Offshoring: Auf zu neuen Ufern?

12.07.2007
Von Lena Rosenthal
Immer mehr Niedriglohnländer drängen in den Markt. In Nicht-EU-Staaten sollten deutsche Firmen aber nur einfache, leicht steuerbare Aufgaben verlagern.
Indien bietet aus globaler Sicht nach wie vor die meisten Vorteile. Bewertet wurden Kostenaspekte (niedrige Löhne und Infrastrukturkosten, Steuervorteile), die Mitarbeitersituation im jeweiligen Land (Größe der IT- und der Business-Process-Outsourcing-Branche, Verfügbarkeit von Fachkräften, Ausbildungsniveau, Sprachkenntnisse, Fluktuationsrisiken) sowie die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen inklusive dem Faktor IT-Sicherheit.
Indien bietet aus globaler Sicht nach wie vor die meisten Vorteile. Bewertet wurden Kostenaspekte (niedrige Löhne und Infrastrukturkosten, Steuervorteile), die Mitarbeitersituation im jeweiligen Land (Größe der IT- und der Business-Process-Outsourcing-Branche, Verfügbarkeit von Fachkräften, Ausbildungsniveau, Sprachkenntnisse, Fluktuationsrisiken) sowie die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen inklusive dem Faktor IT-Sicherheit.

Neben den etablierten Near-shore-Regionen innerhalb der EU und dem Offshore-Vorzeigestandort Indien buhlen immer neue Länder um die Gunst hiesiger Anwender. Wie ihre Chancen stehen, lässt sich pauschal nicht sagen, meint Holger Röder, Partner bei der Beratungsfirma A.T. Kearney und Leiter des Bereichs Strategieberatung: "Ob die neuen Länder für deutsche Firmen interessant sind, hängt zu weiten Teilen von deren bisherigen Outsourcing-Erfahrungen sowie von den jeweiligen Aufgaben ab." Damit bezieht sich der Experte auf die Ergebnisse des jährlichen "Global Services Location Index" von A.T. Kearney, der weltweit mehr als 50 Länder anhand von wichtigen Outsourcing-Kriterien Kostenvorteile, Verfügbarkeit qualifizierter Fachkräfte und wirtschaftliche Rahmenbedingungen vergleicht. Fazit der Studie: Für langfristige globale Wettbewerbsvorteile reichen niedrige Lohnkosten nicht aus. Die anderen Faktoren (siehe Grafik "Die wichtigsten Offshore-Länder") werden mittlerweile als genauso wichtig erachtet.

Offshoring

Immer mehr Unternehmen verlagern bestimmte Aufgaben in Niedriglohnländer. Die Beiträge unserer neuen fünfteiligen Offshore-Serie beleuchten die Möglichkeiten, Risiken und Auswirkungen dieses Trends und geben Tipps für ein erfolgreiches Offshoring.

Hier lesen Sie ...

worauf deutsche Anwenderunternehmen beim Offshoring achten sollten;

welche neuen Länder vor diesem Hintergrund neben den etablierten Regionen interessant sind;

und warum viele hiesige Firmen nach wie vor die Nearshoring-Alternative Osteuropa bevorzugen.

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595713: Fachkräftemangel in Indien;

595599: China wird Indien bald überholen;

594478: Fluktuation gefährdet Offshore-Erfolg;

594374: TCS geht nach Mexiko;

592726: Neue Länder konkur-rieren mit Indien.

Bei deutschen Firmen ist Osteuropa nach wie vor beliebt

So kommt es auch auf fundierte Outsourcing-Erfahrungen und schnelle Reaktionen auf Anbieterseite sowie auf geografische Nähe und kulturelle Gemeinsamkeiten an. Aus diesem Grund stehen die etablierten IT-Dienstleister aus EU-Mitgliedsländern wie Polen, Tschechien und Ungarn bei deutschen Unternehmen nach wie vor hoch im Kurs. Doch ihr Stern sinkt, vor allem wegen der steigenden Lohnkosten: "Die neuen Mitgliedsstaaten sind entweder schon zu teuer oder werden es auf absehbare Zeit sein", winkt etwa Rudolf van Megen, Vorstandsvorsitzender des Softwaretesting-Anbieters SQS, ab. "Die Lohnkosten sind immer noch das entscheidende Kriterium für das Auslagern von Dienstleistungen."

Die Neulinge sind billiger, haben aber andere Nachteile

Ähnlich sieht es Consultant Röder: "Wer eigene Produktionsplattformen aufbauen will, um langfristig Kosten einzusparen, sollte eher weniger erschlossene Länder wie Rumänien oder Bulgarien in Erwägung ziehen." Auf der anderen Seite sind die dortigen Märkte noch stark fragmentiert und wenig übersichtlich. Zudem weist die Infrastruktur Mängel auf, und es fehlt an professionellen Anbietern. Als Alternative rät Röder daher, auf die Nearshore-Services von multi-nationalen IT-Dienstleistern wie IBM und EDS zurückzugreifen, die mittlerweile über eigene Ressourcen in diesen Regionen verfügen.

SQS setzt dagegen schon seit 2005 auf Afrika. Im südafrikanischen Durban arbeiten 50 Mitarbeiter, bis zum Ende dieses Jahres sollen es 100 sein. Unternehmen, die wie SQS in Ländern außerhalb der EU fündig werden, müssen allerdings mit höheren Anfangsinvestitionen rechnen. So können kulturelle und sprachliche Unterschiede Zusatzkosten durch den höheren Kommunikationsaufwand verursachen.

Auch die rechtlichen Aspekte sind nicht zu unterschätzen. So regelt innerhalb der EU eine Direktive die Haftungsfragen hinsichtlich des Schutzes von kunden- und personenbezogenen Daten. "In Nicht-EU-Ländern, in denen es keine vergleichbare Datenschutzrichtlinie gibt, ist selbst die Ausarbeitung von Haftungsregelungen eine Heraus-forderung - vor allem für kleine und mittlere Unternehmen", warnt A.T.-Kearney-Berater Röder. Geschäfte ohne solche Verträge seien jedoch äußerst riskant.

Grundsätzlich gilt: Je weiter man in Niedriglohnländer vorrückt, desto schwieriger werden die Rahmenbedingungen. Für erfahrene Unternehmen kann sich der Aufwand dennoch lohnen, meint Röder. Um von den Lohnvorteilen in Ländern wie Weißrussland oder der Ukraine profitieren zu können, dürfe man jedoch eine kritische Masse nicht unterschreiten. So rechne sich der Aufbau eines eigenen Service-Centers erst ab einer Mitarbeiterzahl, "die deutlich im dreistelligen Bereich liegt". Nach Ansicht von SQS-Chef van Megen hängt die Entscheidung zudem davon ab, ob sich die eigene Unternehmensstruktur und -kultur für ein Offshoring eignet: "Wenn die Dokumentationen ausschließlich in deutscher Sprache vorliegen und Deutsch auch Arbeitssprache ist, ist ein Standort wie Indien sicherlich nicht optimal."

Ägypten: Ein günstiger Standort für deutsche Firmen?

Auf der Suche nach einem Offshore-Standort, der über deutsch- und eventuell auch französisch-sprechende IT-Fachkräfte verfügt, erkundet SQS derzeit Rumänien und die Ukraine. Aber auch Ägypten steht auf der Liste der potenziellen Offshore-Partner. Um sich ein Bild vom Ausbildungsstand und der Unterstützung vor Ort zu machen, ist van Megen selbst nach Kairo gereist. "Solche Informationen finden Sie in keiner Statistik", begründet der Firmenchef das persönliche Engagement.

Das Fazit seiner Reise: "Ägypten bietet deutschsprachige und sehr gut ausgebildete Fachkräfte." Nach Ansicht von A.T.-Kearney-Consultant Röder ist das nordafrikanische Land dagegen eher eine Option für die arabische Welt. Vor allem wegen der kulturellen Unterschiede eigne es sich weniger für deutsche Firmen: "Nur wenn sich ein Unternehmen ohnehin in der Region engagiert, kann es sinnvoll sein, auch die IT dort aufzubauen."

Beim Autobauer BMW kommt es immer wieder vor, dass sich IT-Dienstleister an den Produktionsstandorten als Offshore-Partner anbieten. "Wenn wir dadurch Synergien nutzen können, machen wir das", sagt Michael Kormann, Leiter der IT-Kalkulation im technischen Einkauf. "Allerdings nur im Rahmen eines Outtasking, bei dem klar definierte Aufgaben an einen externen Anbieter übergeben werden."

Datensicherheit: In Nicht-EU-Ländern eine Schwachstelle

Bei größeren Serviceumfängen sei es dagegen in der Regel kostengünstiger, sich auf einen bewährten Partner zu verlassen, der wiederum auf eigene Ressourcen im Ausland zurückgreife. "Für unseren Bedarf reicht es nicht, super programmieren zu können. Ebenso wichtig sind Kenntnisse unserer Unternehmensprozesse", begründet Kormann. Bei der Wahl der Offshore-Standorte des IT-Partners behält sich BMW allerdings ein Mitspracherecht vor: "Bei größeren Aufträgen wissen wir genau, mit welchen Subunternehmern gearbeitet wird. Wir führen zwar keine schwarzen Listen, aber wenn wir in einem Land bei einer Aufgabe Bedenken haben, dann sprechen wir das an", so Kormann. Gemeint sind in erster Linie Sicherheitsstandards: "Daten- und Patentschutz spielen bei uns eine große Rolle." Nicht-EU-Länder würden unter diesen Aspekten besonders unter die Lupe genommen.

A.T.-Kearney-Experte Röder hält diese Vorsicht für berechtigt: "In den neuen Offshore-Ländern ist die Frage der Datensicher-heit noch eine Schwachstelle. Grundsätzlich sind alle Staaten außerhalb der EU verdächtig. Das lässt sich so pauschal sagen, weil dort einfach andere Geset-ze gelten", fasst der Berater zusammen. Es gebe aber auch Länder, die sich EU-konform verhalten beispielsweise Kanada. "Auch Indien bemüht sich derzeit um eine Standardisierung, um seinen Ruf als etablierter Offshore-Standort nicht aufs Spiel zu setzen."

Neben Indien hoffen immer mehr andere asiatische Länder, im Markt Fuß zu fassen. Bangladesch, die Philippinen, Malaysien und Indonesien sind schon heute wegen ihrer niedrigen Lohnkosten bevorzugte Offshore-Länder für Australien oder Singapur. Die Frage ist allerdings, ob sich die Partnersuche dort auch für deutsche Firmen lohnt. "Infrastruktur und Qualität sind verglichen mit den indischen Regionen um Mumbai und Bangalore ein Problem", meint Röder dazu. Seiner Meinung nach gilt daher unabhängig vom Kontinent: "In Billiglohnländer sollten nur einfache, gut strukturierte und leicht steuerbare Aufgaben ausgelagert werden etwa Datenerfassung oder Server-Administration."

Die aufstrebende Wirtschaftsmacht China, in der A.T.-Kearney-Studie auf Platz zwei hinter Indien, steht nach Ansicht von Röder für hiesige Firmen derzeit nicht zur Debatte: "In den entwickelten Regionen, in denen deutsche Unternehmen präsent sind und in denen die Nutzung von IT-Kompetenzen vor Ort sinnvoll sein könnte, sind die Faktorkosten zu hoch. Und sobald die IT-Ressourcen billiger sind, weil sie aus dem Hinterland kommen, leidet wiederum die Steuerbarkeit der Services", erläutert der Experte. Auch BMW-Manager Kormann gibt sich zurückhaltend: "China hat zwar Potenzial. Aber hier gilt es, noch einige Parameter im Hinblick auf Sicherheitsstandards zu verbessern." BMW bevorzuge daher nach wie vor die bewährten Nearshore-Regionen, beim Offshoring bleibe Indien der wichtigste Standort. Daran werde sich auch in den nächsten Jahren nicht viel ändern.

Insgesamt werden es die neuen Niedriglohnländer auf dem deutschen Markt schwer haben, gegen die etablierte Konkurrenz anzukommen. Hiesige Unternehmen, die die neuen Anwärter verschmähen, vergeben damit auch keine Chancen, meint Röder. Die einzelnen Regionen unterschieden sich in Sachen Branchenfokussierung nur unwesentlich voneinander. "Auch in vielen anderen Industriezweigen etwa der Automobilindustrie werden die relevanten IT-Dienstleistungen häufig für Querschnittsfunktionen erbracht" , so der Experte. "Wenn allerdings ein spezielles Produktwissen notwendig ist, sollte man natürlich darauf achten, dass die entsprechende Industrie auch im Offshore-Land vorhanden ist." (sp)