aus Deutschland und einigen westeuropäischen Ländern nach ihren Erfahrungen und Plänen mit der Vergabe, Steuerung und personellen Besetzung von IT-Projekten gefragt. Zwei Drittel dieser Firmen haben mehr als 5000 Mitarbeiter. Bei 60 Prozent liegen die IT-Budgets in diesem Jahr unter 100 Millionen Euro, bei 40 Prozent sind sie höher. Im Durchschnitt entfällt mehr als ein Drittel der IT-Budgets der befragten Unternehmen auf Ausgaben für externe IT-Dienstleister.

dass fast alle großen deutschen Konzerne Offshore- oder Nearshore-Projekte betreiben;

dass sie vor allem das Application-Management und die Softwareentwicklung in Niedriglohnländer verlagert haben;

warum sie beim Offshoring nicht mehr nur die Lohnkostenvorteile im Blick haben;

dass vor allem der Fachkräftemangel zu einem schlagenden Offshore-Argument wird.

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weshalb fast alle großen deutschen Konzerne Offshore- oder Nearshore-Projekte betreiben;

wieso sie vor allem das Application-Management und die Softwareentwicklung in Niedriglohnländer verlagert haben;

warum sie beim Offshoring nicht mehr nur die Lohnkostenvorteile im Blick haben;

dass vor allem der Fachkräftemangel zu einem schlagenden Offshore-Argument wird.

Typischer Offshore-Service: Application-Management

Im Rahmen der Studie wurden die Konzerne auch nach ihren Offshore-Aktivitäten befragt. Das Ergebnis: 87 Prozent der Firmen nehmen bereits entsprechende Services in Anspruch und wollen diese Strategie künftig weiter ausbauen. Alle anderen gaben an, Offshore- und Nearshore-Projekte für die Zukunft zu planen. Application-Management-Services werden am häufigsten aus Niedriglohnländern bezogen: 80 Prozent der Unternehmen nutzen diese IT-Dienstleistung im Nearshore- oder Offshore-Einsatz (siehe Grafik "Offshoring: Was Anwender nach außen geben"). An zweiter Stelle folgt die Entwicklung von Individualsoftware mit 76,2 Prozent der Nennungen, gefolgt von der Standardsoftware-Entwicklung mit 66,7 Prozent. Auf den weiteren Plätzen liegen Application Hosting (63,6 Prozent), Infrastrukturbetrieb (63,6 Prozent) und Desktop-Management (60 Prozent). Bei der Frage, welche Services die Firmen künftig im Offshore- oder Nearshore-Modell beziehen wollen, wurde das Thema BPO (Business Process Outsourcing) am häufigsten genannt: Ein Viertel der befragten Firmen gab an, eine Verlagerung von Geschäftsprozessen ins Ausland zu planen. Es folgen Prozessberatung (22,2 Prozent), User-Helpdesk-Services (21,4 Prozent) und Individualsoftwareentwicklung (19 Prozent).

Grundsätzlich bevorzugen die Befragten beim Offshoring Projekte, in denen wenig Abstimmungsaufwand zu erwarten ist. Auch eine gute bisherige Zusammenarbeit mit dem IT-Dienstleister gilt als entscheidendes Argument. Wie die Studie zeigt, haben fast alle Firmen gute (80 Prozent) oder sogar sehr gute Erfahrungen (17 Prozent) mit ihrem Servicepartner gemacht. Und offenbar steigt dadurch auch ihre Bereitschaft, Projekte in Niedriglohnländern in Angriff zu nehmen. Vorhaben, in denen viele Änderungen bei Projektanforderungen und Spezifikationen anfallen, halten die Befagten dagegen für weniger Offshoring-geeignet. Ähnliches gilt für Projekte mit einer kritischen Terminlage.

Die Lünendonk-Studie ist zwar nicht repräsentativ, sie zeigt aber, dass sich im Offshore-Verhalten der hiesigen Anwender ein Wandel abzeichnet. So gaben fast alle Befragten an, ihre Offshore- beziehungsweise Nearshore-Projekte zu Anfang fast ausschließlich unter dem Aspekt der Lohnkostenunterschiede betrachtet zu haben. Mit der wachsenden Erfahrung sei ihnen jedoch bewusst geworden, dass solche Vorhaben nur mit Hilfe von ausgefeilten Governance-Methoden zum Erfolg führen. So kommt es fast allen befragten Unternehmen darauf an, dass die lokalen Projekt-Manager mit den Teams im Offshore-Land stark vernetzt sind und Weisungsbefugnis haben.

Dienstleister müssen Branchenwissen beweisen

Ob ein externer IT-Dienstleister über Nearshore- und Offshore-Kapazitäten verfügt, ist dagegen kurioserweise kein Auswahlkriterium, wie die Studie zeigt. Entscheidend sind vielmehr die Branchen- und Prozesskompetenz des Anbieters, seine wirtschaftliche Stabilität, technisches Know-how sowie ein tiefes Verständnis der Geschäftsprozesse des Kunden, so das Ergebnis der Umfrage. Die Autoren der Studie vermuten aber, dass die Befragten die Offshore-Kapazitäten nicht explizit als Kriterium angegeben haben, weil sie davon ausgehen, dass ein kompetenter Partner in der Lage ist, auf solche Ressourcen zurückzugreifen.

Das Ziel, die Projektkosten zu senken, ist zwar nach wie vor der Hauptgrund für die Inanspruchnahme von Offshore- und Nearshore-Services. Aber auch strategische Aspekte wie die Rekrutierung von Mitarbeitern im Ausland werden in den Augen der Umfrageteilnehmer in den nächsten zwei Jahren an Bedeutung gewinnen. Angesichts des Fachkräftemangels seien künftig IT-Dienstleister gefragt, die Experten international rekrutieren und einsetzen können, so das Argument. Dieser Aspekt gewinnt wegen der alternden Bevölkerung hierzulande zunehmend an Brisanz, betont auch Sid Pai, Indien-Geschäftsführer der Outsourcing-Beratungsfirma TPI. "Das ist einer der Gründe, warum Indien als Offshore-Standort so erfolgreich ist: 64 Prozent der Menschen dort sind unter 30 Jahre alt - qualifizierte und günstige Arbeitskräfte, die die westlichen Industrienationen immer dringender brauchen." Einen solchen Reichtum an jungen Leuten könne beispielsweise China mit seiner Ein-Kind-Politik niemals bieten.

Fachkräftemangel wird sich noch weiter zuspitzen

Mit ihrer stärker strategisch geprägten Ausrichtung sind die Anwender nach Ansicht von Experten auf dem richtigen Weg. Offshoring sei kein kurzfristiges Instrument zur Kostensenkung, sondern eine langfristige strategische Entscheidung, so ihre Warnung an Unternehmen, die mit ihren Aktivitäten im Ausland ausschließlich auf die dortigen Lohnkostenvorteile abzielen (siehe Seite 17: "Deutschen Managern fehlt die Erfahrung"). Wichtiger als kurzfristige Einsparungen ist, dass sich Unternehmen durch die Nutzung von Offshore- und Nearshore-Kapazitäten langfristige Kosten- und Wettbewerbsvorteile sichern. Neben der Bekämpfung des Fachkräftemangels zählt dazu nicht zuletzt die Erschließung neuer Märkte wie Indien, argumentiert Pai: "Vor allem für den Mittelstand ist die Präsenz in Niedriglohnländern auch eine große Chance, beispielsweise die hervorragenden deutschen Ingenieurleistungen dort anzubieten."