Offshoring: Deutsche Anbieter hinken hinterher

01.08.2007
Die Eigenheiten des hiesigen Markts bremsen zwar die Offshore-Entwicklung. Sie bieten den IT-Dienstleistern aber auch Chancen.

Von CW-Redakteurin Sabine Prehl

Indiens IT-Dienstleister sind weiter auf dem Vormarsch – auch in Europa. Den Marktforschern von Forrester Research zufolge wachsen sie hier derzeit um jährlich 30 Prozent und erwirtschaften gigantische Profitmargen. Um nicht ins Hintertreffen zu geraten, haben US-amerikanische Anbieter wie Accenture und IBM schon vor Jahren reagiert und ihre Offshore-Kapazitäten auf dem Subkontinent und in anderen Schwellenländern massiv ausgebaut. Bei den meisten großen europäischen IT-Dienstleistern besteht dagegen noch Nachholbedarf.

In Europa sind bislang nur SIS und Capgemini dabei, ihre Offshore-Kapazitäten massiv auszubauen.
In Europa sind bislang nur SIS und Capgemini dabei, ihre Offshore-Kapazitäten massiv auszubauen.
Foto: Forrester Research

Zahlenmäßig können bislang nur die aus der Siemens-Tochter SBS hervorgegangene IT-Sparte SIS (Siemens IT-Solutions and Services) sowie Capgemini mithalten: SIS beschäftigt derzeit rund 30 Prozent der weltweiten Belegschaft in Niedriglohnländern, der französische IT-Dienstleister kommt auf 18 Prozent – allerdings ohne die Mitarbeiter des im Herbst 2006 übernommenen Offshorers Kanbay. Bei den anderen europäischen Playern sind die Offshore- und Nearshore-Anteile laut Forrester wesentlich geringer: Logica CMG schafft mit 10,6 Prozent immerhin die Zehn-Prozent-Marke. Getronics und Atos Origin liegen mit 5,1 beziehungsweise 2,4 Prozent weit dahinter. Völlig abgeschlagen auf dem letzten Platz landet T-Systems mit einem Anteil von 0,4 Prozent.

Die meisten kleineren Anbieter in Deutschland können ohnehin nicht mit nennenswerten Offshore-Kapazitäten aufwarten. Das liegt vor allem an den Eigenheiten und der mittelständisch geprägten Struktur des deutschen Markts: Abgesehen davon, das sich die vorwiegend kleinen und mittleren lokalen Anbieter keine Zukäufe in Niedriglohnländern leisten können, ist das mittelständische Kundensegment wesentlich schwerer mit Offshore-Services zu bedienen als große Anwenderunternehmen. IT-Sicherheitsbedenken und Kommunikationsprobleme durch sprachliche und kulturelle Unterschiede schrecken kleinere Firmen nach wie vor davon ab, Tätigkeiten in Offshore-Regionen wie Indien oder China zu verlagern. Die mangelnde Akzeptanz in Deutschland ist auch darauf zurückzuführen, dass hiesigen Anwendern die Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit indischen Fachkräften fehlen, die Firmen in den USA und Großbritannien über Jahre oder Jahrzehnte hinweg gesammelt haben. "Das gegenseitige Marktverständnis, die Kenntnisse über die jeweiligen Gepflogenheiten – all das muss in Deutschland noch aufgebaut werden", so Andreas Stiehler, Analyst bei Berlecon Research. "Für einen Anwender, der dem Thema Offshoring ohnehin skeptisch gegenübersteht, ist es nur schwer nachvollziehbar, warum sein Server von Bangalore aus betreut werden soll."

Angesichts dieser Hemmnisse haben hiesige IT-Dienstleister grundsätzlich Probleme, ihre Kunden vom Nutzen des Offshoring zu überzeugen. "Wer Großunternehmen bedient, braucht Offshore-Ressourcen, keine Frage. Aber im Mittelstand ist die deutschsprachige Betreuung durch einheimisches Personal häufig sogar ein Verkaufsargument", fasst Stiehler zusammen. Andererseits führt die Offshore-Aversion der Anwender auch dazu, dass einige IT-Dienstleister ihre Kunden gar nicht erst darüber informieren, dass bestimmte Services in Indien erbracht werden, beobachtet Heiko Miertzsch, Manager Consulting bei der Beratungsfirma Techconsult. Aus diesem Grund sei es schwer zu sagen, wie hoch die Offshore-Anteile der Anbieter tatsächlich sind.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele mittelständische Anwender ihre Prozesse und Services nicht klar definiert und standardisiert haben. Das aber ist die Voraussetzung, um das entfernte Serviceteam so anzuleiten, dass das Projekt über verschiedene Kommunikationswege, Ländergrenzen und Sprachen hinweg funktioniert. Das gilt auch für die IT-Dienstleister. Nach Ansicht von Stiehler reicht es heute nicht mehr, nur Offshore-Ressourcen aufzubauen. "Die verlängerte Werkbank hat ausgedient". Vielmehr müssten die IT-Dienstleister länderübergreifend standardisierte IT-Services anbieten, um nennenswerte Kostenvorteile zu erzielen. Vor dem damit verbundenen Aufwand schrecken viele Anbieter zurück. Die Verlagerung von Tätigkeiten in Niedriglohnländer zwingt sie jedoch dazu, meint Stiehler: "Speziell für kleinere IT-Dienstleister hat Offshoring oft einen entscheidenden Nebeneffekt: Sie bekommen dadurch ihre Prozesse in den Griff."

Ansonsten lohnt sich ein Offshoring für Mittelstandsprojekte meist nicht, weil diese in der Regel wesentlich kleinteiliger sind als im Großkundensgement: "Wenn wir mit 400 bis 500 Mann SAP einführen, umfassen die Entwicklungsthemen meist 50 bis 100 Manntage, hinter denen sich wieder zehn Einzelaktivitäten mit jeweils zehn Manntagen verbergen", erläutert Herbert Vogel, Vorstandsvorsitzender des mittelständischen SAP-Dienstleisters Itelligence. "Hinzu kommt: Der Mittelstand spricht Deutsch, man muss also alles ins Englische übersetzen und umgekehrt. Außerdem gibt es unterschiedliche Zeitzonen. Man braucht ein Projekt-Management, dann muss das Ganze noch überwacht und mit einer Qualitätskontrolle versehen werden. " All das verursache einen Aufwand, der sich bei kleinteiligen Projekten nicht rechne. "Um die Kosten signifikant zu senken, benötigt man schon ein Paket mit 400 Manntagen Entwicklung", so Vogel.

Auch der Automatisierungsgrad spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle. "Mit der zunehmenden Standardisierung von Services wird Offshoring zwar auch im Mittelstand einfacher und unproblematischer. Gleichzeitig schwinden dadurch aber die im Niedriglohnland erzielten Kostenvorteile. "Viele Managed Services sind bereits so stark automatisiert, dass sich ein Offshoring kaum noch lohnt", so Stiehler.

Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass die deutschen IT-Serviceanbieter das klassische Offshoring scheuen. Es gibt aber Möglichkeiten, sich mit weniger Aufwand eine Präsenz in Niedriglohnländern aufzubauen. Sinnvoll sind beispielsweise Partnerschaften: "Die Kommunikation wird wesentlich einfacher, wenn der Anbieter das Projekt-Management an einen lokalen IT-Dienstleister übergibt, der wiederum Teile des Projekts nach Indien durchreicht und somit als Brückenkopf agiert", erläutert Techconsult-Berater Miertzsch. "Es gibt in Indien eine Vielzahl von Tier-Two-Anbietern, die zwar weniger prominent sind als TCS oder Infosys, aber ebenfalls über relevante Support-Kompetenzen verfügen", bestätigt Pascal Matzke, Analyst bei Forrester Research. "Für einen europäischen Mittelständler bietet es sich an, als lokales Frontend für einen solchen IT-Dienstleister zu agieren." Der britische IT-Dienstleister Computacenter beispielsweise habe zunehmenden Erfolg mit dieser Strategie. Allerdings funktionieren Partnerschaften nur im Helpdesk und Support, wo es klar definierte und kommunizierbare Service-Level-Agreements (SLAs) gibt, räumt der Experte ein. "Komplexere Projekte wie eine Anwendungsentwicklung oder Systemintegration erfordern stringente Prozesse im Projekt-Management sowie bei der Entwicklung und Implementierung von Techniken. Um dies leisten zu können, benötigt der Provider schon eigene Offshore-Ressourcen."

Eine weitere Alternative zum Auslagern nach Indien oder China ist der Aufbau von Nearshore-Kapazitäten. Für einen hiesigen Anbieter ist die Zusammenarbeit mit einem Partner in Osteuropa weit weniger aufwändig und problematisch als in weit entfernten Regionen. "In Russland etwa gibt es eine ganze Reihe von Unternehmen, die mit deutschen IT-Dienstleistern gut verdrahtet sind", so Matzke. Ein Beispiel sei die St. Petersburger Firma Reksoft, die eine Entwicklungspartnerschaft mit T-Systems unterhält. Zukäufe sind in Osteuropa ebenfalls einfacher als in Indien, wo sie laut Matzke häufig an den überzogenen Preisvorstellungen der Unternehmer scheitern.

Auch der florierende SAP-Dienstleister Itelligence setzt vorrangig auf Nearshoring in Osteuropa und Spanien. "Dort können wir Entwicklungskapazitäten derzeit halb so billig wie hierzulande einkaufen – das rechnet sich natürlich", so Firmenchef Vogel. Das Thema Offshoring in Asien spiele dagegen "nur eine ganz geringe Rolle". Die diesbezüglichen Aktivitäten des Unternehmens beschränken sich ausschließlich auf den US-amerikanischen Markt. Und dort arbeitet Itelligence auch nur mit indischen IT-Dienstleistern zusammen, die einen Brückenkopf vor Ort haben und von dort aus die Projekte mit den Kollegen auf dem Subkontinent managen. Selbst das war anfangs nicht einfach: "Es hat ein Jahr gedauert, bis alles funktioniert hat, da mussten wir einiges an Lehrgeld zahlen", berichtet der Manager.

Die Experten sind sich einig darin, dass mittelständische IT-Serviceanbieter in Deutschland trotz fehlender Offshore-Kapazitäten den Anschluss im weltweiten Wettbewerb nicht verlieren müssen – sofern sie andere Modelle nutzen, um ihre Angebote zu verbilligen. " Egal wo die Kapazitäten im Einzelnen herkommen: In einer immer globaleren Welt wird der Offshore-Nearshore-Anteil generell zunehmen, davor dürfen wir die Augen nicht verschließen", räumt Vogel ein. "Trotzdem glaube ich nicht, dass Deutschland irgendwann von indischen Anbietern überschwemmt wird." Auch Berlecon-Analyst Stiehler hält nichts von solchen Horror-Szenarien: "Der hiesige IT-Servicemarkt ist sehr speziell, daran kann man sich schon die Zähne ausbeißen. Aber die Inder tun sich ja auch schwer, hier an Boden zu gewinnen."

Zudem dürfe man nicht vergessen, dass Offshoring nur eine Facette der Internationalisierung ist. Eine entscheidende Rolle spiele dabei auch die Bereitstellung globaler Supportstrukuren für Kunden, die im Ausland präsent sind. Im international aufgestellten Mittelstand besteht hier eine große Nachfrage, beobachtet Stiehler: "Dass das SAP-System weltweit reibungslos läuft, ist für viele Anwender wichtiger als durch Offshoring erzielte Einsparungen." Speziell für eine Exportnation wie Deutschland biete dieses Thema mittelständischen IT-Dienstleistern gute Chancen. Ähnlich sieht es Itelligence-Chef Vogel: "Immer mehr deutsche Firmen müssen heutzutage im Ausland produzieren. Die Anwender denken globaler als vor ein paar Jahren, und sie bevorzugen Partner, für die Fremdsprachen keine Rolle spielen und die bestimmte Services länderübergreifend anbieten können."

Ob sich mittelständische Anbieter, die finanziell nicht so gut dastehen wie Itelligence, eine globale Unterstützung ihrer Auftraggeber leisten können, ist allerdings fraglich. Selbst der Branchenriese T-Systems hat es nicht geschafft, seinen Kunden ins Ausland zu folgen. Und auch der Siemens-Geschäftsbereich SIS betreut außerhalb Deutschlands vorrangig Niederlassungen des Mutterkonzerns. Für kleinere Anbieter können die Chancen der Internationalisierung daher leicht zu einer Gefahr werden.