Offshore-Anbieter plagen Personalsorgen

21.09.2005
Der Fachkräftemangel in Indien führt zu Qualitätseinbußen und Sicherheitsproblemen, warnt Gartner. US-amerikanische Dienstleister heizen den Kampf um die besten Mitarbeiter an. Von CW-Redakteur Wolfgang Herrmann

Lange Zeit warb die Outsourcing-Region Indien mit fast paradiesischen Zuständen: Mehr als 2,5 Millionen Absolventen spucken die Hochschulen jedes Jahr aus, ein schier unerschöpfliches Reservoir für Offshore-Dienstleister und international tätige Unternehmen, die auf dem Subkontinent eigene Standorte aufbauen wollen. Doch die Situation ist längst nicht mehr so rosig wie zu Beginn des Booms, warnt das amerikanische Marktforschungs- und Beratungshaus Gartner.

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*81327: Offshore-Boom bei Banken und Serienfertigern;

*80801: US-Dienstleister machen indischen Offshore-Anbietern Konkurrenz;

*80899: Indische Polizei verhaftet Call-Center-Mitarbeiter;

*77357: Datenklau aus indischen Calle Centern.

Hier lesen Sie ...

- warum IT- und Call-Center-Spezialisten in Indien knapp werden;

- welche Folgen der Fachkräftemangel hat;

- wie Outsourcing-Kunden auf die Probleme reagieren sollten.

Vor allem die Call-Center-Branche kämpfe mit einem Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften. Bis zum Jahr 2009 wird der Bedarf an qualifizierten Call-Center-Mitarbeitern auf eine Million gestiegen sein, schätzt die indische Regierung, 260 000 mehr als bis dahin tatsächlich zur Verfügung stehen. Der Engpass führe schon jetzt zu Kosten-, Qualitäts- und Sicherheitsproblemen, berichtet Gartner-Analyst Ian Marriott. Diese bedrohten das lukrative Geschäft mit Business Process Outsourcing (BPO), Kunden würden sich verstärkt nach alternativen Standorten umsehen.

Nachfrage unterschätzt

Ursache des Personalmangels ist laut Gartner die unerwartet starke Nachfrage nach BPO-Diensten. Damit einher gehe eine hohe Fluktuation. Überdurchschnittlich viele indische Fachkräfte wechselten den Arbeitgeber schon nach kurzer Zeit, um ihr Gehalt und die Karrierechancen zu verbessern. Andreas Burau, Research Director beim IT-Marktforschungs- und Beratungshaus Experton Group, bestätigt diese Sicht. Nach seiner Schätzung liegen die jährlichen Fluktuationsraten in indischen Call Centern zwischen 15 und 20 Prozent. Besonders ausgeprägt sei die Wechselbereitschaft unter Projekt- und Programm-Managern, sprich Mitarbeitern mit Fach- oder Führungsverantwortung.

Dass der Kampf um die besten Mitarbeiter längst begonnen hat, belegt eine Studie der texanischen Sourcing-Beratungsfirma Technology Partners International (TPI). Indischen Outsourcing-Anbietern wie Tata oder Infosys erwächst demnach zunehmend Konkurrenz von international aufgestellten IT-Dienstleistern, darunter IBM, Accenture und Perot Systems. Mit höheren Gehältern werben sie indische IT-Spezialisten von einheimischen Unternehmen ab, berichtet Siddhart Pai, Partner bei TPI. Er stützt sich auf eine Befragung von 212 Unternehmen in den Vereinigten Staaten, Europa und Asien. Um Marktanteile zu gewinnen, nähmen die Multinationals, wie TPI die etablierten Serviceriesen nennt, geringere Profitmargen in Kauf.

Der Konkurrenzkampf hat Folgen für die indischen Offshore-Champions. "Wollen sie die Fluktuation in den Griff bekommen, müssen sie Angestellte besser entlohnen und zusätzliche Vorteile anbieten", kommentiert Marriott. Auf lange Sicht reduziere sich der Wettbewerbsvorteil, den Indien gegenwärtig in punkto Arbeitskosten genieße. Dies gelte nicht nur für die Call-Center-Branche, sondern auch für Softwarespezialisten. Schlimmer noch als Kostensteigerungen könnten sich Qualitätseinbußen auswirken: Die Spitzenkräfte habe die Industrie längst abgeschöpft; Serviceanbieter engagierten deshalb auch Mitarbeiter, die nicht den Idealvorstellungen entsprächen. In diesem Kontext sehen Marktbeobachter auch die Bemühungen der Offshore-Dienstleister, Standorte in China oder Osteuropa aufzubauen.

Last, but not least kann die Personalknappheit zu Sicherheitsproblemen führen, befürchtet Marriott. Wenn Call-Center-Betreiber unter hohem Zeitdruck Mitarbeiter ohne ausreichende Überprüfung einstellen, wachse die Wahrscheinlichkeit, dass darunter auch weniger vertrauenswürdige Kollegen seien. Die Dienstleister riskierten damit Betrugsdelikte und Datendiebstähle.

Beispiele dafür gab es reichlich in den vergangen Monaten. Im August meldete der Fernsehsender "Australian Broadcasting Corp." (ABC), indische Call-Center-Angestellte hätten persönliche Daten von einigen tausend australischen Bürgern verkauft. Dieser Darstellung zufolge ist ein regelrechter Schwarzmarkthandel mit Daten entstanden.

Presseberichte über einen Verkauf vertraulicher Daten britischer Bankkunden hatten bereits im Juni den indischen Softwareverband Nasscom auf den Plan gerufen. Auslöser war ein Artikel der britischen Boulevardzeitung "The Sun". Einem verdeckt arbeitenden Reporter des Blatts war es gelungen, geheime Informationen über rund 1000 englische Konteninhaber zu erwerben. Die sensiblen Daten, darunter Passwörter, Kreditkarteninformationen und Adressen der Bankkunden, stammten angeblich aus indischen Call Centern, die im Auftrag britischer Banken arbeiten.

"Outsourcing-Falle"

Gartner rät Outsourcing-Kunden vor diesem Hintergrund, Call-Center-Betreiber vor einer Auftragsvergabe genauer zu prüfen. Dazu benötigten sie unter anderem Informationen zu Fluktuationsraten und Sicherheitsmaßnahmen. Kontrollmechanismen wie Service-Level-Agreements oder Befragungen zur Kundenzufriedenheit sollten fester Bestandteil eines Servicevertrages sein.

Auch Experton-Analyst Burau bläst in dieses Horn. Ähnlich wie in anderen Servicesegmenten tappten viele Kunden in die "typische Outsourcing-Falle": Nach der Auslagerungsentscheidung kümmerten sie sich zu wenig um die Qualitätskontrolle. Noch immer sei der Glaube verbreitet, mit der Unterschrift unter den Outsourcing-Vertrag laufe das Geschäft quasi von selbst. Statt einfach nur Offshore-Dienste einzukaufen sollten sich die Auftraggeber stärker engagieren, rät Burau.

Kunden in der Pflicht

Eine Möglichkeit sieht er darin, einen festen Mitarbeiter-Pool beim Dienstleister zu buchen und diesen gemäß den eigenen Anforderungen weiterbilden zu lassen. In Sachen Prozessqualität hätten indische Call Center zwar keinen Nachholbedarf gegenüber europäischen Konkurrenten. Probleme entstünden aber häufig aufgrund von sprachlichen oder kulturellen Missverständnissen. Dagegen helfe nur eine bessere Qualifizierung des Personals. (wh)