Exklusive Studie von Forrester Research und der COMPUTERWOCHE

Offshore-Trend schafft neue Konkurrenz

04.06.2004
MÜNCHEN (CW) - Die Offshore-Anbieter sind für die etablierten und international aufgestellten IT-Dienstleister eine stärkere Konkurrenz als bislang angenommen. Anwender zeigen sich erstaunlich offen gegenüber den Offerten indischer Häuser. Das ergab eine Studie, die das Marktforschungshaus Forrester Research gemeinsam mit der COMPUTERWOCHE vornahm.

Nahezu drei von vier Unternehmen nutzen Offshore-Dienste oder planen dies in naher Zukunft. Nur 26 Prozent der 247 von Forrester Research befragten Firmen aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden haben nicht vor, innerhalb des nächsten Jahres Arbeiten in Niedriglohnländer zu verlagern. 17 Prozent packen das Thema in den kommenden zwölf Monaten an, zehn Prozent betreiben derzeit Pilotprojekte, und fast jedes zweite Unternehmen (siehe Grafik "Offshore-Dienste finden breiten Zuspruch") steckt bereits mitten in Offshore-Vorhaben. Befragt wurden Unternehmen, die überwiegend über einen Jahresumsatz von mehr als einer Milliarde Euro verfügen.

Offshore-Ausgaben steigen

Die Umfrage belegt wachsende Offshore-Budgets. Bereits im nächsten Jahr wollen 40 Prozent der Firmen bis zu einem Zehntel ihrer für externe Dienstleister vorgesehenen Ausgaben einem Anbieter aus einem Niedriglohnland zukommen lassen, derzeit sind es 39 Prozent. Gaben im Jahr 2004 nur vier von hundert der Unternehmen zwischen elf und 30 Prozent ihres Dienstleistungsbudgets an Offshore-Anbieter weiter, planen dies im kommenden Jahr bereits elf Prozent und im Jahr 2008 voraussichtlich 18 Prozent. Und auch die Zahl der Anwender, die mehr als 30 Prozent dieser Mittel in Offshore-Dienste investieren, steigt von aktuell fünf Prozent auf sechs Prozent im nächsten und zwölf Prozent in vier Jahren.

Dennoch dürfen diese Zahlen nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Offshore-Geschäft bislang nur ein bescheidenes Volumen erzielt. "Unsere früheren Betrachtungen haben gezeigt, dass sich die Kosten für IT-Services, die in Offshore-Länder verlagert werden, gemessen an den gesamten IT-Ausgaben in dem Bereich von ein bis 1,5 Prozent bewegen", erläuterte Andrew Parker, Principal Analyst bei Forrester Research in Amsterdam. "Dennoch ist es keine Übertreibung, zu behaupten, dass sich die Offshore-Provider gerade eine solideMarktdurchdringung erarbeiten. Immerhin weisen Unternehmen wie Wipro und Tata jährliche Zuwachsraten von 20 bis 30 Prozent auf."

Günstige Arbeitskräfte als Zuarbeiter

Für sämtliche IT-Dienstleister gilt es demnach, ebenfalls die Preis für ihre Leistungen zu drücken. Internationale Anbieter wie IBM Global Services, Capgemini, EDS, CSC und Accenture tun dies, indem sie eigene Service-Center in den Niedriglohnländern errichten. Sie kalkulieren damit, günstige Arbeitskräfte in Offshore-Ländern als Zuarbeiter für ihre gut bezahlten Berater in den teuren Ländern einsetzen zu können, um aus diesem Servicemix Kostenvorteile erzielen zu können. In dem Wissen, den Frontend-Bereich, also den Kundenkontakt, mit eigenen Leuten besetzt zu haben, betrachten sie die Bemühungen der originären Offshore-Anbieter aus Indien gelassen. Sie vertrauen auf die alte Weisheit, dass sich Erfolg im Servicegeschäft nur mit persönlichen Kontakten einstellt.

Kunden wollen direkten Kontakt

Doch da täuschen sie sich, denn die Anwender denken anders. Eine Mehrzahl der befragten Firmen, und zwar unabhängig von der Größe, wollen den direkten Zugang zu Offshore-Anbietern und akzeptieren keine Zwischenhändler und keinen Umweg über internationale Service-Provider. 82 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen und 72 Prozent der Konzerne in den vier untersuchten Ländern möchten selbst mit Unternehmen wie Tata Consultancy Services, Wipro, Infosys und Satyam verhandeln, die bereits viel Projekterfahrung damit sammeln konnten, ihre Mitarbeiter in weit entfernte Entwicklungs- und Betriebsvorhaben einzubinden.

Aus diesem Grund erwarten die Anwender von den indischen Häusern auch die günstigere Kosten-Nutzen-Relation. 74 Prozent der Befragten rechnen mit besseren Ergebnissen, wenn sie statt große internationale IT-Dienstleister Offshore-Spezialisten beauftragen. Auch unter qualitativen Gesichtspunkten müssen sich die alternativen Anbieter nicht verstecken. 49 Prozent der Anwender rechnen damit, dass Offshore-Provider IT-Dienste besser erbringen. Dagegen stellen nur 38 Prozent der Befragten den Traditionshäusern in diesem Punkt ein günstigeres Zeugnis aus. Schließlich trauen 57 Prozent den Offshore-Betreibern zu, pünktlicher als IBM, Accenture, EDS und anderen bekannte Größen zu liefern. Erwartungsgemäß erzielen die etablierten Häuser gute Werte, wenn der direkte Draht zu den Entscheidungsträgern sowie tiefes Wissen um Geschäftsprozesse und Branchen-Know-how gefragt ist.

Üblicherweise assoziieren die meisten Kunden das Offshore-Thema mit Indien. Ohne Zweifel prägen die Firmen vom Subkontinent das Bild dieses Marktes in erheblichem Maße. Die Forrester-Studie unterstreicht den subjektiven Eindruck durch Zahlen: Zwei Drittel der Unternehmen mit Offshore-Erfahrung greifen auf indische Lieferanten zurück. Als Alternative erachten die IT-Entscheider im nennenswerten Umfang allenfalls die südost- oder osteuropäische Region, immerhin beziehen schon 27 Prozent der auslagernden Anwender Leistungen aus Ländern wie Polen, Tschechien und Ungarn sowie Russland, Weißrussland und der Ukraine.

Indiens Vorherrschaft im Offshore-Geschäft ist nicht zuletzt auf funktionierende Marktstrukturen zurückzuführen. Führende Firmen sind alteingessene Konzerne, die sich in Indien schon mit IT-fremden Produkten einen Namen gemacht haben und daher Abläufe wie Fertigung, Marketing, Vertrieb, Verkauf und Abrechnung beherrschen. Wipro liefert etwa neben Software auch Speisefette, Babyseife, hydraulische Pumpen sowie Güter für die Licht- und Gesundheitstechnik aus. Tata genießt in Indien eine Stellung und ein Ansehen wie Siemens in Deutschland, und stellt unter anderem Autos und Klimaanlagen her und betreibt Hotels. Aus diesem Umfeld heraus breiteten sich die Häuser Ende der 70er Jahre, unterstützt von der indischen Regierung, im heimischen und später im US-amerikanischen IT-Markt aus.

Osteuropa hat strukturelle Defizite

Die bekanntesten Häuser sind heute Tata Consultancy Services, deren Dienste 35 Prozent der von Forrester befragten Nutzer mit Offshore-Erfahrung beziehen, gefolgt von Wipro Technologies Services und Infosys/Progeon (jeweils 32 Prozent) sowie Satyam (neun Prozent). Die ost- und südosteuropäischen Länder stehen noch am Anfang einer derartigen Entwicklung. Bislang fehlte es dort den IT-Firmen am nötigen Wagniskapital. Das dürfte sich mit der EU-Osterweiterung ändern, so dass auch aus diesen Regionen zunehmend Angebote kommen werden.

Zumindest deutsche Firmen dürften aus Osteuropa vermehrt Offerten erhalten, ganze Geschäftsprozesse auszulagern (Business Process Outsourcing = BPO). Um Rechnungen,Finanzberichte, Personalabrechnungen, Lieferscheine und Bestellungen bearbeiten zu können, sind Sprachkenntnisse erforderlich, die in den neuen EU-Ländern vorhanden sind. Indische Anbieter tun sich dabei schwerer, daher verwundert es nicht, dass die Anwender bisher aus Asien vornehmlich IT-Dienste beziehen.

Am häufigsten sind dies heute Entwicklungsarbeiten für kundenspezifische Applikationen. Diese personalintensive Tätigkeit haben 65 Prozent der Offshore-Nutzer in Niedriglohnländer verlagert, 69 Prozent haben es vor. Zudem übergeben die IT-Abteilungen den externen Dienstleistern gerne die Pflege ihre Applikationen.

Knapp die Hälfte tun dies im Großrechnerumfeld (47 Prozent), ein Drittel nutzt das Angebot für Standardapplikationen (33 Prozent). Vor allem die Nachfrage nach der Wartung von Standardapplikationen wird kräftig anziehen. Künftig wollen diesen Dienst 48 Prozent der Anwender externen Spezialisten übergeben.

Als größte Hürde für den Einsatz von Offshore-Anbietern erachten die meisten Anwender kulturelle Unterschiede sowie Sprach- und Kommunikationsprobleme. Das äußerten vor allem Anwender aus Deutschland (85 Prozent). Des Weiteren gaben Firmen Bedenken hinsichtlich geopolitischer Risiken wie etwa durch Krieg, instabile Politik und Wirtschaft sowie Terrorismus (71 Prozent), Datenschutz (49 Prozent) und Projektkosten (47 Prozent) zu Protokoll. Nur jeder Fünfte fürchtet politischen Druck, dagegen rechnen 31 Prozent der Befragten mit Widerstand der eigenen Arbeitnehmervertretung. "Die Gewerkschaften werden Druck auf die Arbeitgeber ausüben, die betroffenen Mitarbeiter umzuschulen und in anderen Positionen einzusetzen", schildert Parker die Befürchtungen der Unternehmen.

Gewerkschaften fordern Qualifizierung

Das kann nicht im Sinne der Offshoring-Befürworter sein, denn 96 Prozent der Unternehmen lagern aus, um IT-Kosten zu sparen. Andere Gründe wie die Aussicht auf schnellere Ergebnisse (35 Prozent), weil für gleiches Geld mehr Mitarbeiter eingesetzt werden können, höhere Verlässlichkeit (33 Prozent), spezielles Know-how (29 Prozent) und erhöhte Qualität (24 Prozent) spielen, verglichen mit den Einspareffekten, kaum eine Rolle. "Möglicherweise werden die Gewerkschaften in den europäischen Ländern die übermäßige Auslagerung von IT-Diensten in Niedriglohnländer verhindern können. Blockieren können sie den Offshore-Trend nicht", vermutet Forrester-Analyst Parker. (jha)

Hier lesen Sie ...

- wie viele Anwender Offshore-Dienste nutzen;

- wie hoch ihr Offshore-Budget ist;

- warum sie den direkten Kontakt zum Offshore-Anbieter suchen;

- welche Anbieter und Länder sie bevorzugen;

- welche Dienste sie auslagern;

- welche und wie viele der IT-Jobs in den Hochlohnländern gefährdet sind.

Jobs in Gefahr

Ausgelagert wird vornehmlich aus Kostengründen, genauer gesagt aus Personalkostengründen. Die Forrester-Analyse nennt keine Zahlen zu möglichen Einsparungen, doch anderen Untersuchungen zufolge liegen die indischen Löhne bis zu 70 Prozent unter dem deutschen Niveau. Abzüglich der Auslagerungs- und Projekt-Management-Kosten lockt je nach Arbeit ein Kostenvorteil von 30 Prozent, zum Teil sogar bis zu 50 Prozent.

Die Auswirkungen auf den heimischen IT-Arbeitsmarkt werden laut Forrester nicht dramatisch, aber spürbar ausfallen. Zahlen für Deutschland konnte das Haus nicht nennen, in Großbritannien erwarten die Analysten jedoch einen Verlust von 200 000 IT-Stellen bis zum Jahr 2010. In Deutschland sollen weniger Stellen betroffen sein.

Abb.1: Welche Tätigkeiten durch Offshore-Services bedroht sind

Die Jobs von Softwareentwicklern und Betriebsmitarbeitern lassen sich nach Meinung der befragten Unternehmen am besten einem Offshore-Spezialisten übergeben. Quelle: Forrester Research

Abb.2: Offshore-Dienste finden breiten Zuspruch

Annähernd drei von vier befragten Unternehmen nutzen bereits Offshoring-Angebote oder planen dies in den nächsten Monaten zu tun. Quelle: Forrester Research

Abb.3: Arbeitsplatzabbau geplant

In diesem Jahr wollen 43 Prozent der Befragten bis zu 50 Stellen durch Offshoring ersetzen. Künftig sinkt die Zahl derer, die keinen Stellenabbau planen. Quelle: Forrester Research